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Angesichts solcher Fakten könnte die Logik am Beschäftigungsmarkt einfach sein: Im Westen gibt es mehr Arbeit (6 Prozent Arbeitslose / Stand: Mai 2013) als im Osten (10,3 Prozent Arbeitslose / Stand: Mai 2013). Im Arbeitslosenquoten-Ranking der Bundesländer des Statistischen Bundesamtes landet Mecklenburg-Vorpommern auf dem vorletzten Platz. Davor rangiert Sachsen-Anhalt. Sachsen liegt auf dem 11. und Brandenburg auf dem 12. Platz. Diese Zahlen legen Schluss nahe, dass jüngere Fach- und Führungskräfte in den Westen abwandern.

Die Lage ist jedoch verwickelter. „Als die Mauer fiel, erlebte der Osten eine große Abwanderungswelle, vor allem Frauen im gebärfähigen Alter zog es weg. Aktuell beobachten wir eine steigende Rückkehrquote“, weiß Dr. Silke Geithner. Die Relevanz dieser Beobachtung erhärtet sich an Daten. Das Leipziger Leibniz-Institut für Länderkunde stellte in 2012 eine Studie zu den Beweggründen ostdeutscher Rückkehrer vor. Demnach ist jeder Zweite ein Rückkehrer, der aus den alten in die neuen Bundesländer zieht. Konkret: In 2010 siedelten sich 40.000 Ostdeutsche in ihrer Heimat an. Grund: Heim zu Familie und Freunden. Auffällig an den vom Leibniz-Institut Befragten ist ihr Bildungsniveau: 71 Prozent von ihnen hatten einen Hochschulabschluss, 12 Prozent sind promoviert.

Das bedeutet auch: Weitere Fachkräfte werden benötigt, zumal der demografische Wandel auch in der sächsischen Hochburg Dresden greift. Und nicht nur hier. In Thüringen zum Beispiel müssen bis 2022 – so Arbeitsmarkt- und Demografiexperten – um die  200.000 Arbeitsplätze besetzt werden.

Das gibt Fach- und Führungskräfte gute Karten, die nicht allzu fern von ihrer ostdeutschen Heimat arbeiten möchten. Doch nicht allen geht es so gut. Viele Arbeitskräfte suchen nach einem Job oder  befinden sich in Maßnahmen zur Jobsuche. In 2011 ging das Portal spiegel.de diesem Phänomen am Beispiel von Ingenieuren auf den Grund und kam zum plakativen Fazit: „Den Ingenieur braucht keiner mehr“. Das Magazin fand heraus, dass viele ostdeutsche Ingenieure am Katzentisch des Arbeitsmarktes sitzen. In der DDR waren sie aufgrund der hohen Industrialisierung des Landes viele. Nach der Wende absolvierten die meisten von ihnen Weiterbildungsmarathons: Englisch nachholen, betriebswirtschaftliches Knowhow aufbauen und so weiter. Alles für den Anschluss. Arbeitsmarktexperten sagen heute, dass etliche Ostdeutsche in Maßnahmen hängen blieben, statt rasch in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Und das auf Kosten ihrer Karriere. Wenn ostdeutsche Fachkräfte heute eine veritable Chance haben, dann eher solche ohne langjährige DDR-Biografie.

Dr. Silke Geithner ist Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Organisation an der Technischen Universität in Dresden – das gefühlte städtische München des deutschen Ostens. Geithner forscht aktuell zum Status quo von Personalentwicklungsmaßnahmen im Mittelstand: Was beflügelt und was behindert Unternehmen darin? Etliche Jahre hatte man sich nach der Wende mit Personalabbau befasst, heute laute die Parole hingegen „Personal entwickeln!“, so die Forscherin. Das sei für viele Manager erst einmal ungewohnt.

Geithner sitzt an einem Standort, der finanziell einigermaßen Spielraum besitzt. Leere kommunale Kassen sehen anders aus. Dresden sieht sich als Leuchtturmstandort in Deutschland. Nach Ende der kommunistischen Ära hat man in Hochtechnologie investiert – Mikroelektronik, Nanotechnik, neue Werkstoffe sowie Life Sciences – alles made in Dresden. Heute – verkündet der kommunale Informationsdienst – arbeiten so viele Menschen in Dresden wie seit der Wende nicht mehr. Ein konkreter Anhaltspunkt: Zwischen 2007 und 2011 hätten die 100 größten Unternehmen ihre Umsätze um fast 20 Prozent gesteigert, die Beschäftigtenquote sei um 17 Prozent gewachsen, heißt es aus Dresden.

Akademische Bildung ist auch im Falle der weiblichen Abwanderung nach der Wende ein interessanter Faktor. Über diesen stellen Experten bis heute Vermutungen an. Die einen führen die Wanderbereitschaft auf eine vergleichsweise entwicklungsbedingte Abnabelung vom Elternhaus zurück. Wieder andere sagen, Frauen seien es gewohnt, über Heirat und Wegzug den sozialen Aufstieg und die Existenzfrage zu meistern. Prof. Dr. Michael Behr - Experte auf dem Gebiet der demografischen Entwicklung und Leiter der Abteilung „Arbeitsmarktpolitik, Berufliche Bildung“ im Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie führte 2012 in einem Vortrag auf einem Kongress der Gothaer Jusos aus, dass viele Frauen höhere Berufsabschlüsse erzielt hätten, da ihnen Lehrberufe oft versperrt blieben. (http://www.youtube.com/watch?v=ymiqOgGJut4) Dies wiederum gewährleistete die Anschlussfähigkeit an das westliche Bildungssystem. Die starke weibliche Konzentration auf Dienstleistungsberufe vor allem in den 1990er Jahren begünstigte ihre Abwanderung. Sie entschieden sich damals für den Beruf, nicht aber für eine Region. Diese wird nun wieder interessant.

Für westdeutsche Firmen wendet sich das Blatt: Durch die jahrzehntelange Abwanderung ostdeutscher junger Arbeitskräfte wurde der Westen bislang davor bewahrt, schon früher in eine Fachkräftekrise zu geraten. Die Hilfe aus dem Osten schwindet nun langsam. Auch Frank-Jürgen Weise – Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit – sieht Probleme auf Westdeutschland zukommen. Aus seiner Sicht zieht es immer weniger Arbeitskräfte von den neuen Bundesländern weg. In diesem Zusammenhang möchte Weise Ostdeutschland in der Öffentlichkeit nicht mehr als Problemfall behandelt wissen.

Vielleicht sind es in naher Zukunft ostdeutsche Unternehmen, die in Deutschland zeigen, wie es gelingt, Arbeitskräfte zu halten und zu gewinnen. Seit Jahren zerbrechen sie sich nämlich den Kopf darüber, was ihre Regionen attraktiv macht und wie man Bürger hält. Der Zeitgeist scheint ihnen ordentlich Wind ins Segel zu tragen.


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