1 Die Personalabteilung ist gefordert

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Foto von Joanna Kosinska

Vor dem Hintergrund einer strauchelnden Weltwirtschaft und sich weiter eintrübender Aussichten in der Bundesrepublik verhängen immer mehr Unternehmen Einstellungsstopps, führen Kurzarbeit ein oder kürzen pauschal Personalentwicklungsbudgets. In dieses Bild passen die Ergebnisse der im Februar 2009 vorgestellten Kienbaum-Studie „Personalkostenanpassung in der Krise“. An ihr haben sich mehr als 500 deutsche Unternehmen aller Größenklassen und Branchen beteiligt. Knapp ein Drittel der Befragten will auf die aktuelle Wirtschaftskrise reagieren, indem es Mitarbeiter abbaut.

Als Experten in allen Personalthemen müssen Personalabteilungen daher

  • die Maßnahmen operativ managen, mit denen der Betrieb der Krise begegnen will, darunter Personalabbau und Kurzarbeit,
  • aktiv die strategischen und langfristigen Ziele des Unternehmens unterstützen bzw. umsetzen. Gerade in der Krise ist es notwendig, Führungsqualität und Nachhaltigkeit zu beweisen.

Wichtig

Ohne eine langfristige und strategisch fundierte Ausrichtung laufen Unternehmen Gefahr, wichtige Mitarbeiter an den Wettbewerb zu verlieren und geschäftskritische Kompetenzen nicht halten zu können. Eine gefährliche Lücke in der Belegschaft könnte entstehen, die später allein durch externe Rekrutierung nicht zu füllen ist.

2 Humankapital in Zeiten der Krise

Eine Vielzahl von Studien belegt, dass die immateriellen Vermögenswerte bis zu 84 % eines börsennotierten Unternehmens ausmachen. Das Humankapital beträgt zwischen einem Viertel und der Hälfte seines Werts (Daum, 2001 und Watson Wyatt, 2001/2002). Selbst wenn sich diese Einschätzungen in der aktuellen Situation geändert haben, besteht weiterhin ein großer Teil des Unternehmenswerts nicht in Form von Maschinen, Anlagen oder Gebäuden, sondern aus Erfahrungen, Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten der Mitarbeiter.

Was wird nun aus diesem „Vermögen“ in Krisenzeiten? Um die Frage zu beantworten, ist es wichtig, sich einen entscheidenden Unterschied zwischen den eben skizzierten Vermögenswerten vor Augen zu führen:

  • Maschinen und Anlagen „wechseln“ das Unternehmen nur durch Managemententscheidungen, z. B. einen Verkauf.
  • Arbeitnehmer können dagegen ihren Arbeitgeber verlassen, ohne dass dieser das gutheißt oder beabsichtigt. Es greift daher zu kurz, wenn Unternehmen Personalaufwand lediglich als einen Kostenblock betrachten, den sie – zunehmend variabel – analog zur Drosselung der Produktion in Krisenzeiten einfach nach unten korrigieren. Langfristig betrachtet ist vielmehr anzuerkennen, dass der Unternehmenserfolg essenziell vom Humankapital und dessen professionellem Management abhängt.

3 Talentmanagement als zentraler Erfolgsfaktor

Budgetkürzungen per Gießkanne oder pauschal personalrelevante Ausgaben zu streichen, scheinen daher keine adäquaten Antworten auf die Frage nach dem Umgang mit dem Vermögenswert Humankapital zu sein. Talente und Topleister entscheiden wesentlich über den Erfolg von Unternehmen – ob in Krisenzeiten oder im Aufschwung.

Info

So ist die Wertschöpfung von Topleistern im Unterschied zu Durchschnittsleistern im Allgemeinen um 40 bis 50 % höher (Eichinger, 2004). In einzelnen Funktionen kann diese Differenz noch größer sein: Topleister im Vertrieb können bspw. bis zu zwei Drittel höhere Umsätze generieren als der Durchschnitt ihrer Kollegen (Bodden, Glucksman & Lasky, 2000).

Wesentlich für die Personalarbeit und damit für den Unternehmenserfolg ist es also, Talente und Leistungsträger zu identifizieren, nachhaltig zu fördern und dauerhaft an das Unternehmen zu binden. Nachhaltiges Talentmanagement ist der wesentliche Stellhebel für diese drei Zielsetzungen, vgl. Grafik 1.

Bei Toptalenten ist im Vergleich zu anderen Mitarbeitern die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Arbeitgeber wechseln, viermal höher (Finegold & Mohrman, 2001). Auch eine schwierige gesamtwirtschaftliche Situation und Einstellungsstopps beim Wettbewerb sind kein Garant für die Bindung an das Unternehmen: Talenten und Topleistern stehen trotz Krisenzeiten ausreichend attraktive Wechselangebote zur Verfügung. Für eine Wechselentscheidung ist die konkrete Führungsarbeit des Vorgesetzten sicher entscheidend. Erfolgreiche Personalarbeit leistet jedoch einen wichtigen Beitrag, Wechselgedanken im Vorfeld weitestgehend zu minimieren. Der Gestaltung des Talentmanagements kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu.

Beispiele

So haben Studien u. a. Karrierechancen und das Angebot an Entwicklungsmöglichkeiten wiederholt als Toptreiber von Bindung und Engagement identifiziert (vgl. Corporate Leadership Council 2006; Towers Perrin 2006). Allein die hohe Attraktivität der eigenen Arbeitgebermarke lässt die Fluktuationsrate in Unternehmen um mehr als die Hälfte sinken (Vanderbuilt University, 2000).

Unternehmen, deren Mitarbeiter eine große Bindung zur eigenen Organisation haben, erreichen einen deutlich höheren Gewinn für die Anteilseigner als Betriebe, deren Beschäftigte sich nur wenig mit ihnen identifizieren (112 % im Vergleich zu 76 % laut Towers Perrin, 2003).

4 Mit Durchhaltevermögen nachhaltig zum Ziel

Ziel der nachhaltigen Personalarbeit und vor allem des Talentmanagements muss es daher sein, den Anforderungen und Erwartungen der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen. Es gilt, ein entsprechendes Umfeld zu schaffen, das ihre Entwicklung und Leistungsfähigkeit fördert. Dadurch minimiert sich die Wechselwahrscheinlichkeit und damit das Risiko, wesentliche Unternehmenswerte zu verlieren. So ist es bspw. General Electric nach eigenen Angaben gelungen, innerhalb der vergangenen 15 Jahre rund 97 % der 600 Topführungskräfte, die das Unternehmen als Kerntalente identifiziert hat, auch tatsächlich zu halten.

Kernaufgaben des Talentmanagements sind

  • Talente im Unternehmen frühzeitig zu identifizieren,
  • ihnen herausfordernde Aufgaben zu übertragen,
  • sie angemessen zu entlohnen,
  • ihnen entsprechende Aufstiegschancen zu bieten und
  • gute Lernmöglichkeiten zukommen zu lassen.

Dabei ist Talentmanagement kein Selbstzweck, sondern schafft eine Win- Win-Situation:

  • Zum einen stehen den Talenten vielseitige Chancen und Möglichkeiten offen, das eigene Skill- und Kompetenzprofil auf- und auszubauen.
  • Zum anderen bringen sie diese Fertigkeiten und Fähigkeiten in der Unternehmenspraxis gewinnbringend ein.

Beispiel

Häufig werden Entwicklungsaspekte mit unternehmerischen Herausforderungen kombiniert, indem man z. B. Nachwuchstalenten verantwortungsvolle Aufgaben in strategisch bedeutsamen Projekten überträgt. Von den Ergebnissen profitiert das Unternehmen unmittelbar, während die Talente auf diesem Weg ihre eigene Entwicklung vorantreiben.

5 Erfolgs- und Gütemerkmale von Talentmanagement

Effektives Talentmanagement umfasst jedoch mehr als „nur“ Karriereund Entwicklungsperspektiven. Dazu gehört z. B. den Identifikations- und Nominierungsprozess zu gestalten und unternehmensweit einheitlich zu definieren, wodurch genau sich ein Talent auszeichnet, entsprechende Instrumente und ein klares Prozessmodell zu hinterlegen, bspw. von der Nominierung durch die Führungskraft bis zum Eintritt in spezifische Talentpools, eine konsistente Datenlandschaft und ein klarer Stellenbesetzungsprozess.

Selbst wenn die Beschäftigten es häufig nur bedingt wahrnehmen, sind Investitionen in diese „sauberen“ Prozesse und Instrumente ein zentrales Erfolgs- und Gütemerkmal von Talentmanagement. Im Kern finden sich neun zentrale Gestaltungsfelder, in denen das Unternehmen das Talentmanagement spezifisch an den Anforderungen des Unternehmens ausrichten sollte, vgl. Grafik 2.

Wichtig

Auch wenn es in Krisenzeiten nicht per se auf der Agenda steht, ist Kontinuität ein wesentlicher Faktor. Talente und Topleister sind die tragende Säule, die mittel- und langfristig den Unternehmenserfolg realisiert.

6 Nicht kaputtsparen

Im Hinblick auf die Bedeutung der Talente und Topleister für den unternehmerischen Erfolg ist es erforderlich, bei notwendigen Budgetkürzungen mögliche Einsparpotenziale differenziert zu betrachten. vgl. Grafik 3. Es erscheint sinnvoll, temporär Ressourcen umzuschichten bzw. ganz gezielt in den Bereichen Rekrutierung, Qualifizierung und Bindung zu kürzen, um die Qualität des Talentmanagements für die Talente und Topleister als Ganzes aufrechtzuerhalten. Auch wenn ein entsprechendes Vorgehen schwierig im Unternehmen zu kommunizieren ist, leitet es sich dennoch stringent ab, wenn man das Fluktuationsrisiko und die Rekrutierungskosten unternehmerisch betrachtet. Es handelt sich hierbei um die konsequente und fokussierte Umsetzung des Talentmanagements.

Besonders die Option, durch Personalabbau kurzfristig Kostenstrukturen zu optimieren, ist in Bezug auf die genannten Zielgruppen keine sinnvolle Alternative. So stehen solchen Einsparungen die Kosten für die Rekrutierung neuer Mitarbeiter gegenüber, die spätestens im Anschluss an die Krise erforderlich sind. Meistens beziehen Unternehmen diese Aufwendungen nur bedingt oder gar nicht ein, wenn sie Einsparpotenziale ermitteln. Das Gleiche gilt für die Auswirkungen, die die Praxis des Entlassens und Wiedereinstellens auf das Image des Unternehmens als Arbeitgeber hat – ein Faktor, der die Rekrutierungskosten seinerseits wieder deutlich beeinflusst.

7 Nicht das Potenzial der Talente „verbrennen“

Gerade Talente und Topleister wollen bei „Gewinnern“ arbeiten. Alternativen, die sich bieten, und der persönliche Drive, die eigenen Karriereziele zu realisieren, sind Faktoren, die einen Wechsel begünstigen. Finanziell bedingte Einschnitte ins Talentmanagement, die bei diesen Mitarbeitergruppen deutlich spürbar werden, bleiben langfristig im Gedächtnis. Sie nehmen sie häufig als Fehler wahr, den sie nicht verzeihen. Spätestens bei einer künftigen Aufbruchstimmung in der Wirtschaft können diese Erfahrungen die persönliche Entscheidung gegen den Verbleib im Unternehmen entscheidend beeinflussen. Doch gerade dann suchen Unternehmen wieder händeringend Talente auf breiter Front.

Kontinuität sollte aber nicht nur in Bezug auf das Talentmanagement das Gebot der Stunde sein, sondern insbesondere auch bei den Talenten selbst: Downsizing von Personal, das das Unternehmen kostspielig rekrutiert und langfristig ausgebildet hat, bedeutet, Investitionen in Humankapital zu verschwenden, ohne den Return on Invest nutzen zu können.

Wichtig

Besonders wer einseitig und kurzfristig Kostenstrukturen optimiert, riskiert, das Potenzial der Talente zu „verbrennen“. Erst nachhaltiges Talentmanagement macht die Investition in das strategische Recruitment und die Mitarbeiterentwicklung rentabel und sichert zudem die bereits getätigten Investitionen.

8 Intelligente Strategien in der Krise

Talentmanagement muss demnach ganzheitlich ansetzen. Es soll zu gleichen Teilen sowohl Toptalente anziehen als auch die Belegschaft motivieren und qualifizieren. Nur das Zusammenspiel dieser beiden Faktoren gewährleistet, dass Leistungsträger dem Unternehmen verbunden bleiben. Aber es gibt auch andere Meinungen: „Warum sollten wir Mitarbeiter entwickeln, wenn es die Wettbewerber für uns tun?“ war die Reaktion eines CEO der Medizintechnik auf den Vorschlag der Personalabteilung, ein Managemententwicklungsprogramm zu etablieren. Damit stellte er ein hauseigenes Talentmanagement grundlegend infrage (Cappelli, 2008). Um kurzfristig Kosten für Aus- und Weiterbildung einzusparen, ist dieser Ansatz sicher eine mögliche Strategie. Sie setzt jedoch grundlegend eine hohe Erfolgsquote bei der Rekrutierung voraus. Diese wiederum hängt stark von der Arbeitgeberattraktivität ab. Fühlen sich Talente und Topleister erst einmal in hohem Maße ihrem eigenen Unternehmen verbunden, weil sich dort z. B. klare Karriere- und Entwicklungsperspektiven bieten, gerät die Strategie, erforderliche Kompetenzen vom Markt zu rekrutieren, schnell an ihre Grenzen.

Gerade in Krisenzeiten bietet nachhaltiges Talentmanagement jedoch einen weiteren Wettbewerbsvorteil. Beim viel zitierten „War for Talent“ handelt es sich um einen konjunkturunabhängigen und demografiebedingt langfristigen Trend, der spätestens am Ende der Krise wieder weit oben auf der Agenda der Unternehmen stehen wird. Gerade aufgrund des krisenbedingten Personalabbaus in vielen Betrieben besteht die Möglichkeit, aktuell und antizyklisch Personal aufzubauen bzw. sich den Zugriff auf erfolgskritische Ressourcen zu sichern: auf Einkaufstour nach Experten gehen, während andere downsizen.

Praxistipp

Insbesondere der Mittelstand hat die einmalige Chance, sich gerade jetzt als stabiler, krisenresistenter und damit attraktiver Arbeitgeber mit einer langfristigen Personalplanung zu positionieren und damit positiv von Wettbewerbern abzuheben.

9 Fazit

Kurzfristige Kosteneinsparungen sind in Krisenzeiten ein legitimes und notwendiges Managementinstrument, das auch vor dem Personalbereich nicht Halt macht. Dennoch ist besonders im Hinblick auf den Umgang mit den eigenen Talenten und Leistungsträgern eine langfristige Perspektive erforderlich, deren Blickwinkel über die aktuelle Krise hinausgehen muss. Aufgabe der Personalabteilung ist es, die Angebote für attraktive externe Bewerber sowie die eigenen Leistungsträger und Talente langfristig zu gestalten und kontinuierlich im Rahmen einer Talentmanagement-Strategie weiterzuentwickeln.

Es ist also keine Gewissensfrage, sondern eine schlichte Notwendigkeit, die bereits getätigten Investitionen in den Aufbau eines gezielten Arbeitgeberimages und eines umfassenden Talentmanagements abzusichern. Dies gelingt nur, indem Unternehmen auf diesem Gebiet kontinuierlich und nachhaltig agieren.

Übersicht: Literaturverzeichniss

Bodden, S., Glucksman, M. & Lasky, P., The war for technical talent, The McKinsey Quarterly, 2000

Cappelli, P., Talent Management for the Twenty-First Century, Harvard Business Review, 2008

Corporate Leadership Council, Attracting and Retaining Critical Talent Segments, 2006

Daum, J., Intangible Assets and Value Creation, 2001

Finegold, D. & Mohrman, S.A., What Do Employees Really Want? The Perception vs. The Reality, USC, Marshall School of Business, The Center for Effective Organizations, 2001

Eichinger, B., The ROI on People – The 7 vectors of research, 2004

Kienbaum, Personalkostenreduzierung und Outplacement, 2009

Towers Perrin, Winning Strategies for a Global Workforce, 2006

dies., What drives Employee Engagement, 2003

Vanderbuilt University, Are the 100 Best Better? An empirical investigation of the relationship between being a best employer and firm performance, 2000

Watson Wyatt, Human Capital Index: Human Capital as a Lead Indicator of Shareholder Value, 2001/2002 Survey Report

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – Personal-Profi · 4/09