Frank Baumann-Habersack legt mit seinem Buch zur Humanisierung von Organisationen als strategisches Erfolgspotenzial einen Leitfaden für Entscheider in Politik und Wirtschaft vor. Der Autor bietet nichts Geringeres als eine konkrete Perspektive zur kulturellen und strategischen Veränderung von Organisationen. Führung nach seinem Verständnis der „neuen Autorität“ bedeutet eine Art Kulturrevolution. Demokratisierung wird zum wirtschaftlichen Erfolgskonzept. Diskurs ersetzt Direktive. Entscheider ordnen nicht mehr an, sondern überzeugen. Sie generieren Sinn, Transparenz und kooperative Handhabbarkeit komplexer vernetzter Zusammenhänge im Zeitalter von Digitalisierung.

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Foto von Andrea Natali

Baumann fokussiert seine Ausführungen vorrangig auf Unternehmen der Wirtschaft. Aber die aufgezeigten Impulse und Ausblicke lassen sich ohne Weiteres auch auf andere Systeme der Gesellschaft, wie Politik, Gesundheitswesen, Schule und Familie, übertragen. Deshalb werden Verantwortungsträger in diesen Bereichen, z.B. Geschäftsführer, Führungskräfte und Organisationsentwickler, aber auch Berater und Coaches, von der Lektüre profitieren. Sie erhalten mit diesem Buch einen informativen und bereichernden Leitfaden. Er hilft, eigenes Verhalten zu reflektieren, autoritäre Strukturen zu erkennen und als Gegenentwurf einen glaubwürdigen, respektvollen Führungsstil zu entwickeln. Damit steigern sie die Wirksamkeit ihres Handelns zum Vorteil aller Beteiligten.

Baumanns Argumente und Thesen zeigen, wie über eine achtsame, wertschätzende und sich permanent selbst reflektierende Führungskultur die Leistungsfähigkeit von Teams, Abteilungen und ganzen Organisationen nachhaltig zu verbessern ist. Dazu gehört effektive Kommunikation über Arbeitsziele, Strukturen, Verantwortlichkeiten und Prozesse sowie eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Führung und Mitarbeitenden auf Augenhöhe. Sein demokratisches, diskursives und partizipatives Führungsverständnis ist ein Erfordernis für die komplexen Veränderungsprozesse, in denen sich Unternehmen und unsere Gesellschaft insgesamt befinden. Aber es ist gleichzeitig auch ein Beitrag zur Humanisierung der Arbeit sowie zum Erhalt der psychischen und physischen Leistungsfähigkeit von Beschäftigten.

Gesundheitsreports von Krankenkassen und Berechnungen des Statistischen Bundesamtes dokumentierten einen kontinuierlichen Anstieg von krankheitsbedingten Fehltagen und Krankheitskosten seit Anfang/Mitte des letzten Jahrzehnts. Die Kosten sind auch für Arbeitgeber immens hoch. Vor diesem Hintergrund ist die von Baumann aufgezeigte Option der Verbesserung von Arbeitsbedingungen von erheblicher Bedeutung. Gilt doch gerade der Anstieg von Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen als besonders signifikant. Somit dürften auch Verantwortliche für Betriebliches Gesundheitsmanagement sowie Arbeitnehmer und deren Vertreter das Buch als einen Fundus wegweisender Anregungen empfinden. Denn es zeigt, wie im betrieblichen Alltag Strukturen, Prozesse und Führung gleichermaßen leistungs- und gesundheitsorientiert gestaltet werden können. Baumanns Ausführungen lassen sich deshalb auch als Präventionsprogramm und strategisches Erfolgspotenzial für betriebliches Gesundheitsmanagement nutzen. Insofern rückt seine „Neue Autorität in Führung“, die sich auf den ersten Blick scheinbar eher aus sozial- sowie unternehmensethischen Werten ableiten lässt, in den Fokus einer rentabilitätsorientierten Unternehmenspolitik. Sie wird zu einem gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Topthema.

Das Buch ist trotz seines hohen Informationsgehalts sowie der vielfältigen Perspektiven und Argumente gut und zügig zu lesen. Dies liegt am praxisorientierten, verständlichen Sprachstil des Autors, der Komplexität reduziert. Dabei liefert er einen großen Fundus an etymologischen, historischen, wirtschaftlichen und politischen Hintergrundinformationen zum Autoritätsbegriff. Und er stellt dessen Bezüge zu den Begriffen Bürokratie, Macht, Gewalt und Herrschaft klar strukturiert dar. Vor diesem Hintergrund gelingt es ihm, die Führungsstilmodelle der letzten Jahrzehnte einzuordnen, zu bewerten und Affinitäten zu autoritärem Führen aufzuzeigen. Spannend und gut nachvollziehbar beschreibt er, wie das Verhalten von Führungskräften durch ihre Persönlichkeitsstruktur, ihre Biografie, ihr erlerntes Rollenverhalten, ihr Wertesystem, ihr Wissen und ihr situationsbedingtes Stresslevel geprägt wird. Und er begründet eindringlich, welchen entscheidenden Einfluss der strukturelle und bürokratische Kontext, in dem Führungskräfte arbeiten, auf ihren Führungsstil hat.

Seine Analyse von Strukturen, Verhalten, Beziehungsmustern und den damit verbundenen Abhängigkeiten untereinander ist übersichtlich, terminologisch präzise, fundiert, konzeptionell begründet und ohne sprachliche Unschärfen. Die Anreicherung mit praktischen Beispielen aus beruflichen Alltagssituationen erleichtert das Verständnis. Sie fördert die Selbstreflexion der Leser. Und sie liefert konkrete Anregungen mit praxistauglichen Beschreibungen, wie neue Autorität in Abgrenzung zu alten autoritären Mustern sowohl im Unternehmensalltag als auch in den Systemen Familie und Politik gelebt werden kann. Der logische Aufbau der Arbeit ermöglicht es, leicht zwischen den Kapiteln hin und her zu wechseln. Dadurch lassen sich Zusammenhänge noch besser erschließen. Absolut hilfreich sind die Zusammenfassungen vor jedem Abschnitt sowie die jeweils abschließenden Management Summarys. Das Handling der Arbeit wird unterstützt durch die Literaturhinweise am Ende jedes Kapitels. Diese Anordnung vermeidet bei der Suche nach den verwendeten Quellen lästiges Weiterblättern bis zum Ende des Buches.

 

Fazit:

Unternehmensstrukturen gehören auf den Prüfstand. Durch sie möglicherweise induzierte „Spannungsfelder und Konflikte“ sind offenzulegen. „Aus ihnen resultierende Probleme“ der Führung dürfen nicht auf die individuelle Verantwortung einzelner Akteure abgewälzt werden. Hier liegt eine Aufgabe von Verantwortungsträgern in Wirtschaft und Politik im 21. Jahrhundert. Über Kommunikation, Kooperation und mehr Menschlichkeit in ihrem Verhalten sollen sie an einer kulturellen Veränderung unserer Organisationen und damit unserer Gesellschaft in Richtung „mehr Demokratie“ mitwirken. Dies setzt soziale Schlüsselkompetenzen und reflektiertes Verhalten voraus. Nach Baumann: „Präsenz, Selbstkontrolle, Vernetzung, Deeskalation, Wiedergutmachung, Transparenz und Beharrlichkeit“. Gerade in einer Zeit der Zunahme politischer Vereinfachungen, Radikalisierungen und autoritärer Tendenzen in der öffentlichen Debatte und in sozialen Netzwerken kommt es darauf besonders an. Frank Baumann-Habersack leistet mit seinem Buch dazu einen richtungweisenden Beitrag.

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 2/18, S. 127.