Ein (Haus-)Tarifvertrag kann selbst bei beiderseitiger
Tarifgebundenheit eine Vereinbarung in einem Arbeitsvertrag nicht ablösen. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitsvertrag auf die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR Caritas) Bezug nimmt. Für das Verhältnis der einzelvertraglichen und tarifvertraglichen Ansprüche zueinander gilt das in § 4 Abs. 3 TVG geregelte Günstigkeitsprinzip.
BAG 22.02.2012 – 4 AZR 24/10

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Anspruch auf Überstundenabgeltung jedenfalls für Geringverdiener
Eine Arbeitsvertragsklausel, die Geringverdiener ohne besondere Vergütung dazu verpflichtet, Mehrarbeit zu leisten, ist nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen Intransparenz unwirksam. Die Vergütung richtet sich in diesem Fall nach § 612 Abs. 1 BGB. Das heißt, es besteht ein zusätzlicher Vergütungsanspruch, wenn die Mehrarbeit den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Diese Vergütungserwartung ist dann berechtigt, wenn der Arbeitnehmer kein herausgehobenes Entgelt bezieht.
BAG 22.02.2012 – 5 AZR 765/10

Kein doppelter Urlaubsanspruch bei Doppelarbeitsverhältnis wegen unwirksamer Kündigung
Hat ein Arbeitnehmer, nachdem er eine Kündigung erhalten hat, ein neues Arbeitsverhältnis begründet und hat er erfolgreich gegen die Kündigung geklagt, steht ihm im Umfang des von seinem neuen Arbeitgeber gewährten Urlaubs grundsätzlich kein Ersatzurlaubsanspruch bei seinen alten Arbeitgeber zu. Dies gilt jedenfalls dann, wenn er seine Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig erfüllen könnte.
BAG 21.02.2012 – 9 AZR 487/10

Keine Arbeitgeberhaftung für Gehaltseinbußen bei variabler Vergütung nach Organisationsänderungen
Wurde zwischen den Arbeitsvertragsparteien neben einem Fixgehalt auch eine variable Vergütungskomponente vereinbart, ist der Arbeitgeber ohne besondere vertragliche Vereinbarung nicht verpflichtet, den Betrieb so zu organisieren, dass die Höhe der erfolgsabhängigen Vergütung konstant bleibt. Es entspricht vielmehr gerade dem Wesen einer variablen Vergütung, dass deren Höhe von den jeweiligen Marktbedingungen beziehungsweise der jeweiligen Vertriebsorganisation des Arbeitgebers abhängig ist.
BAG 16.02.2012 – 8 AZR 98/11

Frage nach Schwerbehinderung nach Ablauf von sechs Monaten zulässig
Nach Ablauf von sechs Monaten – das heißt, nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes für behinderte Menschen – ist die Frage des Arbeitgebers nach einer Schwerbehinderung zulässig. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Ausspruch von Kündigungen.
BAG 16.02.2012 – 6 AZR 553/10

Anforderungen an Entschädigungsanspruch für schwerbehinderte Bewerber
Nach § 82 Satz 2 SGB IX muss ein öffentlicher Arbeitgeber einen schwerbehinderten Menschen, der sich auf eine ausgeschriebene Stelle beworben hat und dabei seine Schwerbehinderung mitteilt, grundsätzlich zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn diesem offensichtlich die fachliche Eignung für die Stelle fehlt. Eine unterbliebene Einladung ist ein Indiz für die Vermutung, der Bewerber sei wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. Der Arbeitgeber kann diese Vermutung allerdings widerlegen.
BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10

Arbeitszeitgesetz gilt auch für Pflegepersonal im Privathaushalt
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gilt auch für ausländische Pflegekräfte, die in Privathaushalten arbeiten. Damit sind für Pflegekräfte aus dem Ausland, die nach Deutschland entsandt wurden, ebenfalls die im ArbZG geregelten Höchstarbeitszeiten zu beachten. Die werktägliche Arbeitszeit darf somit im Durchschnitt acht Stunden nicht überschreiten. Außerdem muss eine Ruhezeit von mindestens elf ununterbrochenen Stunden eingehalten werden.
BT-Drs. 17/8373 vom 18.01.2012

Betriebsratsanhörung muss sich auch auf Interessenabwägung erstrecken
Vor einer Kündigung wegen Diebstahls oder des Verdachts eines Diebstahls muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat in einer Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht nur die von ihm festgestellten Fakten mitteilen. Die Anhörung muss zudem auch Informationen über den Verlauf des Arbeitsverhältnisses und zur Interessenabwägung enthalten. Etwaige für die Kündigung maßgebliche Abmahnungen muss der Arbeitgeber selbst dann schildern, wenn der Betriebsrat Kenntnis von deren Existenz hat.
LAG Schleswig-Holstein 10.01.2012 – 2 Sa 305/11

Umfang der Freistellung eines Arbeitnehmers
Die vertragliche Arbeitspflicht eines Arbeitnehmers erlischt nur durch einen Erlassvertrages im Sinne des § 397 Abs. 1 ZPO oder einen Änderungsvertrag. Stellt der Arbeitgeber einen Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht frei, bedeutet das, dass er nur auf das Angebot der Arbeitsleistung verzichtet. Mit der Freistellung tritt damit Annahmeverzug des Arbeitgebers mit den Rechtsfolgen des § 615 BGB ein. Will der Arbeitgeber hingegen dem Arbeitnehmer die Vergütung weiter bezahlen und ihn von der Arbeit freistellen, ohne dafür einen anderweitigen Verdienst anzurechnen, muss diese Regelung der Freistellungserklärung eindeutig zu entnehmen sein.
LAG Schleswig-Holstein 22.12.2011 – 5 Sa 297/11

Annahmeverzug – böswilliges Unterlassen bei anderweitigem Erwerb
Der Arbeitnehmer unterlässt böswillig anderweitigen Erwerb, wenn er eine zumutbare Arbeit beim bisherigen Arbeitgeber ablehnt. Auch wenn der Arbeitgeber keine dringenden Gründe dafür angibt, warum er den Arbeitnehmer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses nicht mit der arbeitsvertraglich geschuldeten, sondern einer anderen Tätigkeit beschäftigt, schließt böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG nicht aus.
BAG 17.11.2011 – 5 AZR 564/10

Diskriminierung bei Vergütung nach dem Lebensalter
Die (in einem Tarifvertrag geregelte) Vergütung nach Lebensaltersstufen verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung wegen Alters. Sie stellt eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 RL 2000/78 dar, die nicht gerechtfertigt ist. Diesen Verstoß kann der Arbeitgeber nur beseitigen, indem er das Entgelt der wegen ihres Alters diskriminierten Arbeitnehmer in der Art und Weise „nach oben“ anpasst, dass diese Arbeitnehmer Anspruch auf die Vergütung der höchsten Lebensaltersstufe ihrer Vergütungsgruppe haben.
BAG 10.11.2011 – 6 AZR 481/09

Vorangegangene Berufsausbildung steht einer sachgrundlosen Befristung nicht entgegen
Ein Berufsausbildungsverhältnis ist kein Arbeitsverhältnis im Sinne des in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG normierten Vorbeschäftigungsverbotes.
BAG 21.09.2011 – 7 AZR 375/10

Keine Anrechnung von Arbeitslosengeld auf Karenzentschädigung
Arbeitslosengeld ist keine anderweitig erworbene Leistung im Sinne des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB, so dass auch keine Anrechnung auf die Karenzentschädigung erfolgt.
BAG 14.09.2011 – 10 AZR 198/10