Es geht ein Spruch um in Deutschland: Hallo, verdient hier jemand etwas? Oder: Haste mal ne Essensmarke? Die drei Euro bringe ich Dir nächste Woche mit. Während Menschen aus der ganzen Welt ins vermeintlich goldene Reich Europas wandern, um ihr finanzielles Glück zu finden, bleiben bei vielen Bundesbürgern die Lichter ihrer Kühlschränke aus. Wozu aufmachen, ist eh nix drin. Was nach überzogenem Wallraff klingt, wird jetzt vom DIW Berlin mit Zahlen belegt. Was Mensch im Alltag erlebt, bestätigen ihm jetzt Forscher: Du erlebst, was Du erlebst und viele andere auch.

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Foto von Nastuh Abootalebi

Daraus dürfte sich für viele Zeitgenossen nicht die Maßgabe ergeben: Ist ja völlig normal, was soll´s. Denn sie haben die Schmerzgrenze erreicht. Die Zahl der Menschen, die unter der Armutsrisikogrenze von knapp 950 Euro leben, beziffert das DIW Berlin auf 11,5 Millionen. Für die Ermittlung dieser amtlichen Grenze wird das Einkommen eines Einpersonenhaushaltes mit dem Medianeinkommen verglichen. Wer weniger als 60 Prozent davon besitzt, gilt als arm. Das verfügbare Einkommen wiederum setzt sich aus dem Erwerb, aus Renten, Pensionen sowie staatlichen Transferleistungen abzüglich Steuern und Abgaben zusammen.

Anlass für die aktuelle DIW-Erhebung war eine Rückschau: Bis 2005 hatte sich die Einkommensschere zwischen Reichen und Armen deutlich geöffnet, was aber war seither passiert? Die Forscher fanden, dass die Kluft nahezu unverändert blieb. Während die Einkommen der oberen zehn Prozent zwischen 2000 und 2012 um mehr als 15 Prozent gestiegen sind, blieben sie in den mittleren Einkommensgruppen fast unverändert. Die unteren 40 Prozent haben real sogar bis zu vier Prozent weniger als noch zur Jahrtausendwende.

Dass bei gewissen Bevölkerungsgruppen seit 2005 Stillstand herrscht, wiegt umso schwerer als seither die Lebenserhaltung teurer wurde. Der aktuelle Verbraucherpreisindex zeigt, das jetzt für Nahrung 10 Prozent und für den Haushalt 31 Prozent mehr als noch in 2010 ausgegeben werden müssen.

Junge Menschen – mittelloser Start ins Berufsleben

Dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, gilt heute noch. Jedoch haben die DIW-Ökonomen Werte in ihrer Studie für die Einkommenssituation junger Menschen ermittelt, die aufhorchen lassen. Gelten junge Leute doch als begehrt; offenbar löst das aber einen mittellosen Start ins Berufsleben nicht ab. Von den Berufseinsteigern im Alter zwischen 25 und 35 Jahre muss fast jeder Fünfte mit weniger als 949 Euro haushalten. Für Alleinlebende ist die Armutsrisikoquote in dieser Altersgruppe sogar von circa 27 Prozent (2000) auf etwa 39 Prozent (2012) gestiegen. “Ein Grund dafür liegt in den zu Beginn des Erwerbslebens oft niedrigen Arbeitseinkommen, insbesondere bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen”, erklärt DIW-Ökonom Carsten Schröder das Phänomen.

Auch das Gesamtbild der Einkommen zeigt, dass es wenig Entspannung gibt. Genau wie die realen Haushaltseinkommen sind die durchschnittlichen realen Markteinkommen im Zeitverlauf gestiegen und lagen im Jahr 2012 sieben bis acht Prozent über dem Wert von 2000. Betrachtet man allerdings die Medianeinkommen, ergibt sich ein anderes Bild. Das mittlere Haushaltseinkommen, das die Einkommensverteilung in die untere und obere Hälfte teilt, ist zwar ebenfalls gestiegen, der Anstieg fiel mit rund zwei Prozent allerdings deutlich geringer aus als bei den durchschnittlichen Haushaltseinkommen.

Fazit: Den Jubelmeldungen des Bundeswirtschafts- und Arbeitsministeriums stehen also Werte gegenüber, die zeigen, dass im Hinterhof der sich transformierenden Gesellschaft keine Erfolgsgeschichte geschrieben wird. Ob die notwendigen innovativen, neuen Geschäftsmodelle wirklich Menschen ernähren können – das bleibt abzuwarten. Viel Arbeit machen sie auf jeden Fall – aber füttern sie auch? Falls nicht, wird Bottom wahrscheinlich öfter zeigen, welche Effekte Bremsaktionen haben. Dazu gibt die digitale Welt ja mehr Gelegenheit als in old school-Welten bislang möglich war.   

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Foto: Rainer Sturm | pixelio.de