Fall I

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Foto von cetteup

Ist der Arbeitnehmer

a) bei mindestens 2 EU-Arbeitgebern beschäftigt und
b) in seinem Wohnsitzstaat nicht wesentlich tätig,

dann hängt die sozialversicherungsrechtliche Zuständigkeit davon ab, ob die Arbeitgeber alle in demselben oder in verschiedenen EU-Staaten ansässig sind und ob einer der Arbeitgeber seinen Sitz im Arbeitnehmer- Wohnsitzstaat hat. Den Wohnsitz (Wohnsitzstaat) hat der Arbeitnehmer dort, wo der (private) Mittelpunkt seiner Lebensinteressen ist. Eine Tätigkeit ist dann nicht wesentlich, wenn ihr Anteil an der Gesamttätigkeit des Arbeitnehmers weniger als 25 Prozent der Arbeitszeit und/oder des Einkommens beträgt. Bei der Beurteilung ist das Gesamtbild seiner Tätigkeiten (zum Beispiel Anzahl der Kunden, Umsatz, Arbeitszeit oder Höhe des Entgelts) zu betrachten. Beim Vergleich der Einkommen sind die unterschiedlichen Lohnniveaus in den einzelnen EU-Staaten zu berücksichtigen.

Abbildung 1 zeigt, wie Art. 13 der VO 883/2004 nach der Abänderung durch die VO 465/2012 die sozialversicherungsrechtliche Zuständigkeit für die „Kollisionsnorm – Typ 2“
regelt.

Damit die sozialversicherungsrechtliche Zuordnung korrekt erfolgt, ist der Arbeitgeber auf Informationen des Arbeitnehmers angewiesen. Der Arbeitgeber muss wissen, ob und wenn ja, in welchen EU-Staaten weitere Arbeitgeber des Arbeitnehmers ihren Sitz haben und ob der Arbeitnehmer in seinem Wohnsitzstaat wesentlich beschäftigt sein wird.

Abhängig von den erhaltenen Informationen hat der Arbeitgeber den Antrag bei der dann zuständigen Sozialversicherungsbehörde zu stellen, damit ein entsprechendes Formular A 1 ausgestellt wird. Mit diesem Formular weist der Arbeitnehmer nach, dass er in jenem Staat versichert ist, der das Formular A1 ausgestellt hat, und dass daher die anderen EU-Staaten kein Recht haben, Sozialversicherungsbeiträge für das Entgelt des Arbeitnehmers einzuheben.

Drei Beispiele zum besseren Verständnis:
Beispiel 1: Werner Umtriebig, wohnhaft inWien, hat zwei Jobs als Arbeitnehmer. Er ist einerseits bei der in Bratislava ansässigen Handels GmbH als teilzeitbeschäftigter Kundenbetreuer tätig und besucht Kunden in der Slowakei (etwa 30 Wochenstunden) und Kunden in Österreich (etwa fünf Wochenstunden). Außerdem arbeitet Werner Umtriebig fünf bis sechs Stunden pro Woche als angestellter Fitnesstrainer für eine Sporthalle in Bratislava.

Welcher Staat ist sozialversicherungsrechtlich zuständig?

Lösung: Werner Umtriebig hat mehrere Arbeitgeber im selben EU-Staat (= Slowakei) und er ist in seinem Wohnsitzstaat Österreich nicht wesentlich tätig. Es gilt die obige „Regel A“ und somit das Sozialversicherungsrecht des Sitzstaates der beiden Arbeitgeber (= Slowakei).

Beispiel 2: Der in Innsbruck lebende Karl Schlau arbeitet 40 Wochenstunden als Arbeitnehmer in Deutschland für eine deutsche Unternehmensberatungsfirma. Um sein Einkommen aufzubessern, unterrichtet er durchschnittlich fünf Wochenstunden in Innsbruck als angestellter Trainer des WIFI-Tirol.

Welcher Staat ist sozialversicherungsrechtlich zuständig?

Lösung: Karl Schlau hat mehrere Arbeitgeber, wovon ein Arbeitgeber im Arbeitnehmer- Wohnsitzstaat Österreich und ein Arbeitgeber in einem anderen EU-Staat ansässig ist. Da Karl Schlau in seinem Wohnsitzstaat Österreich nicht wesentlich tätig ist, gilt die obige „Regel B“. Es wird somit das Sozialversicherungsrecht des Sitzstaates jenes Arbeitgebers angewendet, der nicht im Arbeitnehmer-Wohnsitzstaat Österreich ansässig ist. Es besteht also Sozialversicherungspflicht in Deutschland.

Hinweise zu dieser Lösung: Nach „altem“ Recht, also vor der Änderung der VO 883/2004 durch die VO (EU) 465/2012, hätte österreichisches Sozialversicherungsrecht gegolten. Da der Arbeitnehmer für mehrere, in verschiedenen EU-Staaten ansässige Arbeitgeber tätig ist, war vormals immer das Sozialversicherungsrecht des Arbeitnehmer-Wohnsitzstaates anzuwenden. Es war in diesem Fall unerheblich, in welchem Ausmaß der Arbeitnehmer in seinem Wohnsitzstaat tätig ist.

Die VO (EU) 465/2012 sieht aufgrund der Änderung eine Übergangsregelung vor. Die bisherigen „Alt-Bestimmungen“ bleiben weiterhin unverändert für bis zu zehn Jahre anwendbar, sofern
a) sich der am 28. Juni 2012 vorliegende Sachverhalt nicht ändert oder
b) nicht ausdrücklich beantragt wird, dass künftig freiwillig die neuen Regeln der VO (EU) 465/2012 angewandt werden sollen.

Beispiel 3: Paul Mozzarella, wohnhaft in Spielfeld (Steiermark), arbeitet als angestellter Handelsvertreter eines italienischen Arbeitgebers zu etwa 90 Prozent in Italien und Slowenien und zu etwa zehn Prozent in Österreich. Um sein Einkommen aufzubessern, arbeitet er an den Wochenenden fünf bis sechs Wochenstunden als angestellter Discjockey in einer Disco in Maribor (Slowenien).

Welcher Staat ist sozialversicherungsrechtlich zuständig?

Lösung: Paul Mozzarella hat mehrere, in verschiedenen EU-Staaten ansässige Arbeitgeber. Bei keinem der EU-Arbeitgeber ist deren Sitzstaat ident mit dem Arbeitnehmer-Wohnsitzstaat Österreich. In diesem Fall gilt die obige „Regel C“, das heißt: Es ist das Sozialversicherungsrecht des Arbeitnehmer-Wohnsitzstaates Österreich anzuwenden, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer in seinem Wohnsitzstaat wesentlich, unwesentlich oder gar nicht tätig ist.

Fall II
Ist der Arbeitnehmer

a) bei mindestens zwei EU-Arbeitgebern beschäftigt und
b) in seinem Wohnsitzstaat wesentlich tätig, dann ist immer der Wohnsitzstaat sozialversicherungsrechtlich zuständig.

Besucht – anders als im obigen Beispiel 1 – Herr Umtriebig nur Kunden in Österreich (40 Wochenstunden) und arbeitet zu etwa acht Stunden pro Woche nebenbei als Fitnesstrainer in der Sporthalle in Bratislava, dann ist Österreich (= Wohnsitzstaat) sozialversicherungsrechtlich zuständig, weil Herr Umtriebig in seinem Wohnsitzstaat Österreich wesentlich tätig ist.

Kollisionsnorm – Typ 1: Der Arbeitnehmer ist fortwährend in zwei oder mehr Mitgliedstaaten aktiv. Beispiel: Der Mitarbeiter eines Arbeitgebers mit Sitz in der EU ist laufend in mehreren EU-Staaten tätig.

Kollisionsnorm – Typ 2: Der Arbeitnehmer ist in einem EU-Mitgliedstaat beschäftigt und hat zeitgleich eine gesonderte Tätigkeit in einem oder mehreren anderen EU-Ländern. Beispiel: Er arbeitet für mindestens zwei EU-Arbeitgeber in zumindest zwei verschiedenen EU-Staaten.

Entscheidend für die Anwendung des Artikels 13 der VO 883/2004 ist, dass der Arbeitnehmer zumindest im Beobachtungszeitraum von zwölf Monaten in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten tätig ist.

Die innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten (bezogen auf das Einkommen) geringfügigen Tätigkeiten des Arbeitnehmers sind bei der obigen Beurteilung zu vernachlässigen.

Beispiel: Ein Mitarbeiter einer Wiener Steuerberatungskanzlei betreut nur Klienten in Österreich. Einmal im Jahr hat er in München eine Vortragstätigkeit über Neuerungen in der österreichischen Personalverrechnung. Diese Vortragstätigkeit ist eine vernachlässigbare, geringfügige Tätigkeit.

Teil 2 der Serie befasste sich mit den Zuordnungsregeln der „Kollisionsnorm – Typ 1“. Teil 3 informiert nun über die „Kollisionsnorm – Typ 2“.

www.bmask.gv.at/site/Service/Formulare_und_Antraege (Download des Ausnahmeantrags für den Verbleib im österreichischen Sozialversicherungssystem)

www.personal-manager.at/checklisten
Hier finden Abonnenten eine Praktiker-Checkliste (entnommen der PVP Juli 2012), die beschreibt, welche EU-Verordnung für welche Entsendungsfälle gilt.

Auch wenn der Arbeitnehmer in mehreren EU-Staaten tätig ist, sind immer nur die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen eines einzigen Mitgliedstaates anzuwenden.

Wenn keine Ausnahme anwendbar ist, dann gelten die sozialversicherungsrechtlichen Be-stimmungen jenes EU-Staates, in dem der Arbeitnehmer tätig ist.

Diese Prinzipien beschreiben die seit dem 1. Mai 2010 geltenden EU-Verordnungen:

  • die VO (EG) Nr. 883/2004, kurz: VO 883/2004 und
  • ihre Durchführungs-VO (EG) Nr. 987/ 2009, kurz: DVO 987/2009.

Seit dem 28. Juni 2012 ist die vor Kurzem veröffentlichte VO (EU) 465/2012 in Kraft, die VO 883/2004 abändert.

Die Neuregelung betrifft Arbeitnehmer, die

  • bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt sind, die
  • alle in zwei EU-Staaten ansässig sind, wobei
  • ein EU-Staat ident ist mit dem Arbeit-nehmer-Wohnsitzstaat und
  • der Arbeitnehmer in seinem Wohnsitzstaat nur weniger als 25 Prozent seiner Arbeitszeit tätig ist.

Wie sich diese Änderung konkret auswirkt, wird im Folgenden noch näher erläutert.

Seit 2012 gelten die genannten Verordnungen – mit Ausnahme der Änderung – auch in den EWR-Staaten (Island, Liechtenstein und Norwegen) und in der Schweiz für Entsendungen beziehungsweise zum überwiegenden Teil auch für Arbeitnehmer, die in mehreren EU-Staaten tätig sind oder mehrere EU-Arbeitgeber haben. Die folgenden Ausführungen gelten daher – mit Ausnahme der Abänderung – auch für diese Länder.

Grundsätzlich existieren drei wichtige Ausnahmen vom Beschäftigungslandprinzip:

  1. die Entsendung (Art. 12 der VO 883/2004)
  2. mehrfache Erwerbstätigkeiten (gleichzeitige oder kontinuierlich abwechselnde Ausübung mehrerer Erwerbstätigkeiten in mehreren EU-Staaten; Art. 13 der VO 883/2004)
  3. die Ausnahmevereinbarung (Art. 16 der VO 883/2004)

Dieser Artikel informiert über die zweite Ausnahme (= mehrfache Erwerbstätigkeiten), die Artikel 13 der VO 883/2004 beschreibt. Dieser Artikel wird als Kollisionsnorm bezeichnet, weil er die sozialversicherungsrechtlichen Zuständigkeiten bei Mehrfachtätigkeiten regelt. Der erste Satz dieser Norm lautet: „Eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, unterliegt …“. Dann zählt die Norm einzelne Anwendungsfälle auf.

Wer mehr über das Thema Entsendungen erfahren möchte, kann das Seminar „Basiswissen Mitarbeiterentsendung“ besuchen, das Autor Ernst Patka für die Akademie für Recht und Steuern (ARS) hält. Die nächsten Veranstaltungen sind am 09.01.2013 in Wien, am 21.02.2013 in Feldkirch sowie am 09.03.2013 in Linz.
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Quelle: personal manager Zeitschrift für Human Resources Ausgabe 1 Jänner / Februar 2013

Zwei zentrale Prinzipien gelten für die Sozialversicherung von Mitarbeitern, die in verschiedenen EU-Staaten beschäftigt sind: