Bei einer “Behinderung” nach § 2 Abs. 1 SGB IX, die keine “Schwerbehinderung” im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX darstellt (= festgestellter Grad der Behinderung unter 50), gilt dies jedoch nicht, weil hier die genannten besonderen Pflichten des Arbeitgebers nach dem SGB IX nicht dergestalt ausgelöst werden wie bei einem Schwerbehinderten. Bei Behinderten ist die Frage daher nur zulässig, wenn sie arbeitsplatzrelevant ist. Gleiches muss dann auch nach der neuesten Rechtsprechung des EuGH (Az. C-335/11 und C-337/11) für solche Krankheiten gelten, die eine physische, geistige oder psychische Einschränkung von langer Dauer mit sich bringen und ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bilden. Unerheblich ist, ob die Krankheit heilbar oder unheilbar und ob sie angeboren ist oder später erworben wurde. Besteht jedoch keine Arbeitsplatzrelevanz, muss dem Arbeitnehmer die Entscheidung überlassen bleiben, ob er diese Behinderung von sich aus offenbart oder nicht.
Praxistipp für Arbeitgeber
Um hier als Arbeitgeber aber auf Nummer sicher zu gehen, ist zu empfehlen, die Frage nach der Schwerbehinderung nach Ablauf von 6 Monaten zur schriftlichen Beantwortung den Neueingestellten nochmals zu stellen, weil erst ab diesem Zeitpunkt Rechtssicherheit besteht und dann bei falschen Angaben auch arbeitsrechtliche Maßnahmen ergriffen werden können. Dies ist solange zu empfehlen, bis Rechtssicherheit besteht, ob die Frage nach der Schwerbehinderung auch bei der Einstellung schon gestellt werden darf.
Wahrheitswidrige Beantwortung kann
Konsequenzen für den Arbeitnehmer haben
Wenn der Arbeitnehmer die zulässige Frage nach der Schwerbehinderung falsch beantwortet, kann dies Konsequenzen haben. Im Fall des BAG aus 2012 konnte sich der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess nicht mehr darauf berufen, dass er schwerbehindert ist. Die Falschbeantwortung kann auch zu einer verhaltensbedingten Kündigung führen, wenn das Vertrauen in den Arbeitnehmer nicht mehr vorhanden ist. Eine personenbedingte Kündigung ist ebenfalls denkbar, wenn die vertraglich geschuldete Tätigkeit von einem Schwerbehinderten nicht ausgeübt werden kann oder darf und dies der Arbeitgeber nachträglich erfährt. Bejaht man die Frage nach der Schwerbehinderung auch im Einstellungsverfahren, kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten, wenn der Arbeitnehmer ihm diesbezüglich wissentlich eine falsche Auskunft gegeben hat. Auch Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitnehmer wegen einer falschen Beantwortung sind in diesem Fall denkbar, sofern ein Schaden beim Arbeitgeber vorliegt (z.B. Entrichtung der Ausgleichsabgabe, obwohl das nicht erforderlich gewesen wäre).
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Das Wissen über eine Schwerbehinderung eines Bewerbers oder schon eingestellten Arbeitnehmers ist für eine ganze Reihe von Folgefragen für den Arbeitgeber wichtig. Daher hat der Arbeitgeber ein Interesse daran, zu erfahren und gegebenenfalls zu erfragen, ob ein Arbeitnehmer schwerbehindert ist. Die Frage ist, ob und wenn ja, wo Grenzen zu ziehen sind.
So muss zunächst einmal ein Stelleninhaber in körperlich-geistiger Hinsicht in der Lage sein, die geforderten Arbeiten verrichten zu können. Ist eine Stelle beispielsweise mit dem Tragen schwerer Lasten verbunden, scheiden Personen aus, die körperlich diesbezügliche Einschränkungen haben. Der Arbeitgeber muss dies erfragen dürfen. Weiter ist für Unternehmen die Kenntnis von der Schwerbehinderung im Hinblick auf besondere gesetzliche Vorschriften insbesondere nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) von Relevanz. So können Kündigungen von Schwerbehinderten nur mit Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochen werden. Der Arbeitgeber muss wissen, ob er die Anzahl an Pflichtarbeitsplätzen erfüllt oder eine Ausgleichsabgabe zu zahlen hat. Schwerbehinderte haben Zusatzurlaub und der Arbeitgeber ihnen gegenüber besondere Fürsorgepflichten. Kurz gesagt: Ohne Kenntnis der Schwerbehinderung kann der Arbeitgeber seine ihm durch Gesetz auferlegten Pflichten nicht erfüllen.
Im Jahr 2012 hat das BAG entschieden, dass zumindest im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach sechs Monaten nach einer Schwerbehinderung gefragt werden darf, insbesondere wenn es der Vorbereitung von Kündigungen dient (Az. 6 AZR 553/10). Die sechs Monate sind der Zeitraum, nach dem schwerbehinderte Menschen Sonderkündigungsschutz nach dem SGB IX erhalten, so dass dann die Kenntnis der Schwerbehinderung für den Arbeitgeber nicht nur für seine Überlegungen hinsichtlich einer Sozialauswahl relevant ist, sondern auch für die Frage, ob das Arbeitsverhältnis überhaupt ordentlich gekündigt werden kann. Die Frage ist nach sechs Monaten also deswegen zulässig, weil dem Arbeitgeber ermöglicht werden muss, sich rechtstreu zu verhalten.
Ungeklärt: Frage auch im
Einstellungsverfahren zulässig
Dadurch wurde jedoch noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt, ob die Frage nach der Schwerbehinderung auch schon im Einstellungsverfahren zulässig ist, wenn die Schwerbehinderung nicht stellenrelevant ist.
Richtigerweise wird man dies aus unserer Sicht aber ebenfalls bejahen müssen. Der Arbeitgeber hat vom ersten Tag an Pflichten, der Schwerbehinderte eine besonders geschützte Stellung. Es kann nicht allein auf den Kündigungsschutz nach Ablauf von sechs Monaten abgestellt werden, schon allein deswegen, weil den Arbeitgeber auch schon vor diesem Zeitpunkt die Pflicht trifft, entweder eine bestimmte Anzahl an Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte bereitzustellen oder bei Nichterfüllung dieser Pflicht eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Das heißt, auch bei der Einstellung muss der Arbeitgeber nach einer Schwerbehinderung fragen dürfen.
Vor dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im Jahr 2006 war es nach der Rechtsprechung des BAG dem Arbeitgeber daher erlaubt, nach der Schwerbehinderteneigenschaft zu fragen. Der Arbeitnehmer musste hierauf wahrheitsgemäß antworten.
Mit dem Inkrafttreten des AGG ist die herrschende Literaturmeinung, dass der Arbeitgeber aus Diskriminierungsgründen nicht mehr nach der Schwerbehinderteneigenschaft fragen dürfe, sofern diese nicht für die Ausübung der Tätigkeit entscheidend ist. Die Frage nach einer Behinderung stelle demnach eine mittelbare Benachteiligung dar, die nicht gerechtfertigt werden könne. Im Jahr 2011 ließ das BAG noch offen, ob die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft zulässig ist, weil es im Fall nicht darauf ankam.