1 Die Neuregelung im Überblick

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Foto von Annie Spratt

Nach der 2014 erfolgten Gesetzesänderung im BGB kann • der Gläubiger (Arbeitnehmer)• einer Entgeltforderung (Gehalt)• von einem unternehmerischen Schuldner (Arbeitgeber)• im Falle des Zahlungsverzugs die Zahlung einer Pauschale i. H. v. 40 Euro verlangen, § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB. Eine vertragliche Beschränkung bzw. ein Ausschluss der Verzugspauschale im Voraus ist nicht möglich, wenn sie für den Gläubiger grob unbillig ist. Die grobe Unbilligkeit einer solchen vertraglichen Regelung wird nach der gesetzgeberischen Neufassung dabei im Zweifel vermutet. In der arbeitsrechtlichen Praxis sind kaum Fallkonstellationen denkbar, in welchen die Vermutung der groben Unbilligkeit widerlegbar wäre.1
Die neu eingeführte Verzugspauschale dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Eigentlich hatte der EU-Gesetzgeber mit der Einführung der Pauschale im Sinn, die immensen Zahlungsrückstände nur im Bereich des Geschäftsverkehrs (d. h. bei Geschäftsvorgängen zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen) einzudämmen. Allerdings gilt nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers die 40-Euro-Pauschale auch zwischen Unternehmer und Verbraucher.

2 Die umstrittene Frage der Anwendbarkeit im Arbeitsrecht

Die Frage der Anwendbarkeit der Verzugspauschale im Arbeitsrecht ist umstritten und bislang (noch) nicht höchstrichterlich entschieden. Die herrschende Meinung in der Literatur bejaht mit Verweis auf den Wortlaut des Gesetzes die Anwendbarkeit. Denn dem Wortlaut lasse sich jedenfalls nicht entnehmen, dass der Geltungsbereich der Verzugspauschale das Arbeitsrecht ausdrücklich ausschließt. Eine Gegenmeinung lehnt die Anwendbarkeit im Arbeitsrecht aufgrund spezialgesetzlicher Regelungen ab (§ 12a ArbGG – keine Kostenerstattung in ersterInstanz).

Rechtsprechung – Anwendbarkeit der Verzugspauschale

Die Rechtsprechung hat die Problematik der Anwendbarkeit im Arbeitsrecht bislang noch nicht endgültig geklärt. Das ArbG Düsseldorf ist in einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 12.5.2016 – 2 Ca 5416/15) der bis dato herrschenden Meinung nicht gefolgt und hat entschieden, dass der Anspruch auf Zahlung einer Verzugspauschale im erstinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen ist. Ob diese Rechtsauffassung jedoch von weiteren Gerichten bzw. höheren Instanzen geteilt wird, bleibt abzuwarten.

Sollte man jedoch mit der herrschenden Meinung in der Literatur die Anwendbarkeit der Verzugspauschale im Arbeitsrecht annehmen, so ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf Zahlung der Pauschale vom Arbeitnehmer geltend gemacht werden kann.

3 Anwendungsbereich

In zeitlicher Hinsicht war die Verzugspauschale zunächst nur auf Arbeitsverhältnisse anwendbar, die nach dem 28.7.2014 geschlossen wurden. Dies änderte sich jedoch mit Ablauf des 30.6.2016. Seit dem 1.7.2016 kann die Verzugspauschale für sämtliche Entgeltzahlungsverzüge (also unabhängig vom Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags) eingefordert werden, die aus ab diesem Zeitpunkt erbrachten Tätigkeiten des Mitarbeiters resultieren.

PRAXISTIPP
1 Die Unabdingbarkeit der Verzugspauschale gilt nur hinsichtlich einer vertraglichen Beschränkung bzw. eines Ausschlusses im Voraus. Vertragliche Regelungen, bei denen im Nachhinein auf die bereits entstandene Pauschale verzichtet bzw. diese beschränkt wird, sind hingegen wirksam.

Die Verzugspauschale hat gegenüber dem herkömmlichen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verzugs (z. B. Zinsen zur Aufnahme eines Überbrückungskredits) den Vorteil, dass sie in der Praxis keine Beweisprobleme im Hinblick auf die Schadensursächlichkeit oder Schadenshöhe aufweist. Jedoch setzen beide Ansprüche voraus, dass sich der Arbeitgeber mit der Gehaltszahlung schuldhaft in Verzug befindet. Im Arbeitsrecht ist der Zeitpunkt der Auszahlung des Gehalts regelmäßig im Arbeits- oder Tarifvertrag (zumindest aber von Gesetzes wegen nach Leistung der Arbeit) kalendarisch festgelegt, so dass das Unternehmen automatisch (also auch ohne Mahnung des Beschäftigten) in Verzug gerät. Diesen muss es des Weiteren schuldhaft herbeigeführt haben, indem die Verantwortlichen zumindest fahrlässigerweise zu wenig Gehalt oder dieses zu spät ausbezahlt haben. Der Arbeitgeber handelt nach der BAG-Rechtsprechung bspw. dann nicht fahrlässig, wenn die Rechtslage objektiv zweifelhaft ist und er diese sorgfältig geprüft hat.2

4 Entgeltforderung

Die Verzugspauschale fällt nach dem Wortlaut für jeden Monat erneut an, in dem der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt entweder überhaupt nicht, in zu geringer Höhe oder zu spät ausbezahlt. Nach umstrittener Auffassung entsteht die Pauschale nicht für jeden Entgeltbestandteil (z. B. Feiertagszuschläge, Gratifikationen, Boni etc.) gesondert. Insoweit ist zwar aus dem Wortlaut der Neuregelung zur Verzugspauschale nichts Genaueres ersichtlich. Die gebotene Auslegung nach Sinn und Zweck zwingt aber zu einer Differenzierung nach dem Verzugsgrund: Wenn das Unternehmen hinsichtlich verschiedener Entgeltbestandteile aus lediglich einem einheitlichen Grund in Verzug gerät, so entsteht die Pauschale nur einmal. Denn in diesem Fall fällt für den Mitarbeiter durch die Einforderung des Lohns kein zusätzlicher Aufwand an. Außerdem hätte dabei die Verzugspauschale als „Strafschadensersatz“ ihren Zweck erreicht. Gerät der Arbeitgeber hingegen hinsichtlich verschiedener Entgeltbestandteile aus verschiedenen Gründen in Verzug, so ist er für jeden Verzugsgrund zur Zahlung der Pauschale verpflichtet, damit ein darüber hinausgehender Gehaltsverzug durch die Pauschale sanktioniert und in Zukunft verhindert werden kann. Da die Verzugspauschale nach dem Sinn und Zweck Zahlungsverzögerungen verhindern soll, lässt sich vertreten, dass sie jedes Mal entsteht, wenn das Unternehmen nur einen Tag lang lediglich einen Bagatellbetrag von einem Cent zu wenig Lohn bezahlt. Andererseits könnte eine solche Geltendmachung des Beschäftigten auch rechtsmissbräuchlich sein und somit gegen Treu und Glauben verstoßen. Ob die Rechtsprechung hier einen Rechtsmissbrauch in Betracht zieht, wird sich noch herausstellen.

PRAXISTIPP
2 Man sollte sich vor der Entscheidung über eine problematische Arbeitsentgeltforderung juristisch beraten lassen.

5 Gefahrenquellen verspäteter Lohnzahlungen in der Praxis

Die neue Verzugspauschale i. H. v. 40 Euro könnte für den Arbeitgeber im Ergebnis daher sehr teuer werden. Denn auch solch ein relativ geringfügiger Betrag kann sich aufgrund der oben beschriebenen Voraussetzungen schnell aufsummieren.

Beispiel

Für den Fall, dass das Unternehmen 500 Mitarbeiter beschäftigt und diese jeweils nach Fälligkeit zu wenig oder zu spät Gehalt beziehen, würde allein die zu zahlende Pauschale (zusätzlich zu etwaig bestehenden Verzugszinsen) 20.000 Euro pro Monat betragen, die für jeden weiteren Verzugsmonat (nach umstrittener Ansicht sogar auch für jeden zu spät oder zu wenig entrichteten Entgeltbestandteil) erneut fällig werden kann. In der arbeitsrechtlichen Praxis erfolgt die Auszahlung der Gehälter in vielen Fällen deswegen zu spät oder in zu geringer Höhe, weil Gehaltserhöhungen (bspw. nach Tarifverhandlungen) nicht bzw. zu spät an externe Dienstleister, die für die Auszahlung der Gehälter beauftragt sind, gemeldet wurden. Die dadurch von den Dienstleistern in zu geringer Höhe veranlassten Gehaltszahlungen muss sich der Arbeitgeber zurechnen lassen. Ein weiterer Grund für den Zahlungsverzug liegt des Öfteren in der verspäteten Auszahlung von Leistungen aufgrund von gerichtlichen Vergleichen. Denn zahlt das Unternehmen die Abfindung erst gegen Ende des Monats gemeinsam mit dem regulären Gehalt des Arbeitnehmers und haben die Parteien im gerichtlichen Vergleich keinen Auszahlungstermin für die Abfindung vereinbart, so wird die Abfindung am Tag des Abschlusses dieses Vergleichs fällig. Zahlt der Arbeitgeber die Abfindung erst Ende des Monats an den Mitarbeiter aus, so gerät er schuldhaft in Zahlungsverzug.3

6 Weitere brisante Neuregelungen

Der neue § 308 Nr. 1a BGB führt zur Unwirksamkeit von arbeitsvertraglichen Klauseln, die eine Fälligkeit des Arbeitsentgelts mehr als 30 Tage nach Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer vorsehen. Nach den Vorgaben des MiLoG muss der Mindestlohn bis zu maximal zwei Monaten nach Erbringung der Arbeitsleistung ausbezahlt werden. Das Gesetz enthält dabei richtigerweise die spezielleren Normen gegenüber dem Klauselverbot des § 308 Nr. 1a BGB, weshalb Letzteres im Bereich des Mindestlohns nicht zur Anwendung gelangt. In diesem Zusammenhang muss der Arbeitgeber beachten, dass eine verspätete Zahlung des Mindestlohns (mehr als zwei Monate nach Erbringung der Arbeitsleistung) als schuldhafter Zahlungsverzug nach dem MiLoG mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro geahndet werden kann. Praktisch relevant wird dies bspw., wenn das Unternehmen nach der Kündigung des Beschäftigten die Gehaltszahlungen des (Mindest-)Lohns einstellt und der Mitarbeiter mit der dagegen erhobenen Kündigungsschutzklage obsiegt. In diesem Fall befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug. Nach umstrittener Auffassung wird vertreten, dass er nicht nur den Annahmeverzugslohn, sondern dazu auch noch das Bußgeld des MiLoG entrichten muss, da der Arbeitnehmer den Mindestlohn nach den Vorgaben des MiLoG zu spät erhalten hat. Diese Auffassung verfehlt jedoch den Sinn und Zweck der Regelung, da vor Rechtskraft der Entscheidung im Kündigungsrechtsstreit keine Beurteilung über das Vorliegen einer Zahlungspflicht möglich ist und daher kein Verschulden vorliegt.

7 Fazit

Vorerst fällt für Unternehmen in einem gerichtlichen Verfahren erster Instanz nach der dargestellten Ansicht des
ArbG Düsseldorf keine Verzugspauschale an. Ob diese Rechtsprechung mit dessen Begründung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (entgegen der herrschenden Meinung in der Literatur) fortgeführt wird, bleibt noch abzuwarten. Darüber hinaus gilt die Entscheidung des ArbG Düsseldorf explizit nur für die erste Instanz. Auf die zweite Instanz dürfte die Argumentation des Gerichts (keine Kostenerstattung im arbeitsgerichtlichen Verfahren erster Instanz, daher auch keine Verzugspauschale) hingegen nicht übertragbar sein. Arbeitgeber sollten somit die zukünftige Entwicklung der Problematik der Verzugspauschale aus mehreren Gründen aufmerksam verfolgen: Zum einen kann die Pauschale erst seit dem 1.7.2016 von allen Arbeitnehmern geltend gemacht werden. Zum anderen rückt die gesetzliche Neueinführung der Verzugspauschale langsam in das Bewusstsein der Öffentlichkeit, so dass mit ihrer zunehmenden Einforderung auf Seiten der Beschäftigten zu rechnen ist. Vor allem aber ist die Frage der Anwendbarkeit der Verzugspauschale im Arbeitsrecht in der Literatur umstritten und weitestgehend ungeklärt, da eine höchstrichterliche Entscheidung (noch) nicht ergangen ist. Sollte sich die herrschende Meinung in der Literatur bei der Rechtsprechung durchsetzen können, so könnten für Unternehmen aufgrund von überhaupt nicht, zu wenig oder zu spät ausbezahltem Lohn zusätzliche hohe Kosten durch Verpflichtungen zur Zahlung der Pauschale entstehen.

PRAXISTIPP
3 Unternehmen sollten ihre Struktur in der Weise organisieren, dass Gehaltserhöhungen rechtzeitig an die Personalabteilung bzw. an die externen Lohndienstleister gemeldet werden. Zudem sollte man auf eine rechtzeitige Auszahlung der Leistungen aus einem Vergleich achten. Da ohne besondere Vereinbarung eines Fälligkeitszeitpunkts die Leistungen aus dem Vergleich mit dessen Abschluss fällig werden und eine Auszahlung am selben Tag selten möglich sein wird, ist den Arbeitgebern eine Fälligkeitsvereinbarung der Leistungen zum Ende des nächsten bzw. übernächsten Monats zu empfehlen, um eine rechtzeitige Auszahlung zu gewährleisten.

Mit freundlicher Genehmigung durch Volker Hassel, Rechtsanwalt und Chefredakteur Arbeit und Arbeitsrecht (AuA), Magazin 11/16, 659ff