Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.1.2010, 2 AZR 764/08

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Foto von Drew Beamer

Sachverhalt:

Ein Mitarbeiter spanischer Herkunft war in der Spritzgussabteilung eines Automobilzulieferers beschäftigt. Zu seinen Hauptaufgaben zählte es, die automatische Behälterfüllung zu überwachen, Teile einzupacken sowie die Produktion zu kontrollieren – jeweils nach mündlichen und schriftlichen Anweisungen. Er sollte gegebenenfalls Fehler und Störungen an den Produktionsanlagen und an den Produkten erkennen und melden.

Die von ihm verlangten Prüfungen nahm er nur nach Augenschein und nicht nach Maßgabe des vorgegebenen Prüfplans vor. Die Fehlercheckliste füllte er unvollständig aus. Zu der an sich vorgesehenen sogenannten messenden Prüfung war er nicht in der Lage; eine dritte Person erledigte sie. Mehrere Versuche des Arbeitgebers, die sprachlichen Fertigkeiten des Mitarbeiters zu verbessern, scheiterten vor allem daran, dass er sich weigerte, an entsprechenden Kursen teilzunehmen.

Bei mehreren internen Audits stellte der Arbeitgeber fest, dass der Mitarbeiter nicht in der Lage war, Arbeits- und Prüfanweisungen zu lesen und zu verstehen, da ihm die geforderten Deutschkenntnisse fehlten. Das Unternehmen ermahnte ihn und forderte ihn immer wieder auf, seine Deutschkenntnisse zu verbessern, anderenfalls drohe die Kündigung. Als ein letztes Audit zu dem Ergebnis kam, dass der Arbeitnehmer nicht in der Lage sei, die vom Kunden geforderten Vorgaben und Spezifikationen einzuhalten, kündigte der Arbeitgeber. Der Mitarbeiter klagte dagegen. Er machte insbesondere geltend, die Qualitätsnormen erforderten nicht notwendig deutsche Sprachkenntnisse in Wort und Schrift.

Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gab dem Unternehmen Recht. Die ausreichende Kenntnis der deutschen Schriftsprache sei im konkreten Fall eine wesentliche Anforderung an die persönliche Eignung des Mitarbeiters für die von ihm zu verrichtende Arbeit. Ohne die Kenntnisse der deutschen Schriftsprache könnten die als Werker beschäftigten Arbeitnehmer die schriftlichen Arbeitsanweisungen und Prüfaufträge nicht lesen und verstehen und deshalb ihre Aufgaben nicht wie vorgesehen erfüllen.

Außerdem sei auch die Anforderung der deutschen Schriftsprache selbst nicht zu beanstanden: Sie enthalte keinen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Zwar könne die Anforderung spanische Arbeitnehmer – im Vergleich zu deutschen Arbeitnehmern – im Sinne des AGG benachteiligen. Jedoch sei die Anforderung im vorliegenden Fall durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, nämlich unter anderem durch betriebliche Notwendigkeiten. Im speziellen Fall habe zudem auch eine bestimmte ISO-Norm Kenntnisse der deutschen Schriftsprache verlangt.

Mit einer zukünftigen Besserung sei nicht zu rechnen gewesen. Der Arbeitnehmer habe seit Jahren gewusst, dass das Unternehmen Kenntnisse der deutschen Schriftsprache von ihm erwartete. Es habe mehrere Versuche unternommen, ihm die nötigen Kenntnisse zu verschaffen und ihm in regelmäßigen Abständen darauf hingewiesen, dass er seine Sprachkenntnisse verbessern müsse. Der Mitarbeiter sei darauf aber nicht eingegangen.

Konsequenzen für die Praxis:

Das Urteil zeigt insbesondere, dass nicht jede Ungleichbehandlung, die an die Diskriminierungsmerkmale des AGG (zum Beispiel ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung oder Alter) anknüpft, automatisch verboten ist. Hat der Arbeitgeber sachliche Gründe für sein Handeln, dann liegt unter Umständen kein Verstoß vor.

Wann das nach dem Gesetz der Fall ist, können Personalpraktiker freilich nicht immer einfach bestimmen: Bei den Anforderungen, die eine Benachteiligung erlauben, kommt es zum Beispiel zunächst darauf an, ob eine unmittelbare oder eine mittelbare Benachteiligung vorliegt.

Eine unmittelbare Benachteiligung ist gegeben, wenn eine Person wegen eines Diskriminierungsmerkmals eine “weniger günstige Behandlung” erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation (§ 3 Abs. 1 AGG). Beispiel: Ein Arbeitgeber berücksichtigt einen behinderten Mitarbeiter wegen seiner Behinderung nicht bei einer Beförderung.

Eine mittelbare Benachteiligung ist hingegen wie im vorliegenden Fall anzunehmen, wenn “dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich” (§ 3 Abs. 2 AGG).

Je nachdem, welche Form der Benachteiligung einschlägig ist, sind unterschiedliche Voraussetzungen für die Prüfung der “Rechtfertigung” zu beachten.

Für Personalpraktiker ist dieses Paragrafendickicht recht schwer zu durchdringen. Vorteilhaft ist es daher, eine Sensibilität dafür zu entwickeln, wann die Gefahr einer unerlaubten Ungleichbehandlung besteht. Denn auch hier gilt der Wahlspruch: “Problem erkannt, Gefahr gebannt!”. Immer dann, wenn eine Maßnahme an die Diskriminierungsmerkmale des AGG anknüpft (Rasse oder der ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität), sollte Vorsicht das Gebot der Stunde sein. Denn Diskriminierungsprozesse können teuer werden und den Betriebsfrieden stören. In Zweifelsfällen sollte daher ein Rechtsbeistand hinzugezogen werden, der im Einzelfall regelmäßig Gestaltungsspielräume für das Unternehmen aufzeigen kann.

Weitere Informationen: www.bblaw.com