Berufserfahrung hängt nicht vom Alter ab

three men sitting on chair beside tables
Foto von Austin Distel

Die Nichtberücksichtigung von Berufserfahrung, die ein Beschäftigter im Tochterunternehmen eines Konzerns erworben hat, ist keine Diskriminierung wegen des Alters. Der Arbeitgeber muss diese Beschäftigungsjahre daher nicht bei der Entlohnung seiner Mitarbeiter berücksichtigen. Zu diesem Urteil ist der Europäische Gerichtshof im Fall der österreichischen Fluggesellschaft Tyrolian Airways gekommen. Diese streitet sich mit ihrem Betriebsrat über die Frage der Berücksichtigung von Vordienstzeiten bei den anderen beiden Tochtergesellschaften des Austrian Airlines Konzerns – Austrian Airlines und Lauda Air – in Verwendungsgruppen. Davon hängt die Höhe des Entgelts ab. Nach dem Kollektivvertrag der Tyrolian werden die Flugbegleiter nach Vollendung des dritten Dienstjahres auf die höhere Verwendungsgruppe umgestuft.

In diesem Zusammenhang wollte das Landesgericht Innsbruck wissen, ob es gegen die EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung (2000/78/EG) verstößt, wenn für die Einstufung nur die bei einer bestimmten Luftlinie des Konzerns erworbene Berufserfahrung zählt, nicht aber die identische Erfahrung bei einer anderen Tochtergesellschaft. Tut es nicht, so die Europarichter. Eine derartige Klausel könne zwar zu einer Ungleichbehandlung in Abhängigkeit vom Einstellungsdatum mit dem jeweiligen Arbeitgeber führen. Dieser Unterschied beruhe aber weder unmittelbar noch mittelbar auf dem Alter. Denn nach Ansicht des EuGH bleibt die Berufserfahrung unabhängig vom Alter unberücksichtigt (Az.: C-132/11).

Quelle: www.lohn-praxis.de, Von Oliver Stilz, 12. Juni 2012

Straßennamen im Fahrtenbuch reichen dem BFH als Ziel nicht aus

Ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch muss insbesondere Datum und Ziel der jeweiligen Fahrt ausweisen. Diese Anforderung ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht erfüllt, wenn als Fahrtziele jeweils nur Straßennamen angegeben sind, selbst dann, wenn diese Angaben anhand nachträglich erstellter Auflistungen präzisiert werden. Eine GmbH hatte ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer (GGF) einen Dienstwagen überlassen. Im Rahmen der Lohnsteueranmeldung verlangte sie, den für die Dienstwagenüberlassung angesetzten geldwerten Vorteil nicht mit der 1%-Regelung, sondern auf Grundlage der vom GGF geführten Fahrtenbücher zu versteuern. Diese wiesen allerdings neben dem jeweiligen Datum zumeist nur Ortsangaben auf, gelegentlich auch die Namen von Kunden oder Angaben zum Zweck der Fahrt (z. B. Tanken); außerdem den Kilometerstand nach Fahrtende und die jeweils gefahrenen Tageskilometer. Daneben hatte die GmbH nachträglich eine Auflistung ergänzt, die sie auf Grundlage eines handschriftlich geführten Tageskalenders des GGF erstellt hatte. Diese enthielt Datum, Standort und Kilometerstand des Fahrzeugs zu Beginn der Fahrt, sowie den Grund und das Ziel der Fahrt.

Der BFH verwarf das Fahrtenbuch jetzt als nicht ordnungsgemäß, weil die Fahrten darin nicht vollständig aufgezeichnet seien. Eine solche vollständige Aufzeichnung verlangt nach Ansicht der Richter grundsätzlich Angaben zu Ausgangs- und Endpunkt jeder einzelnen Fahrt im Fahrtenbuch selbst. Dem genügten die Angaben des GGF nicht, da sich aus ihnen weder die Zieladresse noch der konkret besuchte Kunde ergäben. Somit waren laut Urteil weder Vollständigkeit noch Richtigkeit der Einträge gewährleistet. Bei dieser Art der Aufzeichnung reiche es nicht aus, die fehlenden Angaben nachträglich hinzuzufügen (Az.: VI R 33/10).

Quelle: www.lohn-praxis.de, Von Oliver Stilz, 29. Mai 2012
 

Leistungen ersetzen Mindestlohn nur teils

Liegt das Arbeitsverhältnis eines Beschäftigten im Geltungsbereich eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags, hat er gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf den dort geregelten Mindestlohn. Für die Frage, ob und inwieweit der Arbeitgeber diesen Anspruch durch anderweitige Leistungen erfüllt hat, kommt es darauf an, welchen Zweck diese haben. Sie sind nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dann „funktional gleichwertig zu Mindestlohn“, wenn sie dazu dienen, die nach dem Tarifvertrag vorausgesetzte Normalleistung abzugelten; nicht aber, wenn sie über die vom Tarifvertrag vorausgesetzte Verpflichtung hinaus geleistete Überstunden oder besonders schwere Arbeit vergüten sollen.

Zuschläge In diesem Zusammenhang haben sich die Richter mit der Vergütung von zwei Gebäudereinigern befasst, die nach dem konzerneigenen Tarifvertragssystem der Deutschen Bahn entlohnt werden. Dabei lagen die Grundstundenlohne unter den tariflichen Mindestlöhnen der Branche, der Arbeitgeber zahlte aber zusätzlich verschiedene Zuschlage, Einmalzahlungen, Urlaubsgelder und vermögenswirksame Leistungen.

Von Fall zu Fall

In einem Fall (Az.: 4 AZR 139/10) gab das BAG der Deutschen Bahn Recht, da neben dem Tariflohn für jede Arbeitsstunde eine „Verkehrsmittelzulage“ floss, mit der der Beschäftigte oberhalb des Mindestlohns lag. Eine solche Zulage kenne der Branchentarifvertrag nicht. Im zweiten Fall (Az.: 4 AZR 168/10) versuchte die Bahn, die Lucke zum Mindestlohn mit vermögenswirksamen Leistungen zu schließen. Diese sind aus Sicht der Richter aber nicht funktional gleichwertig zum Lohn. Das BAG hat jetzt den Europaischen Gerichtshof eingeschaltet. Dieser soll klären, wie der Begriff „Mindestlohnsatze“ auszulegen ist.

Quelle: LohnPraxis – Nr. 6/7 – Juni/Juli 2012


Haustarifverträge haben nicht immer Vorrang

Wird von tarifgebundenen Arbeitgebern in vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossenen Arbeitsvertragen mit nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten die Anwendbarkeit des jeweiligen Flächentarifvertrages und der sich diesem Regelwerk anschließenden Tarifverträge vereinbart, handelt es sich laut ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts um eine so genannte Gleichstellungsklausel. Durch sie sollen alle Tarifverträge anwendbar sein, die für den Arbeitgeber gelten. Gibt es einen Haustarifvertrag, verdrängt dieser den im Vertrag ausdrücklich genannten Flächentarifvertrag. Höhere tarifliche Zahlungen an Gewerkschaftsmitglieder sind wirksam.

Stichtag 1.1.2002

Anders verhält es sich dagegen bei Vertragen, die nach dem 1.1.2002 geschlossen wurden. Wird hier mit nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten die Anwendbarkeit des jeweiligen Flächentarifvertrags vereinbart, verdrängen ungünstigere Haustarifvertrage diese Vereinbarung nicht. Anderes gilt nur, wenn es für eine gewollte Verdrängung konkrete Anhaltspunkte im Arbeitsvertrag gibt. Bereits seit 2007 streiten sich in unterschiedlichen Verfahren viele Beschäftigte einer in Schleswig-Holstein und Mecklenburg- Vorpommern tätigen Krankenhausholding um die Hohe des Weihnachtsgeldes. Zu der Holding gehören verschiedene Krankenhauser, von denen viele – darunter auch das beklagte – vor ihrer Eingliederung in die Holding kommunal betrieben wurden und damit an die Tarifvertrage des öffentlichen Dienstes gebunden waren. Die Anwendung des BAT wurde mit allen Beschäftigten arbeitsvertraglich festgehalten, den Mitarbeitern wurden einheitliche Sonderzuwendungen des öffentlichen Dienstes nach BAT (später TVöD) gezahlt.

Zum 25.3.2007 schlossen die Gewerkschaften ver.di und NGG mit der Krankenhausholding einen eigenen Sonderzuwendungstarif als Haustarifvertrag ab. Danach erhalten alle Mitarbeiter ab 2007 für jedes Wirtschaftsjahr eine von Betriebsergebnis abhängige Sonderzahlung auf Basis eines bestimmten Faktors, wobei für die Mitglieder von ver.di und NGG jeweils höhere Faktoren vereinbart wurden. Die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer erhielten für die strittigen Zeiträume dagegen in Anwendung des Haustarifvertrages teils weniger als die Hälfte der sich nach BAT ergebenden Ansprüche. Gestritten wird nun um die Differenz zum BAT -Anspruch, mindestens aber um den höheren haustariflichen Anspruch für Gewerkschaftsmitglieder.

Anhaltspunkte

Mit Verweis auf die Gleichstellungsklausel hat das Landesarbeitsgericht Schleswig- Holstein in mittlerweile vier Fällen, in denen die Vertrage vor dem 1.1.2002 geschlossen wurden, die Zahlungsklagen abgewiesen (u. a. Az.: 2 Sa 247/11). Der Flachen- sei durch den Haustarifvertrag verdrängt worden, die tarifliche Besserstellung von gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern zulässig. Bei den so genannten Neuvertragen haben die Richter in drei Fällen (u. a. Az.: 3 Sa 230/11) dagegen den Klagen stattgegeben. Die Verträge wiesen keine Anhaltspunkte auf, wonach der konkret genannte Flächentarifvertrag BAT durch spätere, an sich sachnähere Haustarife verdrängt werden sollte. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist in allen Fällen zugelassen.

Quelle: LohnPraxis – Nr. 6/7 – Juni/Juli 2012

Zeitarbeitsfirma muss Beiträge nachzahlen

Das Sozialgericht Worms hat ein Zeitarbeitsunternehmen zur Nachzahlung von SV-Abgaben für Leiharbeiter in Hohe von rund 1,4 Mio. Euro verdonnert. Die Beschäftigten waren auf der Grundlage seitens der Tarifgemeinschaft CGZP ausgehandelter Tarifvertrage bezahlt worden, die den Arbeitgebern die Möglichkeit bot, den Leiharbeitern einen niedrigeren Lohn auszubezahlen als den Stammarbeitskräften. Folglich fielen auch die von der Zeitarbeitsfirma abgeführten SV-Beiträge geringer aus.

Nachdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) festgestellt hat, dass die CGZP nicht tariffähig war, haben die Sozialrichter jetzt deutlich gemacht, dass die mit der CGZP abgeschlossenen Tarifvertrage den Anspruch der Leiharbeitnehmer auf gleiche Bezahlung auch für Zeiten vor dem BAG-Beschluss nicht verdrängen können. Die vom BAG festgestellten Mängel in der aktuellen Satzung der CGZP seien auch schon in früheren Satzungen enthalten gewesen. Vorläufiges Urteil Daher kann sich das Zeitarbeitsunternehmen laut Gericht nicht darauf berufen, auf die Gültigkeit dieser Tarifverträge vertraut zu haben. Bis zu einem abschließenden Urteil müsse die Zeitarbeitsfirma daher die SV-Beitrage nachzahlen, die sich aus der Differenz zwischen dem gezahlten Entgelt und dem eigentlich geschuldeten Lohn ergeben (Az.: S 11 R 1609/12 ER).

Quelle: LohnPraxis – Nr. 6/7 – Juni/Juli 2012