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Kriterien für Familienfreundlichkeit

Zu den zentralen Beurteilungskriterien für die Auszeichnung gehören zum Beispiel die Flexibilität von Arbeitszeit und -ort, die Wiedereinstiegsquote nach der Karenz, Angebote für Kinderbetreuung und Gleichstellung sowie Weiterbildungsmöglichkeiten. Im Zuge der Auszeichnung vergibt das Bundeskanzleramt jährlich einen Sonderpreis in Kooperation mit der Arbeitgeber-Bewertungsplattform kununu für „Bestes familienfreundliches Employer Branding“.

Beim jüngsten Ranking landeten die ikp Vorarlberg GmbH und die hrdiamonds – Personal, Management und Organisationsentwicklung GmbH in der Kategorie „Private Wirtschaftsunternehmen bis 20 Mitarbeiter“ auf den vordersten Plätzen. Was ist das Geheimrezept? „Offenheit und aktives Zuhören“, sagt Susanne Hudelist, Managing Partner bei ikp. „Wir fragen jährlich die ‚Wünsche ans Christkind‘ unserer Teams in Wien, Salzburg und Dornbirn zum Thema Werte und Unternehmenskultur ab und versuchen, diese so gut wie möglich in den Arbeitsalltag zu integrieren. Immerhin hat fast ein Drittel unseres Teams kleine Kinder zu betreuen und arbeitet daher auch in Teilzeit.“

Aus Teambedürfnissen heraus sei in dem Unternehmen zum Beispiel eine sehr flexible Arbeitszeiteinteilung entstanden. Dazu gehören die Möglichkeit zum raschen Wechsel der Wochenstunden oder auch zu Homeoffice und Mobile Office im Grünen. „Ideen wie das Baby Breakfast für Karenzierte, die Bio-Obstkiste und das Biotee-Regal haben wir auch gerne gleich umgesetzt.“

„Wir bieten unseren Beschäftigten die Chance, durch unsere attraktiven Angebote Beruf und Privatleben ganz individuell in Einklang zu bringen. Damit schaffen wir die Voraussetzung für motivierte, innovative und vitale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Bewerber dürften diese Zeilen, die auf der Karrierehomepage der Telekom zu lesen sind, erfreuen, wenn sie ernst gemeint sind. Denn die Balance von Berufs- und Privatleben wird immer wichtiger.

Zu diesem Ergebnis kommt die „Europäische Wertestudie“, ein Projekt des Forschungsverbunds „Interdisziplinäre Werteforschung“ der Universität Wien. Dieser zufolge büßt der Job gegenüber anderen Lebensbereichen seine einst so zentrale Stellung immer mehr ein.

Stand der Beruf 1990 noch für 62 Prozent der Befragten an erster Stelle, setzen ihn heute nur noch 48 Prozent aufs oberste Podest. An Bedeutung gewinnt dagegen, Arbeit und Privates besser unter einen Hut zu bringen. Entsprechend sind „angenehme Arbeitszeiten“ für 69 Prozent der Befragten ein ausschlaggebender Faktor für eine gute Unternehmenskultur. Dieser Wert hat sich binnen drei Jahrzehnten verdoppelt. Im Vergleich dazu ist das Bedürfnis, Karriere zu machen, annähernd gleich geblieben und hat sich von seinerzeit 45 Prozent gerade mal um fünf Marker erhöht.

Wertestudie: Bedürfnisse verschieben sich

Das zeigt: Die Bedürfnisse der Arbeitnehmer verschieben sich immer mehr in Richtung Work-Life-Balance. Einen besonders hohen Stellenwert erfährt dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das dürfte vor allem daran liegen, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Dieser strukturelle Wandel hat die Einstellung der Österreicher zu Arbeit und Beruf offensichtlich spürbar verändert.

Seitdem es mehr und mehr zum gesellschaftlichen Konsens wird, dass Familie und Beruf vereinbar sein müssen, beschäftigen sich auch Arbeitgeber mit dem Thema Familienfreundlichkeit. Mancher lässt sich sogar entsprechend zertifizieren. Nicht ganz uneigennützig. Immerhin wertet ein entsprechendes Gütesiegel auf der eigenen Webseite die eigene Arbeitgebermarke stark auf.

Zu den bekannteren Zertifizierungen gehört das „Audit berufundfamilie“ – ein Personalmanagementtool für Unternehmen aller Branchen ab fünf Mitarbeitern. Im Audit wird mit den Mitarbeitern die Familienfreundlichkeit der Organisation evaluiert und der Bedarf ermittelt. Die Evaluation ist zwar privatwirtschaftlich organisiert, trägt aber das Prädikat „staatlich anerkannt“.

Das heißt aber nicht, dass das österreichische Bundeskanzleramt das Thema Familienfreundlichkeit nicht auch ganz direkt zur Staatssache erklärt hätte. Es zeichnet Arbeitgeber und Institutionen jährlich mit einem eigenen Staatspreis für besonders herausragende Leistungen im Bereich familienbewusster Personalpolitik aus.

„Always on“ und digitaler Stress

Eines will Jung allerdings verstanden wissen: Das Thema Vereinbarkeit von Privatem und Beruf wird bei hrdiamonds explizit nicht nur aus der Perspektive der Mitarbeiter mit Kindern gedacht. Alle Arbeitnehmer sollten die gleichen Bedingungen vorfinden, meint sie. Beim Human Resources Management gehe es schließlich darum, der ganzen Belegschaft optimale Bedingungen zu bieten. „Jeder hat das Recht auf eine Balance. Daher gelten bei uns alle Regeln für alle Mitarbeiter gleichermaßen: Jeder kann von zu Hause arbeiten, wenn er möchte, in Teilzeit oder in Vollzeit. So haben Mitarbeiter die Chance, sich parallel zum Beruf zu verwirklichen. Ob sie mehr Zeit mit der Familie verbringen oder berufsbegleitend studieren wollen oder ob es die Yogaklasse ist, die ihnen am Herzen liegt.“

Einer, der diese Ansichten teilt, ist Frank Behrendt, Senior Advisor bei der Agenturgruppe Serviceplan und Bestsellerautor des Buches „Liebe dein Leben und NICHT deinen Job“. „Familien sind eine Facette“, sagt er. Wenn es Arbeitgeber in puncto Work-Life-Balance aber richtig machen wollten, sollten sie eine Unternehmenskultur schaffen, die jeden einzelnen berücksichtigt. „Auch Singles oder Paare haben Bedürfnisse an ihre individuelle Lebensgestaltung.“ Ein starrer 40-Stunden-Job schränke diese aber oft ein. Hinzu kommt, dass heute die „Always on“-Mentalität bei vielen für Stress sorge. Hier müsse ein Ausgleich geschaffen werden.

Die aktuelle Studie „Digitaler Stress“ der Hans Böckler-Stiftung gibt Behrendt recht: Hoher digitaler Stress geht oft mit einem starken Konflikt zwischen Arbeits- und Privatleben einher. „Digitaler Stress beeinflusst den privaten Bereich von Arbeitnehmern nicht nur durch seine Auswirkungen auf die Gesundheit, sondern hängt auch mit der Verwischung der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben und einem Trade-off zwischen der Erfüllung beruflicher und privater Pflichten zusammen“, heißt es in der Studie.

Der Einsatz moderner Technik verspricht auf den ersten Blick zwar Zeitersparnis, im schlechtesten Fall raubt er diese aber, weil Arbeitnehmer nicht mehr abschalten können. Umso wichtiger sind Pausen, die in den Alltag integriert werden, um Körper und Biosystem leistungsfähig zu erhalten. Das macht das Thema Work-Life-Balance für alle Arbeitnehmer so wichtig. Frank Behrendt rät daher: „Unternehmen sollten mehr in Ergebnissen denken und nicht in physischer Anwesenheit. Wann und wo gute Ergebnisse geliefert werden, ist nicht mehr wichtig, sondern dass sie „just in time“ geliefert werden, zählt. Wer abends kreativer ist, sollte im Gegenzug auch tagsüber private Dinge erledigen können. Natürlich muss es klare Spielregeln geben und Absprachen, denn auch das persönliche Zusammenkommen bleibt bei aller Flexibilisierung, die Digitalisierung heute möglich macht, wichtig.“

Individuelle Strategie gefragt

Wichtig dafür sei eine Strategie, die individuell auf das Unternehmen und die Mitarbeiter zugeschnitten sei. Es gebe dafür kein Lehrbuch und keine Standardformel, die für alle passt. Nicht immer muss es eine Mitarbeiterumfrage sein, um herauszufinden, was die Mitarbeiter sich wünschen und was ihnen wichtig ist. „Das kann auch in moderierten Workshops oder mit Hilfe eines Onlinetools geschehen“, empfiehlt der Work-Life-Balance-Experte. „Anschließend muss die Machbarkeit geprüft werden, denn am Ende ist es ein Geben und Nehmen. Eine gute Strategie macht schließlich für alle Sinn – für die Angestellten ebenso wie für das Unternehmen.“ Die New-Work-Bewegung habe in Verbindung mit der Digitalisierung aber bereits dazu geführt, dass tradierte Arbeitsmodelle in Frage gestellt würden. Allerdings sind viele Arbeitgeber derzeit noch auf der Suche nach passgenauen Lösungen.

Gerade, wenn es um Spezialthemen geht, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Privatem eine komplexe Angelegenheit. Ein Beispiel: Seit Jänner 2018 müssen große Unternehmen in Österreich 30 Prozent der Aufsichtsratsmandate mit Frauen besetzen. Die Quote gilt für Neubestellungen in Unternehmen, deren Aufsichtsrat aus mindestens sechs Kapitalvertretern besteht und deren Belegschaft zu 20 oder mehr Prozent Frauen sind. Die Frage, die sich hier stellt: Wie kann es funktionieren, Frauen in eine Vorstandsposition zu bringen, ohne ihnen die Chance auf eine gute Work-Life-Balance oder ein ausgewogenes Familienleben zu nehmen? Dass das nicht zwingend ein Ding der Unmöglichkeit ist, beweist das mit dem HR Excellence Award ausgezeichnete Rollenentdecker-Programm des Beratungsunternehmens brands for talents.

Inhaberin Ina Claßen erklärt: „Uns geht es darum, mit der weiblichen Fach- und Führungskraft zu erarbeiten, wie das persönliche Lebenskonzept aussieht. Da geht es um Fragen, wie die Frauen nach einem schnellen Wiedereinstieg direkt nach dem Mutterschutz ihre Vorstellungen zum Thema Stillen und einer Vollzeitstelle umsetzen können. Oder es geht darum, wie ich als Teilzeitkraft in Führungsverantwortung mein internationales virtuelles Team am besten steuernkann.“

Andere Anliegen sind: Wie schafft es eine Mutter in einer 80-Prozent-Stelle, genügend Zeit zum Abgeben des Kindes in der Kita zu haben, aber trotzdem pünktlich zum Meeting ins Büro zu kommen und zwar fokussiert auf den Job und das regelmäßig! „Hier geben wir keine Lösungswege vor, sondern wir unterstützen als Ratgeber. Die Führungskraft erhält in allen Bereichen ihrer Situation als Mutter und Frau mit einer Karriere einen Plan, mit dem sie erfolgreich ihr Leben gestalten kann.“

Kleine Dinge, die Großes bewirken

Meist kämen im Austausch mit den Mitarbeitern vor allem viele kleine Dinge ans Tageslicht, die in Summe im Alltag aber Großes bewirken. Zum Beispiel tragen Arbeitnehmer bei ikp inzwischen auch private Termine wie „Kind von der Kita abholen“ in den Office-Kalender ein. „Das entspannt bei der Planung von beruflichen und privaten Angelegenheiten und unterstreicht den Stellenwert der Familie“, sagt Hudelist, der bei dem Thema Familienfreundlichkeit eines außerdem ganz wichtig ist: Die Begegnung auf Augenhöhe.

„Betrieb und Mitarbeiter geben und nehmen in gleichem Maße“, sagt sie. „Daher involvieren wir die Teams neben den Mitarbeitergesprächen auch in regelmäßigen Meetings wie dem quartalsweisen Zwischenstopp und Werteworkshops.“ In jeder Meetingart gibt es einen leeren Agendapunkt, in dem der Arbeitgeber abfragt, was er besser machen kann. Sehr oft geben einzelne Mitarbeiter den Anstoß zu neuen Angeboten. Zu den „ikp Geheimnissen“ etwa, einem Blog im firmeneigenen Intranet, der von internen News berichtet und auch für Karenzierte ein tolles wöchentliches Update ist.

Bei den Staatspreisträger-Kollegen von hrdiamonds hält man es ähnlich mit der Offenheit zwischen Management und Angestellten. Das geht so weit, dass Mitarbeiterinnen den Arbeitgeber schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt in die Familienplanung involvieren. Sie machen, wie in anderen Unternehmen üblich, kein großes Geheimnis darum, sondern plaudern darüber, wenn das Thema darauf kommt.

Ulrike Jung, Geschäftsführende Gesellschafterin und zuständig für die Personal- und Organisationsentwicklung bei hrdiamonds, erzählt: „So ist es viel natürlicher. Das macht es uns leichter, gemeinsam mit den Mitarbeitern zu planen. Wenn zum Beispiel eine Kollegin aus der Karenz kommt, für ein Jahr engagiert arbeitet, aber von vornherein offen anspricht, ein zweites Kind zu wollen, dann ist das für uns als Unternehmen doch nur von Vorteil, weil wir uns mental darauf einstellen können.“

Natürlich ist eine solche Selbstoffenbarung kein Muss, sondern kommt von den Frauen selbst. Jung hat die Erfahrung gemacht, dass es diese eher als belastend empfinden, sich gegenüber dem Arbeitgeber in Sachen Familienplanung in nebulöses Schweigen zu hüllen. So rücke man das Natürlichste der Welt in eine Tabuzone, wo es absolut nicht hingehöre. „Durch Verständnis füreinander bringt man die Frauen nicht in Loyalitätskonflikte. Sie haben nicht das Gefühl, die andere Seite zu hintergehen.“

Daher will das Personalmanagement bei hrdiamonds von Anfang an einen Ort schaffen, in dem Leben und Arbeiten zusammenfließen und einander ergänzen. Das gilt natürlich auch für die Zeit nach der Geburt. „Im Office sind ständig Kinder. Sie machen hier Hausaufgaben und essen mit ihrem Elternteil zu Mittag. Die Familie läuft bei uns ganz natürlich mit“, erzählt Ulrike Jung. „Und wer spontan zuhause arbeiten möchte, kann auch das tun, wenn es ihm besser passt. Homeoffice muss nicht lange vorher angekündigt werden. Es reicht, kurzfristig eine Nachricht in den Kalender zu schreiben, damit die Kollegen informiert sind.“

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

So weit, so gut. Doch auch wenn der Stein in puncto Work-Life-Balance und Familienfreundlichkeit hier und da tatsächlich ins Rollen zu kommen scheint: Von einem verallgemeinerbaren Trend kann noch nicht die Rede sein. In der 2019er-Ausgabe der jährlichen Studie „Recruting Trends“ der Universität Bamberg ist das schwarz auf weiß nachzulesen.

Bereits beim Thema Homeoffice ergibt sich laut dieser ein Spannungsfeld zwischen dem, was Arbeitnehmer wollen und Arbeitgeber bieten. Nur 54 Prozent der Top-1.000-Unternehmen lassen ihre Mitarbeiter ab und an von zu Hause arbeiten. Dabei würden das acht von zehn Arbeitnehmern gerne für sich in Anspruch nehmen.

Des Weiteren wäre es 67 Prozent der Arbeitenden wichtig, vollkommen ortsunabhängig zu arbeiten. Hier bieten aber nur 43 Prozent der Top-1.000-Unternehmen passende Angebote. Einig sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer bislang eigentlich nur bei dem Thema flexible Arbeitszeitgestaltung. Mehr als neun von zehn Kandidaten möchten ihre Arbeit flexibel gestalten, und 91 Prozent der Top-1.000-Unternehmen tragen dem Rechnung.

Angesichts dieser Diskrepanzen würde nur etwas mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer von sich behaupten, Arbeit, Familie und Privatleben aktuell gut miteinander in Einklang zu bringen. 16 Prozent der Befragten bezeichnen die eigene Work-Life-Balance sogar als mangelhaft.

ikp-Managerin Susanne Hudelist ist angesichts solcher Zahlen jedenfalls alarmiert. In ihren Augen können es sich Unternehmen nicht leisten, so lax mit den Bedürfnissen der Arbeitnehmer umzugehen: „Der Fachkräftemangel brennt, genauso wie der War for Talents bei Berufseinsteigern. Die Pflege wird unfinanzierbar und der Gender-Pay-Gap poliert unser Image als Wirtschaftsstandort auch nicht gerade auf“, resümiert sie. „Alleine deswegen sollten wir als Land hier schon viel weiter sein, nicht nur in Familienfreundlichkeit, sondern ebenso in Unternehmenskultur, Purpose und Corporate Responsibility. Die Gen Y ist die erste Arbeitnehmergeneration, die zum Beispiel Work-Life-Balance gezielt einfordert. Wenn österreichische Unternehmen hier nicht endlich auf die Beine kommen, verlieren wir nicht nur High Potentials ans Ausland, sondern finden irgendwann überhaupt keine Arbeitnehmer mehr.“

Quelle:
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 4/2019 der Fachzeitschrift personal manager.