Problempunkt

Die Klägerin war von August 2005 bis Ende Januar 2007 für den Beklagten tätig. Ab dem 2.6.2006 war sie – über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus – bis August 2007 durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Sie verlangte nun die Abgeltung ihrer krankheitsbedingt nicht erfüllten Urlaubsansprüche aus den Jahren 2005 und 2006.

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Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab und stützten sich dabei auf die ständige Rechtsprechung des BAG. Diese hatte § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG so ausgelegt, dass eine Abgeltung nur möglich ist, wenn der Urlaubsanspruch bis zum Ende des Urlaubsjahrs bzw. des Arbeitsverhältnisses oder des Zeitraums, in den er übertragen werden konnte, erfüllbar war. Das war nach der bisherigen Ansicht des BAG nicht der Fall, wenn der Arbeitgeber den Urlaub nicht gewähren konnte, weil der Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig krank blieb.

Der EuGH hat zwischenzeitlich in der Sache Schultz-Hoff (Urt. v. 20.1.2009 – C-350/06, AuA 5/09, S. 276 ff.) entschieden, dass diese Auslegung von § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG dem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Die Regelungen sind vielmehr so zu verstehen, dass der Urlaubsanspruch nicht verfällt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahrs oder des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt ist.

Entscheidung

Die Auslegung des EuGH hinsichtlich § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG ist für das BAG verbindlich. Daher war es wenig überraschend, dass es mit der vorliegenden Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung aufgab und sich dem EuGH anschloss. Die deutschen Richter entschieden daher, dass der Anspruch der Klägerin auf Abgeltung ihres gesetzlichen Urlaubs für die Jahre 2005 und 2006 nicht aufgrund ihrer fortdauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit verfallen ist.

Auch die Tatsache, dass die Mitarbeiterin die Klage noch vor der Entscheidung des EuGH eingereicht hatte, als noch die bisherige entgegenstehende Rechtsprechung des BAG galt, war für das BAG kein Grund, dem Beklagten Vertrauensschutz zu gewähren. Er hätte vielmehr seit der Vorlage der Sache an den EuGH durch das LAG Düsseldorf mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass sich die langjährige BAG-Rechtsprechung ändert.

Allerdings unterschied das BAG zwischen dem gesetzlichen und dem darüber hinausgehenden (vertraglichen) Urlaubsanspruch der Klägerin. Nur der gesetzliche Urlaubsanspruch blieb aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bestehen. Der darüber hinausgehende Urlaubsanspruch war dagegen nach Ansicht des Gerichts verfallen, da der Arbeitsvertrag der Klägerin eine entsprechende Klausel enthielt. Auf diesen übergesetzlichen Urlaubsanspruch findet die EuGH-Rechtsprechung keine Anwendung. Sie stützt sich auf Gemeinschaftsrecht, das nur den gesetzlichen Mindestanspruch regelt.

Konsequenzen

Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsansprüche verfallen – anders als nach der bisherigen BAGRechtsprechung – nicht mehr aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Wird ein Arbeitnehmer nach lang andauernder Krankheit wieder arbeitsfähig, steht ihm daher der gesamte gesetzliche Urlaubsanspruch zu, der während der – u. U. mehrjährigen – Arbeitsunfähigkeit aufgelaufen ist. Endet das Arbeitsverhältnis während der Arbeitsunfähigkeit, ist der gesamte aufgelaufene gesetzliche Urlaubsanspruch abzugelten. Gleiches gilt auch für den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte. Das hat das BAG in einer nachfolgenden Entscheidung klargestellt (Urt. v. 23.3.2010 – 9 AZR 128/09, PM 25/10).

Ein über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehender arbeits- oder tarifvertraglicher Urlaubsanspruch kann hingegen verfallen, wenn es dem Arbeitgeber unmöglich ist, ihn aufgrund andauernder Krankheit des Arbeitnehmers zu erfüllen. Dies setzt allerdings voraus, dass sich – zumindest angedeutet – im Arbeits- bzw. Tarifvertrag eine entsprechende Sonderregel für den übergesetzlichen Urlaubsanspruch findet.

Die geänderte Rechtsprechung wird – angesichts der Mehrkosten, die ein über u. U. mehrere Jahre aufgelaufener Urlaubsanspruch für den Arbeitgeber bedeutet – sicher auch dazu führen, dass Unternehmen krankheitsbedingte Kündigungen bei Langzeiterkrankungen künftig schneller in Betracht ziehen.

Noch nicht geklärt ist, ob es eine zeitliche Begrenzung für das Auflaufen der gesetzlichen Urlaubs(abgeltungs)ansprüche bei Arbeitsunfähigkeit gibt. Das LAG Hamm hat diese Frage im April 2010 dem EuGH vorgelegt. Im engen Zusammenhang damit steht auch die Frage, wann aufgelaufene Urlaubs(abgeltungs)ansprüche Ausschluss- und Verjährungsfristen unterliegen.

Praxistipp

Arbeitgeber, die übergesetzlichen Urlaub gewähren, sollten sicherstellen, dass die entsprechenden arbeits- und evtl. auch tarifvertraglichen Regelungen weiterhin den Verfall des übergesetzlichen Urlaubs bei über den Beendigungs- bzw. Übertragungszeitraum hinausgehender Arbeitsunfähigkeit ermöglichen. Hinsichtlich des gesetzlichen Urlaubsanspruchs müssen sie u. U. Rückstellungen anpassen, um das erhöhte Risiko der Inanspruchnahme abzubilden. Schließlich empfiehlt es sich, Langzeiterkrankungen bei Arbeitnehmern und eine evtl. Beendigung der entsprechenden Arbeitsverhältnisse genauer als bisher im Auge zu behalten.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 6/10