Die Ausgangslage

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Seit dem 1.1.2015 gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn. Das MiLoG regelt in § 3, dass jegliche Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, „insoweit“ unwirksam sind. Der Gesetzgeber wollte damit die Arbeitnehmer davor schützen, dass der Anspruch auf Mindestlohn durch missbräuchliche Konstruktionen umgangen wird (BT-Drs. 18/1558, S. 35).

Problematisch ist es daher, wenn Ansprüche auf Mindestlohn und die im Arbeitsrecht üblichen Ausschlussfristen aufeinandertreffen. In vielen Arbeitsverträgen findet man Klauseln, nach denen Ansprüche erlöschen, wenn die andere Vertragspartei sie nicht innerhalb von (i. d. R.) drei Monaten nach Fälligkeit geltend macht. Da jedes Entgelt einen „Mindestlohnanteil“ enthält und Ausschlussfristen die regelmäßige Verjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB) verkürzen, beschränken sie im Ergebnis auch den Anspruch auf Mindestlohn.

Unklar war nun, ob Ausschlussfristen, die den Anspruch auf Mindestlohn nicht ausdrücklich ausnehmen, insgesamt unwirksam sind oder – hier spielt das Wörtchen „insoweit“ in § 3 MiLoG eine Rolle – nur auf Lohnansprüche bis zur Grenze des Mindestlohns nicht anwendbar sind. Gleichzeitig stellte sich die Frage, ob der Zeitpunkt des Vertragsschlusses bedeutsam ist. Das BAG brachte in seinem Urteil vom 18.9.2018 (9 AZR 162/18) nun endlich Klarheit: Nimmt eine Ausschlussklausel in Verträgen nach dem 1.1.2015 den Mindestlohnanspruch nicht vom Verfall ausdrücklich aus, so ist sie insgesamt unwirksam.

Eine erste Entscheidung des BAG zu einem verwandten Thema

Bereits im August 2016 hatte das BAG (Urt. v. 24.8.2016 – 5 AZR 703/15, AuA 4/17, S. 249) entschieden, dass eine Ausschlussklausel unwirksam sei, die den Anspruch auf Mindestentgelt in der Pflegebranche (PflegeArbbV) nicht ausnahm, obwohl der Vertrag drei Jahre nach Inkrafttreten der entsprechenden Verordnung geschlossen worden war.

Die Klausel verstoße gegen das gesetzliche Verbot des § 9 Satz 3 AEntG, wonach das Mindestentgelt aufgrund einer Rechtsverordnung nur tariflichen Ausschlussfristen unterworfen werden dürfe. Die Regelung sei nicht transparent und stelle die Rechtslage irreführend dar, da der durchschnittliche Arbeitnehmer davon ausgehe, dass er auch das Mindestentgelt innerhalb der (kurzen) Ausschlussfristen geltend machen müsse. Da es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) handele, sei eine Reduktion auf den (noch) zulässigen Inhalt nicht möglich (sog. Verbot der geltungserhaltenden Reduktion).

Das Urteil gab zwar gewisse Anhaltspunkte, da es aber den Spezialbereich der Pflegebranche betraf, blieb weiterhin unklar, ob die Ausführungen des BAG auch für den allgemeinen Mindestlohn gelten sollten.

Das LAG Nürnberg und da s Wörtchen „insoweit“

Das LAG Nürnberg hatte im Jahr 2017 (Urt. v. 9.5.2017 – 7 Sa 560/16, vgl. AuA 8/17, S. 484) darüber zu entscheiden, ob Ansprüche eines Mitarbeiters auf Urlaubsabgeltung und Überstundenvergütung wegen der vertraglichen Ausschlussfrist verfallen waren. Es bejahte diese Frage und wies die Berufung des Klägers als unbegründet zurück.

Dabei argumentierte das Gericht, dass die Ausschlussklausel nicht insgesamt, sondern nur bezogen auf Ansprüche auf Mindestlohn keine Anwendung finde. Dies folge aus der Formulierung „insoweit“ in § 3 MiLoG. Der Gesetzgeber habe eine Einschränkung nur hinsichtlich des Mindestlohns beabsichtigt. Eine Auslegung auf weitere Ansprüche verstoße gegen das Prinzip der Gewaltenteilung, die die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten würde. Ferner seien die Ansprüche selbst auch nicht vom Geltungsbereich des MiLoG erfasst.

Das BAG ließ die Frage weiterhin offen

Im Herbst 2017 hatte das BAG einen Sachverhalt hinsichtlich des Verfalls des Urlaubsabgeltungsanspruchs und einer Sonderprämie aufgrund einer nicht gewahrten Ausschlussfrist zu entscheiden (Urt. v. 17.10.2017 – 9 AZR 80/17, AuA 7/18, S. 441). Auch hier stellte sich die Frage, ob die Klausel unwirksam ist, da der Anspruch auf Mindestlohn nicht ausdrücklich ausgeschlossen war. Zwar bejahte der 9. Senat einen Verstoß gegen § 3 MiLoG, konnte die Frage der (Gesamt-)Unwirksamkeit der Klausel aber ausdrücklich offenlassen. Grund hierfür war, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bereits im Oktober 2014 – und damit vor Geltung des Mindestlohns – beendet worden war.

Die Entscheidung im Revisionsverfahren zum Urteil des LAG Nürnberg (v. 9.5.2017 – 7 Sa 560/16) führte ebenfalls keine Klarheit herbei. Die Erfurter Richter konnten in ihrem Urteil vom 20.6.2018 (5 AZR 262/17, AuA 2/19, S. 118) die Frage des Verhältnisses von Mindestlohn und Ausschlussfrist erneut offenlassen. Die Parteien hatten zwischenzeitlich Vergleichsverhandlungen über die geltend gemachten Ansprüche geführt. Dies habe in entsprechender Anwendung des § 203 BGB (Verjährungshemmung) zu einer Hemmung der Ausschlussfrist geführt. Da diese nach Ansicht das BAG gewahrt war, kam es auf die Frage ihrer Wirksamkeit – also darauf, ob Mindestlohnansprüche auszunehmen waren – nicht mehr an.

(Un)Wirksamkeit der Ausschlussklausel endlich geklärt

In seiner Entscheidung vom 18.9.2018 (9 AZR 162/18) hat sich das BAG nun zur strittigen Frage klar positioniert.

Der dortige Kläger war aufgrund eines Arbeitsvertrags vom 1.9.2015 als Fußbodenleger beschäftigt und hatte seine Ansprüche auf Urlaubsabgeltung nicht innerhalb der dreimonatigen vertraglichen Ausschlussfrist geltend gemacht. Ähnlich wie in seiner Entscheidung aus 2016 sieht das BAG den Zeitpunkt des Vertragsschlusses als entscheidend an. Für Verträge nach dem 1.1.2015 verstoße es gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), den Anspruch auf Mindestlohn vom Verfall nicht auszunehmen, da die Rechtslage unzutreffend wiedergegeben werde. Das Transparenzgebot umfasse das Bestimmtheitsgebot. Vertragsklauseln müssten so formuliert sein, dass der Vertragspartner (hier der Arbeitnehmer) Gewissheit über seine vertraglichen Ansprüche und Pflichten habe und nicht von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten werde.

Auch schränke das MiLoG die Regelungen im AGB-Recht nicht ein, so dass eine geltungserhaltende Reduktion der Klausel ausscheide und sie insgesamt unwirksam sei. Es blieb daher bei der dreijährigen gesetzlichen Verjährung. Der Kläger war mit seiner Revision erfolgreich – das LAG Hamburg (Urt. v. 31.1.2018 – 33 Sa 17/17) hatte seinen Anspruch im Rahmen der Berufung noch verneint.

Vertragsmuster prüfen und Klauseln anpassen

Aufgrund der nun eindeutigen Aussagen des BAG sollten Arbeitgeber ihre Vertragsmuster daraufhin überprüfen, ob Ausschlussklauseln Mindestlohnansprüche ausdrücklich ausnehmen und sie ggf. entsprechend anpassen. Andernfalls besteht die Gefahr der Unwirksamkeit dieser Klauseln. Ansprüche des Beschäftigten verfallen dann nicht in der kurzen vereinbarten Frist, sondern unterliegen der Regelverjährung von drei Jahren.

Vorsicht geboten ist auch bei Vertragsänderungen. Werden Verträge angepasst (bspw. das Gehalt), kann aus einem „Altvertrag“ schnell ein „Neuvertrag“ werden.

Praxistipp

Sicherheitshalber sollte bei der nächsten Vertragsänderung auch gleichzeitig eine Anpassung der Ausschlussklausel (falls erforderlich) erfolgen.

Fazit

Auch wenn es sich bereits andeutete, bringt die Entscheidung nun die benötigte Klarheit. Ab 1.1.2015 müssen arbeitsvertragliche Ausschlussfristen ausdrücklich den Anspruch auf Mindestlohn ausnehmen. Das BAG hat deutlich gemacht, dass – entgegen mancher Ansicht in der rechtswissenschaftlichen Literatur – auch das MiLoG keine Ausnahme vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion vorsieht.

Richtigerweise führt aber die Gesetzesänderung bei „Altverträgen“ (also vor dem 1.1.2015) nicht zu einer Intransparenz – dem Arbeitgeber kann nicht das Risiko der Unwirksamkeit seiner Vertragsklauseln aufgebürdet werden, wenn der Gesetzgeber neue Ansprüche schafft. Trotzdem ist bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen stets die aktuelle Rechtsprechung im Blick zu behalten.

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 3/19, S. 174f.