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Foto von Domenico Loia

Das BAG wies die Zeitgutschrift aus prozessualen Gründen ab, gab der Vergütungsklage aber statt. Der Hauptantrag, einem Arbeitszeitkonto Stunden „gutzuschreiben“, ist hinreichend bestimmt i. S. v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn das Unternehmen für den Beschäftigten ein Zeitkonto führt, auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden und noch gutgeschrieben werden können, sowie das Leistungsbegehren konkretisiert, an welcher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift Erfolgen soll (BAG, Urt. v. 12.12.2012 – 5 AZR 877/12). Da das Vorbringen des Klägers nicht  erkennen ließ, wie das Arbeitszeitkonto gestaltet ist und an welcher Buchungsstelle die Gutschrift vorgenommen werden sollte, war der Hauptantrag mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig. 

Nach dem Hilfsantrag hat der Kläger aus § 611 BGB Anspruch auf Vergütung der Zeit, die für die Auswahl, Anprobe und Entgegennahme der Dienstkleidung sowie für die Hin- und Rückfahrt zur und von der Ausgabestelle erforderlich war. Die gesetzliche Vergütungspflicht knüpft nach § 611 Abs. 1 BGB allein an die Leistung der versprochenen Dienste an und ist unabhängig von der arbeitszeitrechtlichen Einordnung der Zeitspanne, während derer der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringt. Der Arbeitgeber verspricht regelmäßig die Vergütung für alle Dienste, die er dem Mitarbeiter aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Direktionsrechts abverlangt (BAG, Urt. v. 19.9.2012 – 5 AZR 678/11, AuA 7/13, S. 438: Umkleidezeit OP-Schwester).  

Die Abholung der Dienstkleidung ist vorliegend vergütungspflichtig, weil sie dem Kläger von der Beklagten im Rahmen des ihr zustehenden Direktionsrechts abverlangt wurde, mit seiner eigentlichen Tätigkeit – dem Straßenbahnführen – unmittelbar zusammenhängt und ausschließlich den Interessen der Beklagten dient. Einer Fremdnützigkeit steht nicht entgegen, dass es gestattet ist, die Dienstkleidung auf dem Weg zum und vom Dienst zu tragen. 

Die Vergütungspflicht erstreckt sich auf die gesamte Zeitspanne, die benötigt wird, um die Dienstkleidung abzuholen. Dies umfasst nicht nur die erforderliche Zeit zur Auswahl, Anprobe und Entgegennahme der Kleidung, sondern auch die erforderliche Wegezeit. Durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag kann zwar eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit getroffen werden (vgl. BAG, Urt. v. 12.12.2012 – 5 AZR 355/12, NZA 2013, S. 1158). Da dies vorliegend nicht der Fall war, ist das tarifliche Stundenentgelt maßgeblich. 

Zur Höhe der Vergütung legte das BAG einen subjektiven Maßstab an: Zur Ermittlung der notwendigen Zeitspanne ist auf die konkrete Situation des einzelnen Beschäftigten abzustellen. Der Weg zur Ausgabestelle und dann der Weg zurück zur Arbeit muss von ihm unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit erbracht werden. Diese ist dann der Vergütung zugrunde zu legen. Der Arbeitnehmer muss dabei, auch wenn die Beklagte dies in ihrer Weisung nicht ausdrücklich vorgegeben hat, den Weg zu und von der Ausgabestelle und die hierfür genutzten Verkehrsmittel im Rahmen des ihm Zumutbaren so wählen, wie es – unter Berücksichtigung aller entstehenden Kosten – für das Unternehmen am günstigsten ist. 

Dies muss nun das LAG klären, an das zurückverwiesen wurde.

PRAXISTIPP

Die Vergütungspflicht lässt sich vermeiden, wenn der Arbeitgeber die Dienstkleidung im Betrieb bereitstellt, dort Umkleidemöglichkeiten bestehen und man davon absieht, im Rahmen des Direktionsrechts vorzuschreiben, dass die Dienstkleidung im Betrieb angelegt werden muss. Stattdessen empfiehlt es sich, den Beschäftigten zu gestatten, die Dienstkleidung mit nach Hause zu nehmen und selbst entscheiden zu lassen, wo sie diese anlegen. Die Kleidung sollte zudem dezent sein, so dass der Beschäftigte kein laufender Werbe-/Logoträger ist.

Foto: Rainer Sturm | pixelio.de
Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht · 5 / 2015 – www.arbeit-und-arbeitsrecht.de

Konsequenzen

Das BAG knüpft die Vergütungspflicht des Arbeitgebers an die Arbeitspflicht des Mitarbeiters an, die aus § 611 BGB resultiert. Hier sind seine Haupt- und Nebenleistungspflichten zu berücksichtigen. Auch Zeiten außerhalb der eigentlichen Arbeitstätigkeit sind vergütungspflichtig, wenn das Unternehmen sie anordnet, sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit stehen und allein seinen Interessen dienen.

Problempunkt

Der klagende Arbeitnehmer ist Straßenbahnfahrer und dem Betriebshof W zugeordnet. Es existiert eine Dienstvereinbarung für das Tragen von Dienstkleidung, wonach der Dienstantritt ohne Dienstbekleidung unzulässig ist.

Aufgrund einer Weisung der Beklagten sind die Beschäftigten verpflichtet, die Dienstkleidung außerhalb ihrer Arbeitszeit an zwei außerbetrieblichen Ausgabestellen abzuholen. Sie haben deren Öffnungszeiten zu beachten, sind aber ansonsten in der Wahl des Zeitpunkts frei. Innerbetriebliche Ausgabestellen und Umkleidemöglichkeiten in W gibt es nicht. Bis 2007 wurden den Arbeitnehmern nach einer Abrede mit dem Personalrat jährlich 120 Minuten auf einem eingerichteten Arbeitszeitkonto für das Abholen der Dienstkleidung gutgeschrieben. Seit 2008 erfolgt diese Gutschrift nicht mehr. Der klagende Arbeitnehmer begehrte die alte Regelung, hilfsweise die Vergütung der Zeit. Die Beklagte lehnte dies ab, weil das Abholen der Dienstkleidung kein Bestandteil der tariflichen Arbeitszeit sei. Vor dem ArbG und LAG hatte die Klage keinen Erfolg. Vor dem BAG änderte sich das.