Problempunkt

black pencil on ruled notepad beside white ceramic mug and gray laptop computer
Foto von Oli Dale

Die Arbeitgeberin mahnte den Kläger ab, weil er einer Mitarbeiterin auf den Hintern geschlagen hatte. Im folgenden Jahr machte der Kläger bei vier Gelegenheiten sexuelle Bemerkungen gegenüber einer anderen Kollegin. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber ihm außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht. Das LAG hielt die Kündigung für unwirksam. Eine Abmahnung wäre ausreichend gewesen, zumal die verbalen Belästigungen nicht Gegenstand der ersten Abmahnung gewesen seien.

Entscheidung

Das BAG erachtete die fristlose Kündigung für rechtmäßig. Durch seine Bemerkungen belästigte der Kläger die Mitarbeiterin sexuell und verletzte damit seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Dies stellt einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung „an sich“ dar. Dabei machte das BAG deutlich, dass sexuelle Belästigung alle Formen unerwünschter verbaler und körperlicher sexuell bestimmter Handlungsweisen umfasst. Maßgeblich ist allein, dass die Belästigung stattgefunden hat – es kommt weder auf die Absichten oder Vorstellungen des Täters an noch muss das Opfer seine Ablehnung aktiv äußern.

Bei der Frage, ob eine Kündigung wegen sexueller Belästigung verhältnismäßig ist, ist nach Ansicht des BAG die gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers, sexuelle Belästigungen zu verhindern, zu berücksichtigen. Nach § 12 AGG muss er solches Verhalten unterbinden, d. h. Maßnahmen treffen, die eine Wiederholung ausschließen. Das Gericht sah die Abmahnung wegen des Schlags auf das Gesäß als einschlägig an. Da sie nicht bewirkte, dass der Kläger sein Verhalten änderte, war die Kündigung nunmehr das angemessene Mittel. Daran änderten auch die Betriebszugehörigkeit von 32 Jahren und das Lebensalter von 58 Jahren nichts.

Konsequenzen

Unter den Begriff der sexuellen Belästigung fallen alle Arten von unerwünschten sexuellen Handlungen: Aufforderungen hierzu, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie das Zeigen und Anbringen pornografischer Darstellungen. Für Täter entfällt mit der Entscheidung des BAG die häufig vorgebrachte Entschuldigung, die Bemerkungen oder Übergriffe seien nur „als Spaß“ gemeint gewesen. Auch können sie sich nicht mehr darauf berufen, die Betroffenen hätten sich nicht ausdrücklich gegen die Bemerkungen oder Übergriffe zur Wehr gesetzt.

Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, sexuelle Belästigungen zu unterbinden. Sie haben geeignete Maßnahmen – bis hin zur fristlosen Kündigung – zu treffen, die eine Wiederholungsgefahr ausschließen. Vor diesem Hintergrund ist eine Abmahnung bei einmaligen Vorfällen i. d. R. das Mittel der Wahl. Haben sie den Täter bereits einschlägig abgemahnt – und hier ist nicht zwischen verbalen und körperlichen Aufdringlichkeiten zu unterscheiden – bleibt dem Arbeitgeber zum Schutz der Beschäftigten als Reaktion grundsätzlich nur, das Arbeitsverhältnis zu kündigen.

Eine vorherige einschlägige Abmahnung ist jedoch nicht in jedem Fall erforderlich. Gerade bei wiederholten Belästigungen oder bei körperlichen Übergriffen kann eine Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt sein.

Versetzung bzw. Umsetzung kommen in Betracht, falls sich die Belästigungen ausschließlich auf eine bestimmte Person beziehen und sich durch die Änderung von Arbeitsort und/ oder -zeit weitere Begegnungen ausschließen lassen. U. U. ist hierfür eine Änderungskündigung notwendig, z. B. wenn sich der Arbeitgeber die Versetzung arbeitsvertraglich nicht vorbehalten hat.

Praxistipp

Stehen Vorwürfe sexueller Belästigung im Raum, muss der Arbeitgeber umgehend mit der Aufklärung beginnen. Die zweiwöchige Ausschlussfrist für die außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 2 BGB beginnt zu laufen, sobald der Kündigungsberechtigte Kenntnis vom Sachverhalt hat. Dessen ungeachtet erfordern die Gespräche zur Sachverhaltsaufklärung mit den Betroffenen Ruhe und größtmögliche Vertraulichkeit. Im Vorfeld sollte der Arbeitgeber ihnen anbieten, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen. Es empfiehlt sich zudem, mögliche Unterstützungsangebote, z. B. Sozialberatung, Betriebsärztlicher Dienst, psychologische Hilfe, zu prüfen.

Bei der Sachverhaltsaufklärung sind folgende Punkte umfassend festzustellen:

  • Welche konkreten Handlungen sind vorgefallen bzw. welche verbalen Äußerungen hat der Betreffende gemacht?
  • Wo und wann ist es zu den Handlungen bzw. Äußerungen gekommen?
  • Wer hat die Vorfälle beobachtet bzw. wem haben sich die Betroffenen anvertraut?
  • Wer ist ggf. noch Opfer sexueller Belästigungen geworden?

Am besten geben Betroffene und Zeugen eine schriftliche Darstellung des Sachverhalts in eigenen Worten in Form einer eidesstattlichen Versicherung ab, die sich der Arbeitgeber im Original aushändigen lassen sollte.

Das Unternehmen sollte Betroffene und Zeugen frühzeitig auf eine mögliche Aussage vor Gericht hinweisen. Nicht selten stellt die Konfrontation mit dem Täter oder das nochmalige Durchleben der Situationen eine erhebliche Hürde dafür dar, die Angaben vor Gericht zu wiederholen. Dabei sind die Betroffenen und Zeugen häufig das einzige verfügbare Beweismittel für den Arbeitgeber.

In Fällen sexueller Belästigung sollte das Unternehmen dem Täter immer Gelegenheit geben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, um neben der Tatkündigung auch eine Verdachtskündigung aussprechen zu können. Außerdem ist es sinnvoll, den Täter von der Arbeitsleistung freizustellen, solange die Vorwürfe nicht ausreichend sicher entkräftet sind.


Autor: RA Dr. Volker Subatzus, Horneburg


Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht ∙ 4/12

Durch die eidesstattliche Versicherung kann der Arbeitgeber zum einen in einem etwaigen späteren einstweiligen Rechtsschutzverfahren, z. B. wegen Weiterbeschäftigung, den kündigungsrelevanten Sachverhalt glaubhaft machen. Zum anderen erhöht sie die Hemmschwelle für übertriebene oder unzutreffende Angaben. Das ist wichtig, weil sich Täter oft zu ihrer Verteidigung darauf berufen, sie würden durch falsche Vorwürfe absichtlich diskreditiert oder seien Opfer von Racheaktionen.