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PROBLEMPUNKT

Gem. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. SGB III (Lösungstatbestand) tritt eine Sperrzeit wegen einer Arbeitsaufgabe ein, wenn die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst hat und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeiführt. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags erfüllt grundsätzlich diesen Lösungstatbestand, denn er kommt nur unter Mitwirkung des Arbeitnehmers zu Stande. In ständiger Rechtsprechung des BSG war jedoch auch schon bislang anerkannt, dass bei drohender objektiv rechtmäßiger Arbeitgeberkündigung ein die Sperrzeit ausschließender wichtiger Grund für den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung besteht. Die Gerichte prüften die Rechtmäßigkeit der drohenden Kündigung bislang im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle.

ENTSCHEIDUNG

Mit der Entscheidung vollzog das BSG eine – bereits angekündigte – Weiterentwicklung seiner ständigen Rechtsprechung. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der drohenden betriebsbedingten Kündigung entfällt nunmehr. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass bei einem Aufhebungsvertrag mit Abfindungsvereinbarung die Grenzen des § 1a Abs. 2 KSchG eingehalten werden und keine Gesetzesumgehung zulasten der Versicherungsgemeinschaft vorliegt (in § 1a Abs. 2 KSchG ist normiert, dass die Höhe der Abfindung 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses beträgt).

Im entschiedenen Fall war die schwerbehinderte Klägerin als Sachbearbeiterin/Sekretärin versicherungspflichtig beschäftigt. Am 10.5.2004 schloss sie einen Aufhebungsvertrag, der das Arbeitsverhältnis „auf Veranlassung des Unternehmens zur Vermeidung einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung unter Einhaltung der tariflichen bzw. einzelvertraglichen Kündigungsfristen“ zum 30.11.2005 beendete. Die Klägerin erhielt eine Abfindung i. H. v. 47.000 Euro. Nach einer Arbeitssuchendmeldung vom 17.5.2005 meldete sich die Klägerin am 5.10.2005 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Die Bundesagentur für Arbeit stellte den Eintritt einer Sperrzeit von zwölf Wochen sowie das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs vom 1.12.2005 bis 22.6.2006 fest und verminderte die Dauer des Leistungsanspruchs um 240 Tage. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe ihr Beschäftigungsverhältnis durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags ohne wichtigen Grund selbst gelöst.

Das BSG bestätigte die vorangegangene Entscheidung des LSG und erkannte, dass eine Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht eingetreten ist. Dabei entwickelte das BSG seine bisherige Rechtsprechung weiter: Bei der Frage, ob ein wichtiger Grund für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags bestand, prüfte das Gericht bisher stets, ob die drohende betriebsbedingte Kündigung rechtmäßig ist (zuletzt: Urt. v. 8.7.2009 – B 11 AL 17/08 R, BSGE 104, S. 57). Künftig entfällt die Prüfung der Rechtmäßigkeit. Das BSG änderte seine Rechtsprechung dahingehend, dass bei einem Aufhebungsvertrag mit Abfindungsvereinbarung in den Grenzen des § 1a Abs. 2 KSchG die Prüfung der Rechtmäßigkeit der drohenden Arbeitgeberkündigung entfällt und sich der Arbeitnehmer auf einen wichtigen Grund berufen kann, wenn keine Anhaltspunkte (z. B. offenkundig rechtswidrige Kündigung) für eine Gesetzesumgehung zulasten der Versichertengemeinschaft vorliegen. 

KONSEQUENZEN

Nach wie vor erfüllt der Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung den Lösungstatbestand des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 SGB III. Die jüngste Rechtsprechungsweiterentwicklung des BSG erleichtert jedoch die Darlegung eines die Sperrzeit ausschließenden wichtigen Grundes für den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung. Zwar prüften die Sozialgerichte die Rechtmäßigkeit der drohenden Kündigung bislang lediglich anhand einer Plausibilitätskontrolle, gleichwohl stand die „drohende“ Sperrzeit einer außergerichtlichen Einigung zur einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses oftmals im Wege. Nur zu oft führte die „drohende“ Sperrzeit in der Vergangenheit zu Rechtsstreitigkeiten vor den Arbeitsgerichten. Denn es ist ein weit verbreiteter Irrtum, arbeitsgerichtliche Vergleiche seien nicht sperrzeitrelevant. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des BSG zu begrüßen. Abzuwarten bleibt jedoch, welche Voraussetzungen die Rechtsprechung an eine „offenkundig rechtswidrige Kündigung“ stellen wird. Im vorliegenden Fall bedurfte es jedenfalls keiner vorherigen Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung der schwerbehinderten Arbeitnehmerin.

Praxistipp

Gerade bei größeren Personalabbaumaßnahmen ist der oben beschriebene Umweg über die Arbeitsgerichte besonders zeitraubend und führt regelmäßig zu unnötigen Mehrkosten. Die höchstrichterliche Entscheidung des BSG erleichtert den Arbeitgebern zukünftig die Argumentation für den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung ohne den unnötigen Umweg über die Arbeitsgerichte.

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Quelle: Arbeit & Arbeitsrecht | Ausgabe Nr. 2 / 2014
Fotocredit:© Dieter Schütz | www.pixelio.de