Problempunkt

Der 1948 geborene Kläger war seit 1978 als Produktionshelfer bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der Automobilzulieferindustrie mit ca. 300 Arbeitnehmern. Er ist in Spanien geboren und dort zur Schule gegangen. Nach einer vom Kläger unterzeichneten Stellenbeschreibung aus dem Jahr 2001 zählt zu den Anforderungen die Kenntnis der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Der Kläger absolvierte im September 2003 auf Kosten des Unternehmens während der Arbeitszeit einen Deutschkurs. Mehrere ihm empfohlene Folgekurse lehnte er ab. Seit März 2004 ist die Arbeitgeberin nach den entsprechenden Qualitätsnormen zertifiziert. In der Folgezeit stellte sie bei mehreren internen Audits fest, dass der Kläger Arbeits- und Prüfanweisungen nicht lesen konnte. Im September 2005 forderte sie ihn auf, Maßnahmen zu ergreifen, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern. Eine weitere Aufforderung im Februar 2006 verband sie mit dem Hinweis, er müsse mit einer Kündigung rechnen, wenn er die Kenntnisse nicht nachweisen könne. Ein Audit vom April 2007 endete für den Kläger mit dem Ergebnis, dass er nicht in der Lage sei, die vom Kunden geforderten Vorgaben und Spezifikationen einzuhalten. Daraufhin kündigte ihm die Arbeitgeberin mit Zustimmung des Betriebsrats zum 31.12.2007.

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Foto von Adrien Olichon

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht (LAG) gab ihr statt. Seiner Ansicht nach liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn:

  • das Unternehmen das Anforderungsprofil einer Tätigkeit in der Weise ändert, dass der Mitarbeiter nun die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschen muss,
  • ein seit Langem beschäftigter Arbeitnehmer ausländischer Herkunft nicht in der Lage ist, die deutsche Sprache so zu erlernen, dass er Arbeitsanweisungen lesen kann, und
  • es dem Arbeitgeber möglich ist, die Arbeit auf eine Weise zu organisieren, dass die schriftliche Sprachbeherrschung nicht erforderlich ist.

Die unternehmerische Entscheidung sei dann wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 Nr. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) unwirksam. Eine hierauf gestützte betriebsbedingte Kündigung erweise sich als sozialwidrig (LAG Hamm, Urt. v. 17.7.2008 – 16 Sa 544/08, NZA-RR 2009, S. 13 m. Anmerkung Hunold).

Das zweitinstanzliche Urteil zeigt, welche Schwierigkeiten z. B. ein zertifiziertes Unternehmen der Automobilzulieferindustrie hat, wenn es Arbeitsgerichte von der Notwendigkeit veränderter Anforderungen an die Mitarbeiter überzeugen soll. Dabei hat sich die wirtschaftliche Situation für die Branche in den letzten Jahren und besonders kürzlich erheblich verschlechtert.

Entscheidung

Der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat mit der aus den Leitsätzen ersichtlichen Begründung das Urteil des LAG Hamm aufgehoben und die erstinstanzliche Entscheidung wieder hergestellt: Die Kündigung verstößt nicht gegen das Verbot mittelbarer Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft. Der Arbeitgeberin war es nicht verwehrt, vom Kläger ausreichende Kenntnisse der deutschen Schriftsprache zu verlangen. Sie hatte ihm genügend Gelegenheit gegeben, die notwendigen Sprachfähigkeiten zu erwerben. Damit ist alles Nötige gesagt.

Konsequenzen

Das Urteil ist von erheblicher Bedeutung für die Betriebspraxis. Über einen ganz ähnlichen Fall hatte schon vor einigen Jahren das Hessische LAG zu entscheiden. Auch damals ging es um einen ausländischen Mitarbeiter, der sich geweigert hatte, an deutschen Sprachkursen teilzunehmen, die Unternehmensleitung und Betriebsrat im Rahmen der Einführung eines Qualitätsmanagementsystems für erforderlich hielten. Hier war die Kündigungsschutzklage schon in erster Instanz erfolgreich, wobei sich das Arbeitsgericht Kassel (Urt. v. 25.6.1998 – 1 Ca 544/97) zu der Feststellung verstieg, der Arbeitgeber könne die Arbeitsanweisungen auch in Form von Piktogrammen vermitteln, dann seien deutsche Sprachkenntnisse entbehrlich.

Die Berufung des Arbeitgebers beim Hessischen LAG blieb erfolglos: Eine Kündigung, die ein Unternehmen mit mangelnden Kenntnissen der deutschen Sprache begründet, ist unwirksam, wenn diese Fähigkeit erst nachträglich erforderlich wird, weil es ein Qualitätsmanagementsystem einführt (Urt. v.19.7.1999 – 16 Sa 1898/98, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55). Für das Gericht lag damals offenbar eine Pflicht des Mitarbeiters, sich deutsche Sprachkenntnisse anzueignen, außerhalb des Vorstellbaren. Ohne nähere Begründung heißt es in dem Urteil, ein verhaltensbedingter Grund „komme von vornherein nicht in Betracht“. Das setzt logisch voraus, dass keine Vertragspflichtverletzung in Form einer Schulungsverweigerung vorlag.

Das LAG Hamm sah ebenfalls keine Vertragspflichtverletzung des spanischen Mitarbeiters. Die Stellenbeschreibung enthalte „keine vertragsrechtlichen Elemente“. Auch die einschlägige Betriebsvereinbarung regele nur die Voraussetzungen für die Audits. All das ist falsch (Hunold, DB 2009, S. 846, 848).

In einem Betrieb in Schleswig-Holstein fühlte sich ein ausländischer Mitarbeiter durch die Aufforderung des Arbeitgebers, einen Deutschkurs zu besuchen, belästigt. Offenbar klagte er auf Entschädigung (§ 15 Abs. 2 AGG). Er unterlag jedenfalls in zweiter Instanz: Die an einen ausländischen Arbeitnehmer, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, gerichtete Aufforderung, einen Deutschkurs zu besuchen, stellt keine Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 3 AGG aufgrund der ethnischen Herkunft dar. Auch eine mittelbare Diskriminierung liegt nicht vor (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 23.12.2010 – 6 Sa 158/09, Pressemitteilung v. 15.1.2010).

Hierzu stellt der 2. Senat des BAG fest, dass der Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern die Kenntnis der deutschen (Schrift-)Sprache verlangen kann, wenn sie für deren Tätigkeit erforderlich ist.

Für die Frage, ob Unternehmen eine Kündigung wegen fehlender Qualifikation nach Änderung des Anforderungsprofils auf personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Gründe stützen können, wird es vor allem auf Folgendes ankommen:

  • Liegt die Änderung des Anforderungsprofils innerhalb oder außerhalb der normalen Schwankungsbreite?
  • Erfüllt der Arbeitgeber seine in diesem Zusammenhang bestehenden Schulungs- bzw. Förderungspflichten?
  • Ist der Mitarbeiter in der Lage, noch dazuzulernen, um die neuen Anforderungen zu erfüllen, oder nicht? (Hunold, a. a. O.)

Praxistipp

Zur Klarstellung kann es empfehlenswert sein, die Lernpflicht des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag ausdrücklich zu regeln:

Muster

Änderung der Arbeitsanforderungen

Ändern sich, insbesondere aus technisch-organisatorischen und/oder Wettbewerbsgründen, die Anforderungen des Arbeitsplatzes des Mitarbeiters, ist dieser verpflichtet, sich die notwendigen zusätzlichen Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, wenn und soweit er dazu in der Lage ist. Soweit dies rechtlich geboten ist, werden die erforderlichen Schulungsmaßnahmen in der Arbeitszeit und auf Kosten der Firma stattfinden.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 5/10