Mr. Stevenson, Sie sagen dass gute Geschichten das beste Mittel sind, um Kunden, Kollegen und Mitarbeiter zu begeistern. Warum sind Geschichten so überzeugend? Zunächst einmal haben wir alle seit unserer frühesten Kindheit von Geschichten gelernt – unabhängig davon, aus welchem Kulturkreis wir stammen, wie alt wir sind oder welches Geschlecht wir haben. Storytelling ist eine natürliche Form, Ideen zu kommunizieren. Gute Geschichten transportieren Emotionen, weil wir uns mit ihren Figuren und deren Problemen identifizieren können. Außerdem wecken Geschichten die Vorstellungskraft der Zuhörer. Sie animieren das Gehirn so, wie es logische Inhalte allein nicht vermögen. Menschen lernen am besten, wenn ihre linke und ihre rechte Gehirnhälfte angesprochen wird. Eine linear aufgebaute Geschichte, die mit Enthusiasmus und Spaß erzählt wird, spricht das ganze Denken an. Mit Ihrer logischen Seite verfolgen Sie den linearen Verlauf, mit Ihrer emotionalen Seite sehen Sie sich den Film auf der Leinwand ihrer Imagination an. Geschichten sind wie Filme. Sie wecken unser Denken und unsere Sinneswahrnehmung.

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Foto von Zaiqiao Ye

Was unterscheidet Storytelling in Unternehmen von traditionellem Storytelling?
In Unternehmen setzen Mitarbeiter und Führungskräfte Storytelling als strategische Instrumente ein. Der Erzähler wählt, entwickelt und präsentiert seine Geschichte mit einem bestimmten Ziel, zum Beispiel, um ein Hindernis zu überwinden oder eine Idee zu verkaufen.

Wie können HR-Experten Storytelling einsetzen?
Nehmen wir einmal an, Sie wären der HR Director eines Unternehmens, dessen Produktivität sinkt. Sie würden gerne eine Mitarbeiterbefragung in der gesamten Organisation durchführen, um die Gründe für den Produktivitätsverlust herauszufinden. Doch zunächst müssen Sie mit dem Top-Management reden, um das Budget zu bekommen. In diesem Meeting können Sie logische Argumente vorbringen und PowerPoint-Folien präsentieren, aber das führt eventuell nicht dahin, wo Sie gerne hin möchten. Denn Logik überwindet keine Widerstände. Und wenn der Vorstand Ihnen aus irgendwelchen Gründen nicht das Budget für die Befragung geben will, scheitern Sie. Deshalb sollten Sie lieber von einer persönlichen Erfahrung erzählen – zum Beispiel über ein Gespräch mit einem Mitarbeiter. Er hat in letzter Zeit keine guten Leistungen gebracht und als Sie ihn darauf ansprachen, beschwerte er sich über seine Arbeit. Im Gespräch fiel Ihnen auf, dass es möglicherweise einige fundamentale Probleme in der Organisation gibt, die für die schlechte Performance in einigen Abteilungen verantwortlich sein könnten. Sie erzählen dem Vorstand diese persönliche Geschichte, die viel lebendiger und überzeugender ist als eine PowerPoint-Präsentation. HR-Manager können Geschichten wie diese in vielen Situationen einsetzen. Wenn ein Mitarbeiter in Ihr Büro kommt und sich über seinen Vorgesetzten oder einen Kollegen beschwert, können Sie ihm eine Geschichte erzählen, in der jemand mit einer ganz ähnlichen Situation vorbildlich umgegangen ist. Gute Geschichten bringen die Menschen dazu, Dinge in einem ganz anderen Licht zu sehen.

Und wie finde ich eine gute Geschichte?

Geschichten fesseln Menschen immer. Das ist fast wie ein Pawlowscher Effekt. Aber wenn ich eine Geschichte erzähle, die gar nicht zur Situation passt, fühlen Sie sich hinters Licht geführt, weil ich Ihnen die Zeit stehle. Deshalb ist es sehr wichtig, die richtige Geschichte zu finden. Für die Wahl der richtigen Geschichte gibt es drei Grundsätze. Nummer 1: Geschichten sind Metaphern. Als Human Resource Director müssen Sie Ihre Geschichte nicht in einem HR-Setting spielen lassen, um deutlich zu machen, worum es Ihnen geht. Stattdessen können Sie auch eine Geschichte über einen Streit erzählen, den Sie in Ihrem letzten Türkei-Urlaub mit einem Taxifahrer hatten. Dieser Streit wird zu einer Metapher für das, was gerade in Ihrer Organisation passiert. Grundsatz Nummer 2: Persönliche Geschichten sind immer besser als Geschichten über eine dritte Person, denn in einer Ich-Erzählung können Sie einen lebhafteren Eindruck ihrer eigenen Gefühle geben. Grundsatz Nummer 3 lautet: Blicken Sie auf Ihre Vergangenheit zurück und suchen Sie nach Momenten, in denen Sie ein Hindernis überwinden mussten. Nehmen wir die Geschichte mit dem türkischen Taxifahrer. Der Taxifahrer und Sie haben offensichtlich aneinander vorbeigeredet. Er fuhr 30 Meilen in die falsche Richtung und brachte Sie in das falsche Hotel. Jetzt fängt er an mit Ihnen herumzustreiten, weil Sie wollen, dass er Sie kostenlos zurück in das richtige Hotel fährt. Er schreit, das Ganze sei Ihr Problem, holt Ihr Gepäck aus dem Wagen, stellte es am Straßenrand ab und fährt weg. Das ist eine gute Geschichte, denn sie birgt einen Konflikt. Alles, was Sie also tun müssen, um eine gute Geschichte zu finden, ist, nach einem konfliktreichen Moment in der Vergangenheit zu suchen und sich selbst zu fragen: Was habe ich daraus gelernt?

Manchmal schalten sich die Zuhörer dennoch nach einer gewissen Zeit aus einer Geschichte aus. Wie schaffe ich es, mein Publikum bei der Stange zu halten?

Indem Sie Ihre Geschichte nach den neun Schritten des Storytelling entwickeln. Diese Schritte orientieren sich an der klassischen Struktur einer Erzählung: Ein Protagonist geht auf eine Reise, um ein Ziel zu verfolgen, trifft andere Charaktere, wird vor eine Herausforderung gestellt, überwindet sie und lernt etwas daraus. So einfach ist das. Ihre Geschichte braucht eine lineare Struktur. Viele Erzähler begehen den Fehler, dass sie einfach anfangen zu erzählen, von einem Punkt zum anderen springen und ihr Publikum verwirren. Gute Erzähler wissen, dass Erzählen keine natürliche Begabung ist. Man kann Stunden damit verbringen, die richtige Geschichte auszuwählen und zu entwickeln.

Und das Erzählen selbst? Wie kann ich Geschichten so erzählen, dass sie überzeugen?
Eine Erzählung ist immer lebendiger als eine Darstellung statistischer Ergebnisse. Sie bringt eine gewisse Performance fast automatisch mit sich. Sie können Ihre Stimme und Ihre Körpersprache nutzen, um darzustellen, was passiert. Wenn Sie zum Beispiel von Ihrem Streit mit dem Taxifahrer erzählen und dann spielen, wie Sie ihn anschreien: „Neineineinein, ich habe gesagt Metropolitan, Hotel Metropolitan, nicht Ramadan!“, dann wecken Sie die Aufmerksamkeit der Zuhörer sofort. Und Menschen lernen nur, wenn sie involviert sind. Langweilen sich Ihre Kollegen, wenn Sie sich mit Ihnen unter vier Augen unterhalten? Nein, normalerweise nicht, weil wir uns im Gespräch in die Augen sehen, Intonation und Körpersprache nutzen. Wir bauen eine Verbindung auf. Es geht nicht nur darum, Inhalte zu vermitteln, es geht darum, Menschen zu berühren. Es geht nicht nur darum, zu sprechen, es geht darum, etwas zu lernen. Wenn Sie sich aber nur auf den Inhalt verlassen und die Präsentation und Performance vernachlässigen, verlieren Sie Ihr Publikum in kürzester Zeit.

Interview: Bettina Geuenich

Die 9 Schritte des Storytelling

1. Schauplatz beschreiben
Schildern Sie den Kontext, in dem die Geschichte spielt. Was müssen wir über Zeit, Ort, Atmosphäre und die Umstände der Geschichte wissen?

2. Figuren einführen
Beschreiben Sie die Figuren so, dass wir sie uns vorstellen und uns mit ihnen identifizieren können. Führen Sie die Figuren immer dann ein, wenn sie in der Geschichte auftreten.

3. Die Reise antreten
Erklären Sie den Sinn und Zweck der Reise.

4. Dem Hindernis begegnen
Irgendjemand oder irgendetwas tritt Ihnen in den Weg. Was ist es? Beschreiben Sie das Hindernis genau.

5. Das Hindernis überwinden
Erzählen Sie Schritt für Schritt, wie Sie es geschafft haben, das Hindernis zu überwinden.

6. Auflösung bringen
Berichten Sie, welche Auflösung Ihre Geschichte hat.

7. Schlussfolgerung ziehen
Was ist die Quintessenz der Geschichte? Seien Sie präzise: Jede Geschichte sollte nur eine Quintessenz haben.

8. Frage stellen
Stellen Sie eine Frage, mit der Sie Ihrem Publikum die Quintessenz der Geschichte näher bringen.

9. Aussage wiederholen
Wiederholen Sie die Aussage, damit sie sich besser einprägt.

Quelle: personal manager 5/2007

In einer Mischung aus Schauspiel, Komödie und traditionellem Storytelling stellt Doug Stevenson seine Methode vor: 12. September 2007, um 13.45 Uhr, auf der Fachmesse Zukunft Personal.