Der Gerichtshof berief sich in seiner Begründung im Wesentlichen, zusätzlich zu den hier unter a) und b) genannten, auf folgenden Aspekte:

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  • Dass die einzelstaatliche Regelung Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 entgegensteht, wenn „für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben bzw. im Krankheitsurlaub war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht wahrnehmen konnte.“

  • Dass der in der Richtlinie „verwendete Begriff des bezahlten Jahresurlaubs“ bedeutet, „dass für die Dauer des Jahresurlaubs (…) das Entgelt für den Arbeitnehmer beizubehalten ist."

  • Dass mit dem Tod des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis beendet wurde und der finanzielle Ausgleich des nicht genommen Urlaubs die „praktische Wirksamkeit des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub“ sicherstellt.

  • Dass die EU-Richter damit u.U. auch für die Zukunft einen Umstand ausschließen wollten, nämlich dass keine sogenannten „unwägbaren – also weder vom Arbeitgeber noch Arbeitnehmer beherrschbaren Vorkommnisse“ - noch rückwirkend in der Lage sein sollten, zu einem „vollständigen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub selbst, wie er in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verankert ist“, (von der in keinem Falle abzuweichen sei), zu führen. Der letzte Satz der Begründung lautete zudem:

  • Dass eine entsprechende „Abgeltung nicht davon abhängen kann, dass der Betroffene im Vorfeld einen Antrag gestellt hat“. Denn „dieser Anspruch bestünde unmittelbar kraft der Richtlinie 2003/88, ohne dass der betreffende Arbeitnehmer insoweit tätig werden müsste“.


Damit wurde das Urteil gefällt

Urlaub – oder dessen Gegenwert -  kann im Arbeitsrecht einen vererbbaren Anspruch darstellen (EuGH, Urt. v.  12.06.2014 Az. C-118/13).

Neue Fragen können sich daraus ergeben - und haben sich ergeben

Womit das EuGH das Feld eröffnet hat für eine weitere Prüfungsanfrage, die jedoch ohne weiteres vom BAG und aufgrund eigener Rechtsprechung hätte entschieden werden können: „Muss ein Arbeitnehmer seinen Urlaub aktiv beantragen, damit er nicht verfällt? (BAG, Beschl. v. 13.12.2016, Az. 9 AZR 541/15 (A)). Auf das Urteil dürfen wir gespannt sein – könnten es jedoch, anhand der vorhergehenden Urteile, vielleicht schon voraussagen, oder nicht?

Diskussion:

Die EU-Richtlinie, die praktisch Unions-Urlaubsrecht darstellt, das BGB und das BUrlG sind Schutzgesetze. Die immer häufiger anzutreffende Praxis der LAGs und des BAG, Fragestellungen an den EuGH ein- oder weiterzureichen, verunsichert die Fachwelt – eröffnet jedoch auch interessante Perspektiven – die des „Beobachters und Gutachters“ von außen. 

Das BAG-Recht schütze im gerade geschilderten Fall, so der Spiegel-Artikel „den Arbeitnehmer vor sich selber“, damit er nicht Urlaubsanspruch zu Geld umwandle und dann keinen Urlaub mehr nehme, was dem Erholungs- und Leistungserhaltungsanspruch widerspricht, oder sich den Anspruch vielleicht sogar „abkaufen“ ließe.  Das EU-Recht schützt den Anspruch weitergehender, indem es den Anspruch auf Jahresurlaub stärkt – und außerdem den Entgeltanspruch durchsetzt.

Tatsache ist auch, dass, so Alexander R. Zumkeller in seinem Beitrag und Kommentar auf LTO.de, es ohnehin nicht falsch sein kann, wenn die unterschiedlichen Regelungen immer einmal wieder unter die Lupe genommen würden.

So in der aktuellen Frage des BAG – ob der Arbeitnehmer den Urlaub aktiv beantragen müsse, damit er nicht verfällt. Denn es fordere dazu auf, dass Arbeitnehmervertreter und Arbeitgebervertreter aufeinander zugingen. Immerhin wird das Urlaubsrecht immer noch direktiv über den Arbeitgeber ausgeübt. Außerdem gebe es mittlerweile Tarifrecht, das viel spezifischer und besser in den einzelnen Branchen greife – weil es Brancheneigenheiten berücksichtige.

Schließlich gebe es „tarifliche, betriebliche und einzelvertragliche Regelungen und Ansprüche, die nicht unbedingt dem BUrlG und der EU-Richtlinie unterliegen.“ Eine große Bandbreite an möglichen „Baustellen“ also, doch auch immer wieder die Chance, Recht zu hinterfragen und zu beleuchten. Und ein Kommentar unter dem Beitrag führt aus, dass, wenn der EuGH auch im zur Zeit eingereichten Falle beschließt, dass der Urlaub nicht verfallen kann!, auch wenn er nicht aktiv beantragt wurde, dies die soziale Lage von Minijobbern verbessern könnte, da hier Urlaub nicht (mehr), wie manchmal der Fall verweigert werden könne, sondern  u.U. sogar nachgewährt werden müsse.

Es bleibt spannend.

Quellen:

http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/eugh-urteil-c-118-13-bezahlter-urlaub-abgeltung-tod/

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=153580&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1

http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bag-eugh-vorlage-urlaub-beantragen-verfall-arbeitgeber-arbeitnehmer/

http://www.spiegel.de/karriere/toter-hatte-noch-resturlaub-warum-die-klage-erfolgreich-war-a-1074131.html

https://blog.minijob-zentrale.de/2014/05/26/auch-minijobber-haben-ein-recht-auf-urlaub/comment-page-1/

 

Reine BAG-Rechtsprechung immer mehr auf dem EuGH-Prüfstand

Wenn es nach nationalem Arbeitsrecht ginge, benötigte ein Verstorbener keine „Erholung mehr“- und auch keine Abgeltung eines entgangenen Urlaubsanspruchs – denn das Arbeitsverhältnis wäre ja durch den Tod des Arbeitnehmers beendet worden.

Vererbarkeit von Ansprüchen aus bezahltem Jahresurlaub?

Das LAG Hamm bezog sich jedoch nicht mehr allein auf BAG-Praxis, sondern setzte das Verfahren aus und reichte am 14.02.2013 ein „Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 267 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) ein, der am 14. März 2013 einging. Die erste Kammer des Europäischen Gerichtshofs entschied daraufhin in seinem Urteil vom 12.06.2014 (Az. C-118/13, Vorabentscheidungsersuchen – Sozialpolitik – Richtlinie 2003/88/EG – Arbeitszeitgestaltung – Bezahlter Jahresurlaub – Abgeltung im Todesfall) gemäß Richtlinie 2003/88/EG, dass der Tod des Arbeitnehmers ein „unwägbares Ereignis“ gewesen sei, das nicht dazu führen darf, dass damit der Anspruch auf bezahltem Jahresurlaub rückwirkend erlischt.

Unionsrecht und einzelstaatliches Recht

Unionsrecht ist als Schutzrecht gedacht. Richtlinie 2003/88/EG, Artikel 7 regelt den Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern in der Europäischen Union. Sie besagt jedoch auch eindeutig:
Dass nationales Recht vor Unionsrecht steht, wenn das nationale Recht für die Arbeitnehmer günstigere Konditionen aufweist.

EuGH stützt damit auch nationales Recht

Die entscheidenden Passagen dazu aus dem deutschen BUrlG (hinzu könnten natürlich auch tarifvertragliche Regelungen kommen, die häufig über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen) lauten:

Die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers sind bei der zeitlichen Regelung des Urlaubs zu berücksichtigen (§ 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG). Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 2 S. 1 BUrlG). Eine Übertragung auf das erste Quartal ist nach § 7 Abs. 2 S. 2 BUrlG zulässig, wenn der Urlaub aus betrieblichen oder persönlichen Gründen nicht genommen werden konnte. Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs gibt es nicht. Hinzu kommen folgende zwei im deutschen Recht maßgeblichen Regelungen, auf die sich der Der EuGH in diesem Fall bezog:

a) Wenn bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, besagt § 7 Abs. 4, dass er abzugelten sei (§ 7 Abs. 4 des Bundesurlaubsgesetzes vom 8. Januar 1963 (BGBl. 1963 S. 2) in der Fassung vom 7. Mai 2002 (BGBl. 2002 I S. 1529).

b) Nach § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geht mit dem Tod einer Person (Erbfall) deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere Personen (Erben) über.

Das LAG Hamm hinterfragt selber alte Praxis

Der Arbeitnehmer verstarb am 19. November 2010. Relativ zeitnah am 11. Januar 2011 machte seine Ehefrau, Witwe und Erbin, den Anspruch auf den Gegenwert von 140,5 nicht genommenen Urlaubstagen gegenüber der Firma erstmals geltend.

Der EuGH geht mit seinem Urteil auf die folgenden drei Fragen des LAG Hamm ein:

  1. Ob mit dem Tod eines Arbeitnehmers beide Aspekte des Anspruchs auf bezahlten Mindestjahresurlaub in ihrer Gesamtheit untergehen (Freistellung und Zahlung eines Urlaubsentgelts) und ob

  2. Dieser Anspruch an diese eine bestimmte Person des Arbeitnehmers gebunden ist, damit er zu einem späteren Zeitpunkt die damit einhergehenden Zwecke der Erholung verwirklichen kann oder ob der Anspruch mit dieser Person „untergehen“ kann?

  3. Ob dieser Anspruch auf Schutz, Sicherheit und Gesundheit des Arbeitnehmers bei der Arbeitszeitgestaltung bis zum Ablauf des Kalenderjahres oder des für das Arbeitsverhältnis „maßgeblichen Übertragungszeitraums (der zu diesem Zeitpunkt schon auf 15 Monate entschieden war) zu gewähren sei, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber einen Urlaubsantrag gestellt hat?“


Die Argumentationsfolge des EuGH in Kürze (Langversion hier)

Der EuGH geht davon aus, dass das Urlaubsrecht, im Rahmen dessen der „Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub“ einen besonders schützenswerten und  zentralen Bestandteil des Sozialrechts darstellt, zwei Aspekte umfasst:

  1. erstens, den Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht und
  2. zweitens den Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts.


Es berief sich häufig auf das Schultz-Hoff-Urteil von 2009 (C-350/06 vom 20.01.2009, EuGH), das es selber 2011 mit dem Urteil C-214/10-KHS gg. Schulte am 22.11.2011  auf 15 Monate begrenzte und damit geändert hatte. Diese 15-Monate-Übertragungsfrist müsste demzufolge beim vorliegenden Vererbungsstreitfalle gegolten haben.