ENTSCHEIDUNG

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Das BAG hielt die Feststellungsklage für zulässig, denn ein besonderes Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO lag vor (BAG, Urt. v. 28.4.2011 – 8 AZR 769/09, NZA-RR 2012, S. 290). Sie war auch begründet. Die Beklagte haftet dem Kläger grundsätzlich für solche Schäden, die dieser aufgrund der Arbeiten an asbestfaserhaltigen Bauteilen im damaligen Asylbewerberheim der Beklagten erleidet.

Der Senat hat im vorliegenden Rechtsstreit bereits entschieden, dass eine Haftung der Beklagten (nur noch) von der Frage abhängt, ob eine Herbeiführung eines möglichen Arbeitsunfalls in Form einer Gesundheitsschädigung durch den Abteilungsleiter des Klägers, S, vorsätzlich erfolgt ist (BAG v. 28.04.2011, a. a. O.).

Dieser Vorsatz des Handelnden im Sinne eines „doppelten“ Vorsatzes erstreckt sich nicht nur auf die Verletzungshandlung (hier: Verletzung der Arbeitsschutzvorschriften beim Umgang mit asbestfaserhaltigen Materialien, Technischen Regeln für Gefahrstoffe [TRGS 519]), sondern auch auf den Verletzungserfolg (hier: Gesundheitsbeeinträchtigung). Allein der Verstoß gegen zu Gunsten von Arbeitnehmern bestehende Schutzpflichten indiziert noch keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls. Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollens-Element. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Die Annahme eines – ausreichenden – bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat („na wenn schon“). Die objektive Erkennbarkeit der Tatumstände reicht nicht aus (vgl. BGH, Urt. v. 20.12.2011 – VI ZR 309/10). Dagegen liegt eine nicht ausreichende bewusste Fahrlässigkeit vor, wenn der Handelnde darauf vertraut, der Schaden werde nicht eintreten („es wird schon gut gehen“).

Das BAG beanstandete nicht die Annahme des LAG, dem Vorgesetzten des Klägers, S, sei der Vorwurf vorsätzlichen Verhaltens zu machen, weil er es billigend in Kauf genommen habe, dass der Kläger infolge der angewiesenen Sanierungsarbeiten eine durch Asbest bewirkte Gesundheitsschädigung erfährt.

KONSEQUENZEN

Unternehmer haften für einen Personenschaden des Arbeitnehmers durch einen Arbeitsunfall nur dann, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben (§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; bis 1996: § 636 RVO), wobei bedingter Vorsatz genügt. Das BAG bejahte eine Haftung des Arbeitgebers dem Grunde nach in dem Fall, in dem der zuständige Abteilungsleiter der beklagten Stadt im Wissen um die Asbestbelastung eines Gebäudes dort Arbeitskräfte ohne Schutzkleidung hatte arbeiten lassen.

Die Erfurter Richter betonten einerseits, dass allein der Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzpflichten noch keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls indiziert. Andererseits gibt es danach auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der vorsätzlich eine zu Gunsten des Mitarbeiters bestehende Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder mögliche Berufskrankheit des Beschäftigten nicht billigend in Kauf nimmt. Zwar kann ein Arbeitgeber trotz Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften meistens darauf hoffen, es werde kein Unfall eintreten (BAG, Urt. v. 19.2.2009 – 8 AZR 188/08). Stets kommt es aber auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an.

Bei Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften können Unternehmen ein Haftungsrisiko ausschließen. Es ist zu empfehlen, bei Bedarf oder in Zweifelsfällen vorbeugend die Unfallpräventions-Beratungsleistungen der zuständigen Berufsgenossenschaft in Anspruch zu nehmen sowie den Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit zu konsultieren und deren Rat zu befolgen.

Quelle: Arbeit & Arbeitsrecht 1/2014
Fotocredit:
© Christiane Heuser / www.pixelio.de

PROBLEMPUNKT

Der Kläger ist seit 1992 als Angestellter bei einer Stadt beschäftigt. Seit Ende 1991 wusste der Bürgermeister der Stadt von der Asbestkontamination eines Gebäudes, das als Asylbewerberheim genutzt wurde. 1995 ordnete der zuständige Abteilungsleiter S Sanierungsarbeiten in dem Gebäude an, ohne eine Anweisung zum Tragen von Schutzbekleidung und Atemschutzgeräten zu geben. Hieran war der Kläger ab Februar 1995 beteiligt. Anfang Mai 1995 wies der Mitarbeiter eines Bauunternehmens, der Folgearbeiten abstimmen sollte, den Kläger darauf hin, dass bei den Sanierungsarbeiten asbesthaltiger Staub freigesetzt werde und derartige Arbeiten nur von spezialisierten Unternehmen ausgeführt werden dürften. Nachdem der Abteilungsleiter S auf die Gefahr hingewiesen worden war, erklärte er, dass das Vorhandensein asbesthaltigen Materials allgemein bekannt sei und drängte auf die Fortsetzung der Arbeiten. Das daraufhin eingeschaltete Gewerbeaufsichtsamt verfügte die sofortige Einstellung der Arbeiten und die Versiegelung des Gebäudes. Der Kläger begehrte die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche künftigen
Schäden zu ersetzen, die er aufgrund an asbestfaserhaltigen Bauteilen durchgeführten Arbeiten erleiden sollte.