Ein Unternehmen ist ein komplexes, dynamisches System, dessen Teile relativ selbstständig sind und ihre Handlungen aufeinander abstimmen. Verschiedene Wirtschaftsakteure schaffen es durch ihre Interaktionen permanent neu. Das unternehmerische Wissen speist sich aus unterschiedlichen Quellen: Neben Menschen können auch Dokumente, Datenbanken, Prozesse oder die Technik Wissensträger sein. In dem Buch “Wissensmanagement” beschreibt Prof. Dr. Franz Lehner von der Universität Passau diese Dynamik bildhaft: In Organisationen wisse die linke Hand oft nicht, was die rechte tue, folglich bestehe das Ziel darin, “Organisationen zu unterstützen, die Erfahrungen ihrer Mitglieder zu speichern und das akkumulierte Wissen zu verteilen, damit alle einen Nutzen davon haben”.
Das gesamte unternehmerische Wissen stimmt mit dem Wissen aller Mitarbeiter des Unternehmens nicht überein.
Auf der einen Seite stellen die Mitarbeiter nicht ihr ganzes Wissen in den Dienst des Unternehmens. Oft ist nicht bekannt, welches Wissen in den Köpfen der einzelnen Mitarbeiter steckt, entweder weil sie individuelles Wissen nicht preisgegeben oder die Führungskräfte es nicht für irrelevant halten. Darüber hinaus entsteht das Unternehmenswissen nicht nur intern, sondern auch extern – aus Ideen und Anregungen der Kunden, Lieferanten, Konkurrenten oder Berater.
Das Unternehmenswissen kann Widersprüche enthalten, die einer Harmonisierung bedürfen, um ein konsistentes Handeln zu erreichen. Interessenkonflikte, widersprüchliche Vorstellungen von den eigenen Möglichkeiten und den Bedingungen der Umwelt verhindern zwar nicht zwangsläufig die Entscheidungsfindung, können sich aber dennoch negativ auswirken. Große Unternehmen mit mehreren relativ selbständigen Teilbereichen zahlen beispielsweise häufig demselben Lieferanten ganz unterschiedliche Preise für die gleichen Produkte.
Um ihre Intelligenz zu steigern, müssen Unternehmen ihr Wissen harmonisieren und eine gemeinsame Wahrheit für das geteilte Basiswissen aller schaffen. Vor allem folgende drei Teilintelligenzen sollten sie dabei in Einklang bringen:
- kognitive Intelligenz: Dazu gehören effiziente Wahrnehmung, Evaluationsfähigkeit, Gedächtnis sowie Wissensaustausch und -harmonisierung. Eine Teilfähigkeit der kognitiven Intelligenz ist die Innovations- und Lernfähigkeit eines Unternehmens. Sie besteht darin, individuelles Lernen und die Kreativität der Mitarbeiter (etwa mit Weiterbildungen oder Kreativitätsworkshops) zu fördern sowie spezielle Methoden und Programme aufzusetzen, um Ideen aus der Umwelt zu gewinnen und eine kollektive Kreativität zu erzeugen. Hier kann ein systematisches, offenes Ideen- und Innovationsmanagement als Instrument zum Einsatz kommen.
- soziale Intelligenz: Im Außenverhältnis bedeutet das ein gezieltes und konsequentes Beziehungsmanagement in Bezug auf alle relevante Stakeholder des Unternehmens. Teil dieses Beziehungsmanagements sind ein Customer Relationship Management (CRM) für eine langfristige Kundenbindung, das Marketing, um Kunden zu gewinnen, PR-Arbeit für das Image des Unternehmens in der Öffentlichkeit und Corporate Social Responsibility (CSR) als gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens. Nach innen bedeutet soziale Intelligenz, dass Unternehmen Leitlinien entwickeln und umsetzen.
- technologische Intelligenz: Darunter ist eine optimale Nutzung des Raumes, der Ressourcen und des technologisches Know-hows zu verstehen.
Am Wahrnehmungsprozess eines Unternehmens sind verschiedene Akteure beteiligt. Auf der einen Seite sind es Mitarbeiter, beispielsweise im Kundendienst, Einkauf oder der PR-Abteilung, die unmittelbar mit Kunden, Lieferanten oder mit der Öffentlichkeit in Kontakt treten und die Meinungen, Stimmungen oder Beschwerden dieser Klientel mitbekommen. Auf der anderen Seite gehören dazu spezielle Marktforschung- oder Zukunftstrendteams, die sich gezielt mit den Entwicklungen und Tendenzen in der Gesellschaft und auf dem Markt beschäftigen.
Da sich Wissen nur begrenzt formalisieren lässt, ist ein großer Teil des Wissens nur in den Köpfen von Unternehmensakteuren vorhanden. Das macht Wissensverteilung und -logistik besonders problematisch. Interne Datenbanken und Netzwerke können nur mit dem expliziten Wissen arbeiten, wogegen Mitarbeiter das implizite Wissen nur in Interaktionen austauschen und vermitteln können. Hierzu benötigen Unternehmen informelle Communitys, Weblogs, Workshops oder andere Kommunikationswege. Diese Instrumente ermöglichen es den Akteuren, Begriffe, Definitionen und Lösungen zu kommunizieren und abzustimmen.
Wissens- und Ideenmanagement vereinen
Um eine kollektive Intelligenz zu erzeugen, müssen individuelle Intelligenzen im Unternehmensumfeld interagieren. Dafür sind drei Grundprozesse notwenig:
Zum Ersten geht es um das interne Ideenmanagement, das sich damit beschäftigt, neues Wissen im Unternehmen zu schaffen und individuelle Wissens- und Ideenpotenziale der Belegschaft zu identifizieren, aktivieren, entwickeln, koordinieren und zu vernetzen. Eigene Mitarbeiter sind für ein Unternehmen die wichtigsten Wissens- und Ideenträger.
Zum Zweiten müssen Unternehmen die externe Intelligenz relevanter Stakeholder identifizieren, erschließen und vernetzen – das ist die Aufgabe des externen Ideenmanagements. Zu den wichtigsten Wissensträgern außerhalb des Unternehmens zählen Kunden, Lieferanten, Zwischenhändler, Kooperationspartner und wissenschaftliche Institutionen. Ihre Integration in die Produktentwicklung und Prozessverbesserung im Sinne einer “Open Innovation” verbessert die Erfolgschancen neuer Produkte, verkürzt die Entwicklungszeit und senkt die Kosten.
Zum Dritten, braucht ein intelligentes Unternehmen eine systematische Arbeit mit Wissen. In diesem Prozess soll kollektives Wissen entsehen. Die Wissensarbeit beinhaltet mehrere Kernprozesse, die in Wissensnetzen, Online-Portalen, Weblogs oder Communitys stattfinden können. Einige Teilprozesse der Wissensarbeit überschneiden sich mit denen des Ideenmanagements.
Die Grenzen zwischen Ideenmanagement und Wissensarbeit sind fließend, wobei sich das Ideenmanagement primär mit den neuen Ideen und dem Schaffen von neuem Wissen beschäftigt, während der Schwerpunkt der Wissensarbeit auf dem standardisierten Wissen und der formellen Organisation der Wissensverarbeitung liegt.
Kollektive Intelligenz in der Praxis ermöglichen
Um neue Ideen zu generieren, Wissensaustausch sowie Kreativität zu ermöglichen, ist eine partnerschaftliche Führung sowie eine gezielte Motivation nötig. Folgende Bedingungen fördern den Prozess der Wissensgenerierung (vgl. Nonaka. I.; Takeuchi, H.: Die Organisation des Wissens, 1997):
- Intention: Unternehmen müssen einen Maßstab zur Beurteilung der Relevanz von Wissen setzen. Diesen Maßstab kann das Unternehmen in Form von Unternehmensintentionen fassen, die den Zielen der Unternehmensstrategie entsprechen sollten. Diese Unternehmensintentionen sind zwangsläufig wertbezogen und können auch weltanschauliche Grundauffassungen beinhalten.
- Autonomie: Die einzelnen Individuen innerhalb eines Teams wie auch die Teams als solche sollten so autonom handeln können wie es die Umstände erlauben. Die Autonomie der Untereinheiten verstärkt deren Motivation.
- Redundanz: Informationen (beispielsweise zur geschäftlichen Tätigkeiten oder Managementaufgaben) dürfen sich überschneiden, da diese nicht unmittelbar benötigten Informationen für den Austausch impliziten Wissens förderlich sein können: als Hilfe für den Einzelnen, seinen Platz im Unternehmen besser zu verstehen.
- Fluktuation und kreatives Chaos: Durch kreatives Chaos sind Individuen dazu gezwungen, die Handlungsmuster und Vorstellungen ihres Unternehmensumfeldes neu zu überdenken. Neues Wissen entsteht, wenn Mitarbeiter aus Chaos Ordnung schaffen: Krisensituationen, Aufgabenüberschneidungen oder Vieldeutigkeit bei Aufgabenstellungen können einen Prozess des Infragestellens bestehender Vorstellungen und Grundannahmen anstoßen, der zur Entstehung neuer Lösungen und Erkenntnisse führt. Kreatives Chaos basiert auf der Fluktuation im Unternehmen (Zusammenbruch von Routineabläufen), Krisenstimmung im Unternehmen (gegebenenfalls künstlich verursacht) sowie mehrdeutigen Anweisungen (“strategische Vieldeutigkeit”).
- Notwendige Vielfalt: Hohe Komplexität des Arbeitsumfeldes erfordert eine ausreichende Vielfalt der Mitarbeiter einer Organisation. Es bestehen folgende Möglichkeiten, um die Vielfalt zu steigern: effiziente Kombination von Information, gleichberechtigten Zugang aller zu einer breiten Palette von Informationen sowie häufiger Wandel der Organisationsstruktur (beispielsweise wechselnde Teammitglieder).
Darüber hinaus bedarf ein intelligentes Unternehmen fördernder Bedingungen für Lernen, Kreativität und Wissensarbeit. Dazu gehören neben einer offenen Kommunikation und kooperativer bis teilautonomer Führung auch Vertrauen und Fehlertoleranz.
Um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden und ein intelligentes Unternehmensverhalten zu ermöglichen, sollten Unternehmen Ideenmanagement als ein ganzheitliches Konzept begreifen. Ein ganzheitliches Ideenmanagement fördert die Ideen der Mitarbeiter, anstatt sie zu verwalten. Das Unternehmen profitiert dabei von dem Wissen und der Kreativität externer Partner, setzt die Ideen schnell und sicher in neue marktreife Produkte um und fördert das Konzept des lebenslangen Lernens. Die Zauberformel für die Praktiker lautet: auf der Grundlage der technologischen und weltwirtschaftlichen Entwicklung richtungweisende Visionen formulieren und der Initiative der Mitarbeiter freien Lauf lassen.
Dieser Artikel stellt in einer gekürzten Version die konzeptionelle Grundlage des Buches Franken/Brand “Ideenmanagement für intelligente Unternehmen” dar, das im Herbst 2008 im Peter Lang Verlag erscheint.