Agile Arbeits- und Organisationsformen haben in vielen Unternehmen längst Einzug erhalten. Mit Tribes, Squads und Chapters werden Zuständigkeiten, Zusammenarbeit und Berichtslinien neu geordnet. Dabei bestimmt die nur temporäre Mitwirkung in oftmals mehreren parallelen Projekten mit unterschiedlichen Projektleiter:innen oder Scrum-Mastern den Arbeitsalltag großer Teile der Belegschaften. Die disziplinarischen Vorgesetzten spielen für viele Beschäftigte im Tagesgeschäft hingegen nur noch eine geringe Rolle. Sie bleiben hauptsächlich für die Leistungseinschätzung, Entwicklungsgespräche und Bewilligungen zuständig, wofür sie sich zudem den Input der Projektleiter:innen einholen. Um den konstanten Wandel in der VUKA-Welt zu kompensieren, müssen Unternehmen solche neuen Arbeitsformen möglichst effizient in ihre Prozesse einbinden. Employee Listening spielt hier eine tragende Rolle.
Die Fähigkeit eines Unternehmens, effiziente Prozesse zu gestalten, Handlungsspielraum zu gewähren sowie neue Wege ausprobieren zu lassen, zählen laut
Qualtrics EX Trend-Studie 2025 zu den wichtigsten Faktoren für das Engagement und das Wohlbefinden der Beschäftigten weltweit und ebenso in Deutschland. Daher ist es essentiell, diese Fähigkeiten zu bewerten, aber auch die Evaluierung selbst auf die neuen Anforderungen zuzuschneiden. Denn die klassischen Mitarbeitendenbefragungen oder auch unterjährigen Pulse-Checks sind darauf zumeist nicht ausgerichtet. Sie werden nach wie vor so organisiert, dass die Ergebnisberichte entlang der vorherrschenden Berichtslinie – zumeist der disziplinarischen – oder entlang typischer Organisationseinheiten (vom Unternehmen insgesamt über Geschäftsbereiche, Abteilungen und Teams – teils auch eher regional/lokal) produziert werden.
Viele Unternehmen bewegt inzwischen die Frage, wie sie sich beim Thema “Employee Listening” ganz generell neu aufstellen und dabei auch die agilen Arbeitsstrukturen besser reflektieren können. Einige typische Herausforderungen sind beispielsweise folgende:
- Welche Formate von Feedback-Abfragen sind für agile Arbeitsstrukturen sinnvoll?
- Nur ein Teil des Unternehmens ist agil aufgestellt, beispielsweise in der Produktentwicklung und im Personalwesen, aber nicht in der Fertigung und im Vertrieb. Welche Themen sind in solchen Strukturen für die verschiedenen Feedbackempfänger relevant und wie können entsprechende heterogene Strukturen kombiniert abgebildet werden?
- Wie lässt sich sicherstellen, dass sich die Mitarbeitenden mit ihren Antworten auf die beabsichtigten Personen, Entitäten und Prozesse beziehen? Für die einen richtet sich die Frage zur teamübergreifenden Zusammenarbeit unter Umständen auf das aktuelle Projektteam, für die anderen auf all jene KollegInnen, die etwa unter der Business Unit hängen. Und wie lässt sich ein agiler Folgeprozess initiieren, der keine Doppelungen verursacht?
Für diese Herausforderungen gibt es sicherlich keine Pauschallösungen. Jedoch sollen im Folgenden für die Ausgestaltung der Mitarbeitendenbefragungen einige Anregungen gegeben werden.
Passende Befragungsformate
Um es vorweg zu nehmen: Klassische Mitarbeitendenbefragungen und regelmäßige Pulse Checks, ob auf zentraler oder dezentraler Ebene, bleiben auch in agil aufgestellten Unternehmen relevant. Auch wenn die Strukturen mehr Anpassungs- und Handlungsschnelligkeit durch Sprints, Scrum, Design Thinking, etc. sowie interdisziplinären Austausch ermöglichen und somit den Arbeitsalltag prägen, bleiben Themen wie die Unternehmensführung, eigene berufliche Entwicklung, Vergütung, Arbeitsbelastung, eigene Rolle oder auch Unternehmenswerte sowie Kommunikation im Unternehmen für die Motivation und Bleibebereitschaft der Beschäftigten essentiell. Zudem werden moderne Befragungen selbst immer agiler. Sie lassen sich mit passender Technologie schneller umsetzen und erlauben beispielsweise die KI-basierte Zusammenfassung von großen Mengen qualitativer Feedbacks auf Knopfdruck oder schnelle Anpassungen in Dashboards, um kurzfristig Änderungen in den Auswertungen – auch in Eigenregie – vorzunehmen, wenn sich die Prioritäten ändern. Gleiches gilt für die flexible Änderung von Fragen, Skalen, Zielgruppen und Workflows. Dadurch liefern sie wichtigen Input für kurzfristige organisatorische Anpassungen und neue Herangehensweisen.
Jedoch können weitere Formate die Tribe- und Squad-Leader bzw. Projektleiter:innen unterstützen, etwa automatisierte Pulse-Abfragen mit teils rotierenden Fragen zum Projektfortschritt oder auch durch die Verantwortlichen direkt initiierte Selbst- und Fremdeinschätzungen im 360°-Format am Projektende – bei längeren Projekten auch zwischendurch. Ebenso können regelmäßig spezifische Abfragen zu Themen wie Zusammenarbeit, Arbeitsprozessen und Führungskompetenzen in solchen Arbeitsformen an diejenigen versendet werden, die in diesen tätig sind. Die Ergebnisse lassen sich in eigens erstellten Berichten für die jeweiligen Projektleiter:innen übersichtlich darstellen. Im übrigen fördern automatisierte Lifecycle-Befragungen die Agilität der Personalabteilungen, weil diese jederzeit die Entwicklung bei entsprechenden Themen einsehen und proaktiv Anpassungen vornehmen können – etwa zur Gestaltung der Einarbeitung, von Rollenwechseln oder des Austrittprozesses. Zusätzlich erlauben entsprechende Workflows unmittelbare Benachrichtigungen der zuständigen Personaler, wenn Mitarbeitende Frust äußern, um die Probleme zeitnah identifizieren und lösen zu können.
Manche Unternehmen nutzen Technologie für automatisierte Lifecycle-Befragungen, um Mitarbeitende zu einem bestimmten Stichtag im Jahr – etwa zum Jahrestag der Zugehörigkeit – zu befragen. So können sie Themen aus klassischen Mitarbeitendenbefragungen mit monatlichen oder gar wöchentlichen Auswertungen kombinieren, ohne dazu häufiger Befragungen an die jeweiligen Mitarbeitenden senden zu müssen. Auch passives Zuhören (Passive Listening), also die Auswertung schon vorhandenen Feedbacks aus öffentlichen Chats des Unternehmens, hilft dabei, Stimmungsveränderungen früh zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern.
Befragungen in heterogenen Arbeitsstrukturen
Eine große Herausforderung ist es, Befragungen an alle zu versenden, um sinnvoll aggregierte Ergebnisse zu erhalten, wenn Teile der Belegschaft agil und andere Teile klassisch organisiert sind. In diesen Fällen lassen sich unterschiedliche Dashboards zur Verfügung stellen. So erhalten die klassisch strukturierten Einheiten eine Übersicht mit allen abgefragten Themen. In den agil organisierten Teilbereichen hingegen können spezifische Dashboards, beispielsweise für Projektleiter:innen, Squad- und Tribe-Leads sowie für etwaige fachliche Führungskräfte / Chapter-Leads kreiert werden, die nur Auswertungen zu Kooperation untereinander, Arbeitsprozessgestaltung, usw. enthalten, denn darauf haben diese Personen den größten Einfluss. In den Dashboards der disziplinarischen Vorgesetzten entsprechender Mitarbeitenden finden sich dann nur noch Themen rund um Performance, individuelle Entwicklung, Vergütung, usw.. Während in diesen Dashboards – wie üblich – neben den externen typischerweise auch historische und Aufwärtsvergleiche enthalten sind, sind Aufwärtsvergleiche in den speziellen Dashboards selten möglich, weil wechselnde und multiple Team-Zugehörigkeiten sowie fehlende hierarchische Zuordnungen eine Aggregation der Ergebnisse nicht erlauben. Historische Vergleiche können in diesen Dashboards in Bezug auf die eigene Bewertung sinnvoll sein; allerdings stammt das jeweilige Feedback zumeist von sich stark verändernden Teams, weswegen die Interpretation oft schwierig ist.
Die größten Herausforderungen hierbei sind meistens die tagesaktuelle Abbildung der Zugehörigkeit zu wechselnden Squads oder Projektteams in den Stammdaten der Mitarbeitenden und darüber hinaus die sinnvolle Aggregation der Ergebnisse, um auch der Unternehmensleitung ein ganzheitliches Bild zu verschaffen. Sofern zum Beispiel die persönliche ID der Projektleiter:innen angehängt werden kann, gelingt auch die korrekte Zuordnung der Mitarbeitenden zu den entsprechenden Projektteams. In der Praxis ist diese Information jedoch selten aktuell verfügbar. Voraussetzung dafür ist zudem die tägliche Synchronisation der benötigten Personaldaten mit der Befragungs-Plattform, denn bei all den Projektteam-Wechseln wären die Daten schnell veraltet. Die Aggregation wird insbesondere dann schwierig, wenn Mitarbeitende in mehreren Projekten gleichzeitig arbeiten und ihre Stimmen eigentlich mehrfach gezählt werden bzw. sie auch zu mehreren Projektzusammenhängen Feedback geben mussten. Falls dies im Rahmen der unternehmensweiten Mitarbeitendenbefragung geschehen soll, können diese Berichte in einer zweiten, oft weniger tief gestaffelten Organisationsstruktur gesondert zur Verfügung gestellt werden. In vielen Befragungen stellt sich ohnehin die Frage, ob die unteren Führungsebenen – ob disziplinarisch, fachlich oder auf Projektebene – überhaupt so stark im Fokus sein sollten. Denn die substanziellen Veränderungen lassen sich oft gar nicht im Team oder Squad erreichen. Dies gilt umso mehr, weil sich viele dieser Teams schon vor oder während des Folgeprozesses wieder auflösen und somit wenig Zukunft in ihren Planungen sehen. Dann ist es vielleicht pragmatischer, lediglich die mittleren und höheren Führungskräfte mit Ergebnissen auszustatten, die dann entlang der Hierarchie aggregiert werden. Die Squad-Leader, Projektleiter:innen usw. können davon unabhängige Team-Reports erhalten, falls es die Daten überhaupt hergeben. Ergänzend oder alternativ empfehlen sich die oben genannten 360°-Evaluationen, die durch sie selbst initiiert werden können und weniger stark auf korrekte hierarchische Zuordnungen angewiesen sind. Auf diese Weise auch die Rolle der mittleren Führungskräfte zu stärken, bietet in den meisten Befragungen ohnehin noch
enormes Potenzial.
Die richtige Bezugsebene sicherstellen
Wenn Mitarbeitende in agilen Strukturen mit ihren disziplinarischen Vorgesetzten im Alltag kaum zu tun haben, ist es wenig hilfreich, wenn Fragen zur Förderung der Zusammenarbeit im Team auf diese Vorgesetzten bezogen werden. Daher ist es ratsam, die Fragen für die verschiedenen Mitarbeitenden so zu personalisieren, dass die Bezugsebene klar wird. Je nach Thema kann statt “meine Führungskraft” der Name der richtigen Projektleiter:innen oder eben der direkten Vorgesetzten angezeigt werden. Gleiches gilt für Teambezeichnungen. Unter Umständen ist es sinnvoll, einige Fragen mehrfach anzeigen zu lassen, je nachdem ob die/der jeweilige Mitarbeitende in mehreren Projekten gleichzeitig mitwirkt. Dadurch erlaubt man differenzierte Antwortmöglichkeiten. Zudem können die verschiedenen Bezugsebenen im Fragebogen in Blöcke eingeteilt werden, um Klarheit auch zu visualisieren. Erst dann ist es auch sinnvoll, spezifische Dashboards nach den verschiedenen Führungsrollen zur Verfügung zu stellen. Hierfür ist die Voraussetzung, dass sich die entsprechenden Zugehörigkeiten bzw. feste und agile Berichtslinien in den Personaldaten abbilden lassen.
Wenn dies möglich ist, dann ergibt sich daraus auch die Zuständigkeit für die verschiedenen Themen in den Folgeprozessen. Für die Maßnahmenplanung selbst sollte darüber hinaus ein gewisses Maß an Agilität eingeplant werden, insbesondere durch die Überwindung von Silos bzw. Einbindung von Kolleg:innen von außerhalb des eigenen Teams oder Squads. Anstatt in instabilen Projektstrukturen teils parallel an den gleichen Dingen zu arbeiten, ist es überlegenswert, eigens für den Folgeprozess spezifische Squads zu bilden. Mit den entsprechenden Tools lassen sich die Mitwirkenden so bequem in das Brainstorming zu Maßnahmen rund um die priorisierten Handlungsfelder einbeziehen. Dieses einfache Entwickeln von Ideen, Abstimmen und Überführen in konkrete Maßnahmenplanung ist ein wichtiger weiterer Baustein einer agilen Arbeitsweise, was gerade in häufigeren Befragungen – etwa vierteljährlichen Pulse Checks – unabdingbar ist, um die Komplexität und den zeitlichen Aufwand gering zu halten.
Employee Listening muss mit agilen Arbeitsformen Schritt halten können
Wer Feedback seiner Beschäftigten zu und in agilen Arbeitsstrukturen sinnvoll erfassen, auswerten und in Verbesserungen einfließen lassen will, hat viele Hebel: Von der Nutzung passender und zumeist neuer Befragungsformate, über die geeignete Zuordnung von Fragen und spezifischen Dashboards zu den jeweiligen Führungsrollen, bis hin zur Personalisierung der Fragen für Mitarbeitende und zur Gestaltung agiler Folgeprozesse. Hierfür gibt es nicht den einen richtigen Weg, sondern er muss unternehmensspezifisch, aber auch proaktiv, pragmatisch und antizipativ ausgestaltet werden. Die Machbarkeit hängt von einigen Voraussetzungen ab, etwa der aktuellen Hinterlegung der richtigen Zuordnungen in den Personaldaten und einer flexiblen Befragungstechnologie zur Abbildung all dieser Besonderheiten. Ob dies für viele Unternehmen angesichts ihrer Datenlage praktikabel ist, erscheint jedoch fraglich. Doch wer seine Arbeitsweisen und auch Datenlandschaften modernisiert, um innovativer, handlungsschneller und anpassungsfähiger zu werden, sollte beim Thema “Employee Listening” nicht stehen bleiben. Denn ohne eine gute Employee Experience verpuffen die Effekte agiler Strukturen und Prozesse. Sprich: Wer mehr bewegen will, muss besser zuhören und handeln!