Wenn Sie nach Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Vergangenheit einen zu hohen geldwerten Vorteil angesetzt und diesen sowohl der Lohnversteuerung als auch der Verbeitragung zur Sozialversicherung unterworfen haben, müssen Sie als Arbeitgeber zunächst die Frage klären, ob Sie im Rahmen Ihrer Arbeitgeberpflichten überhaupt zur Korrektur „unrichtiger“ Lohn- und Gehaltsabrechnungen verpflichtet sind. Weil Sie kein Verschulden an der unzutreffenden Lohnversteuerung trifft, sondern diese in unmittelbarem Zusammenhang mit einer neuen Rechtsprechung steht, sind Sie nicht grundsätzlich dazu verpflichtet, entsprechende Korrekturen für die Vergangenheit durchzuführen. Allerdings sind Sie im Rahmen Ihrer Arbeitgeberpflichten dazu verpflichtet, für künftige Lohnund Gehaltsabrechnungen an den Stellschrauben zu drehen.
Laufendes Kalenderjahr
Für bereits abgeschlossene Lohn- und Gehaltsabrechnungen dürfen Sie Korrekturen im laufenden Kalenderjahr jederzeit durchführen. Für bereits abgeschlossene Kalenderjahre darf eine Korrektur jedoch nur dann durchgeführt werden, wenn Sie die Lohnsteuerbescheinigung noch nicht an das Betriebsstättenfinanzamt übermittelt haben. Die Lohnsteuerbescheinigung müssen Sie bis spätestens 28. Februar des Folgejahres übersenden. Nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung dürfen Sie keine Korrekturen mehr durchführen. Wenn Sie nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung erkennen, dass Sie Lohnsteuer in unzutreffender Höhe einbehalten haben, sind Sie dazu verpflichtet, eine entsprechende Meldung an das für Sie zuständige Betriebsstättenfinanzamt zu machen. Bitte beachten Sie, dass unter Umständen eine Überprüfung im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung die Folge sein kann.
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Aktuelle Rechtsprechung im Überblick
Dienstwagenbesteuerung
Bei Arbeitnehmern, die einen Dienstwagen besitzen und ihre regelmäßige Arbeitsstatte nicht regelmäßig jeden Tag aufsuchen, braucht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 22.9.2010; Az.: VI R 57/09; BMF-Schreiben vom 1.4.2011) der geldwerte Vorteil für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstatte bei der 1%-Regelung nicht pauschal mit 0,03 Prozent des Listenpreises pro Entfernungskilometer angesetzt werden, sondern lediglich mit einem verminderten Wertansatz in Hohe von 0,002% des Listenpreises pro Entfernungskilometer für jede tatsachlich durchgeführte Fahrt.
Regelmäßige Arbeitsstätte
Auf Grund der erneuten Neudefinition der regelmäßigen Arbeitsstatte (vgl. BFH-Urteile vom 9.6.2011; Az.: VI R 36/10, VI R 58/09 und VI R 55/10) hat eine Vielzahl von Arbeitnehmern im Gegensatz zur Auffassung der Finanzverwaltung keine regelmäßige Arbeitsstatte mehr im Betrieb. Dies ist immer dann der Fall, wenn diese den wesentlichen Teil ihrer Arbeitsleistung nicht im Betrieb, sondern im Außendienst erbringen.
Waren-, Geschenk- und Tankgutscheine
Der Bundesfinanzhof hat sich darüber hinaus zur lohnsteuerlichen Behandlung von Waren-, Geschenk- und Tankgutscheinen geäußert (vgl. BFH-Urteile vom 11.11.2010; Az.: VI R 21/09, VI R 27/09, VI R 41/10, VI R 40/10 [NV] und VI R 26/08 [NV]). Danach entsteht im Gegensatz zur Auffassung der Finanzverwaltung im Regelfall kein lohnsteuerpflichtiger geldwerter Vorteil, wenn Sie Ihren Arbeitnehmern einen entsprechenden Gutschein zuwenden.
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Rückwirkung der Rechtsprechung
Im Gegensatz zu Gesetzesänderungen wirkt sich eine neue Finanzrechtsprechung nicht nur auf zukünftige Sachverhalte aus. Ein neue Rechtsprechung ist grundsätzlich auf alle noch offenen, nicht bestandskräftigen Fälle anzuwenden. Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang, dass Urteile der Finanzgerichte häufig nicht endgültig sind. In vielen Fällen wird gegen ein Finanzgerichtsurteil Revision eingelegt. Dies führt in der Regel zu einem weiteren Verfahren vor dem Bundesfinanzhof. Es kann durchaus sein, dass der Bundesfinanzhof die Auffassung einer Partei bestätigt; es kann aber auch vorkommen, dass dieser eine gegenteilige Auffassung vertritt. Dies führt zu einem erheblichen Maße an Rechtsunsicherheit.
Bindung des Finanzamts
Das Finanzamt ist im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung grundsätzlich nicht an die Rechtsprechung eines Finanzgerichts gebunden. Ein Prüfer kann sich im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung deshalb über die Rechtsauffassung eines Finanzgerichtes hinwegsetzen – im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die für das Finanzamt grundsätzlich Bindungswirkung entfaltet. In diesem Fall ist der Prüfer dazu verpflichtet, diese Rechtsprechung auch bei Ihnen anzuerkennen, soweit es sich um einen vergleichbaren Fall handelt. Das gilt jedoch nicht, wenn das Bundesfinanzministerium die Finanzverwaltung im Rahmen eines Nichtanwendungserlasses anweist, ein bestimmtes Urteil über den Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. In diesem Fall darf das Finanzamt die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht anwenden. Weil die Auswirkungen der Rechtsprechung nicht immer eindeutig vorhersehbar sind und um ein mehrmaliges Korrigieren zu vermeiden, führen viele Arbeitgeber keine Richtigstellung der Lohn- und Gehaltsabrechnung durch, wenn ein neues Urteil veröffentlicht wird. Sie machen ihre Arbeitnehmer lediglich auf die veränderte Rechtsprechung aufmerksam und weisen darauf hin, dass bestimmte Sachverhalte im Rahmen der Einkommensteuererklärung abschließend steuerlich gewürdigt werden können. Möchten Sie dies genauso handhaben, müssen Sie Ihrem Arbeitnehmer eine schriftliche Bestätigung mit einer kurzen Sachverhaltsdarstellung zukommen lassen.
Verjährung
Bitte beachten Sie, dass eine Korrektur im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung nur möglich ist, soweit diese noch nicht bestandskräftig ist. Bestandskraft tritt grundsätzlich immer dann ein, wenn ein Steuerbescheid erteilt und dagegen kein Einspruch eingelegt worden ist. Eine Änderung nach diesem Zeitpunkt ist nur noch möglich, wenn eine steuerliche Korrekturvorschrift angewendet werden kann, z. B. bei einer offenbaren Unrichtigkeit (Zahlendreher) oder bei Bekanntwerden einer neuen Tatsache. Eine neue Rechtsprechung begründet jedoch keine neue Tatsache, weil der Sachverhalt an sich bekannt ist und sich lediglich die steuerliche Beurteilung dieses Sachverhaltes geändert hat.
Arbeitsrechtlicher Aspekt
Darüber hinaus sollten Sie in Betracht ziehen, dass die jüngste BFH-Rechtsprechung auch zusätzliche arbeitsrechtliche Ausgleichsansprüche Ihrer Arbeitnehmer mit sich bringen kann. Soweit die Tätigkeitsstätte Ihres Arbeitnehmers nicht mehr als regelmäßige Arbeitsstätte, sondern als auswärtige Tätigkeitsstätte anzusehen ist, haben Ihre Arbeitnehmer unter Umständen Anspruch auf eine entsprechende Reisekostenvergütung.
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Beispiel
Der Außendienstmitarbeiter Holger Holstein hat nach Neudefinition der regelmäßigen Arbeitsstatte durch den Bundesfinanzhof keine regelmäßige Arbeitsstatte im Betrieb. Sein Arbeitgeber ist bislang davon ausgegangen, dass der Außendienstmitarbeiter seine regelmäßige Arbeitsstatte im Betrieb hat und hat entsprechend im Rahmen der Dienstwagenbesteuerung einen geldwerten Vorteil für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstatte versteuert. Weil aus der Lohnsteuerbescheinigung nicht ersichtlich ist, wie sich der steuerpflichtige Bruttoarbeitslohn zusammensetzt, muss der Arbeitgeber eine Bescheinigung ausstellen, in welcher Hohe im steuerpflichtigen Bruttoarbeitslohn ein geldwerter Vorteil für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstatte enthalten ist. Korrekturen für die Zukunft Weil Holger Holstein keine regelmäßige Arbeitsstatte im Betrieb hat, muss entsprechend kein geldwerter Vorteil für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstatte versteuert werden.
Korrekturen für das laufende Kalenderjahr Für das laufende Kalenderjahr kann eine Korrektur des bislang zu Unrecht versteuerten geldwerten Vorteils durchgeführt werden. Korrekturen für das vergangene Kalenderjahr Für das vergangene Kalenderjahr kann eine Korrektur durchgeführt werden, bis der Arbeitgeber die Lohnsteuerbescheinigung an das Betriebsstattenfinanzamt übermittelt hat (spätestens bis zum 28.2.).
Hinweis: Nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung an Ihr zuständiges Betriebsstattenfinanzamt dürfen Sie den Lohnsteuerabzug im Rahmen der Lohn- und Gehaltsabrechnung nicht mehr andern. Als Arbeitgeber sollten Sie eine entsprechende Bescheinigung erstellen, damit die Korrekturen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung berücksichtigt werden können.
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Autor: Volker Hartmann, Diplom-Finanzwirt (FH), Hamburg
Quelle: LohnPraxis – Nr. 3 – März 2012