Eine diffuse Vorstellung vom so genannten Kulturschock dürfte fast jeder haben. Doch was genau geht vor sich, wenn Geschäftsreisende und Entsandte den Kulturkreis für eine gewisse Zeit wechseln? Und wie lassen sich psychische Umstellungsschwierigkeiten vermeiden oder zumindest abfedern? Die Erfahrungen ehemaliger Expats zeigen: interkulturelle Vorbereitung und das Bewusstsein deutscher Kulturstandards helfen.

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Foto von Austin Distel

„Wer in China geschäftlich erfolgreich sein möchte, sollte die chinesische Business-Kultur mit allen Besonderheiten respektieren und als Partner auf Augenhöhe auftreten.“ Diesen simplen, aber effektiven Rat gibt China-Experte Dirk Mussenbrock von Mussenbrock & Wang Unternehmen wie Expats mit auf den Weg, die in China agieren wollen. Viele Entsendungen hat er schon scheitern sehen. Die Gründe waren immer dieselben: So bestand oft eine mangelnde Bereitschaft, sich mit den Besonderheiten der chinesischen Mitarbeiterführung auseinanderzusetzen und Expats legten einen unangemessenen Führungsstil an den Tag. „Das oftmals überhebliche Auftreten von Ausländern führt immer wieder bereits zu Beginn von Geschäftsbeziehungen zu erheblichen Irritationen,“ erklärt Mussenbrock.

„Stellen Sie niemals Mitarbeiter durch zu direkte Fragen oder offene Kritik bloß. Das Thema Gesichtwahrung spielt immer noch eine sehr große Rolle“, unterstreicht Barbara Heyken, studierte Sinologin und interkulturelle Trainerin beim BDAE. Heyken hat selbst mehrere Jahre in China gelebt und festgestellt, dass viele Entsandte und oft auch ihre mitgereisten Angehörigen erhebliche Eingliederungsschwierigkeiten aufgrund der kulturellen Unterschiede hatten.

 Abbruch von Auslandsentsendungen aufgrund des Kulturschocks

Die Statistik untermauert diese Erfahrungen: Laut einer groß angelegten Erhebung des Economist Verlags aus dem Jahr 2010 ist jede zweite vorzeitig abgebrochene Entsendung auf kulturelle oder nationale interkulturelle Konflikte innerhalb der Belegschaft zurückzuführen. Fast genauso häufig gaben die befragten Unternehmen die Unfähigkeit der ausländischen Manager, die lokale Kultur zu verstehen, als wichtigsten Grund für das Scheitern des Auslandsaufenthalts an. In einer ähnlichen Umfrage der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Deloitte wurden als Hauptursache für den vorzeitigen Abbruch eines Auslandsaufenthalts Eingewöhnungsschwierigkeiten der begleitenden Familien genannt. Eine wichtige Rolle spielt etwa, dass China noch nicht den gleichen Komfort

und vergleichbare hygienische Bedingungen hat wie hierzulande. Viele Europäer unterschätzen die Unterschiede in Mentalität und kulturell geprägten Gewohnheiten. Es fehlen Familie, Freunde, generell soziale Kontakte – eine Menge Frustrationspotenzial. Mit dem Frust wachse der Druck auf den Entsandten. „Ich habe Partnerschaften zerbrechen und Entsendungen vorzeitig beenden sehen, weil die Familie auf eine Rückkehr bestand. Auch für das entsendende Unternehmen ist das problematisch“, so Heyken weiter.

Fremdkulturschock nach Honeymoon

Kulturwissenschaftler nennen dieses Phänomen der Krise Fremdkulturschock. Er folgt für gewöhnlich kurze Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland und einer sogenannten Honeymoonphase (siehe Grafik). In dieser Periode sind die meisten Geschäftsreisenden und Expatriates noch euphorisch und fasziniert von all den neuen Eindrücken während des Auslandsaufenthalts. Das Exotische wird als Bereicherung und spannende Erfahrung wahrgenommen. Auch die Motivation, das Projekt zügig und erfolgreich umzusetzen, ist in diesem Punkt noch sehr stark ausgeprägt. Wie lange diese Phase anhält, lässt sich pauschal nicht sagen – es ist abhängig von der Dauer des Auslandsaufenthalts und individuellen Faktoren. Auch die danach häufig einsetzende Frustration, das Gefühl, völlig fremd und fehl am Platz zu sein – der Kulturschock – variiert je nach Menschentyp und interkultureller Kompetenz.

Phasen_des_KulturschocksScheitern Entsendungen, liegt dies oft auch am Auswahlprozess. Neben der fachlichen Eignung sollten Personaler die soziale Qualifikation des potenziellen Expats im Blick behalten, denn sie gehört zur interkulturellen Kompetenz. Diese setzt sich aus drei wesentlichen Dimensionen zusammen. Die kognitive Ebene besteht aus dem erworbenen Wissen um eigen-, fremd- und interkulturelle Prozesse sowie aus der Fähigkeit, sich und sein Handeln selbst infrage zu stellen. Die verhaltensbezogene Dimension spielt eine ebenso wichtige Rolle. Hierzu gehören unter anderem der Wille und die Fähigkeit zu kommunizieren, Konfliktlösungsstrategien sowie Vertrauen zu fremdkulturellen Interaktionspartnern aufbauen zu können. Das bedeutet, wer bereits hierzulande Schwierigkeiten hat, sich in ein Team zu integrieren, wird mit großer Wahrscheinlichkeit in einem fremdkulturellen Arbeitsumfeld noch größere Probleme bekommen.

Ähnliches gilt für die dritte, die affektive Dimension, die individuelle Eigenschaften wie Empathie, Vorurteilsfreiheit und Offenheit gegenüber anderen Kulturen sowie die interkulturelle Lernbereitschaft beschreibt. Die interkulturelle Expertin Heyken rät bei der Auswahl des passenden Mitarbeiters, die Schlüsselmerkmale der drei Dimensionen als Grundlage zurate zu ziehen.

Kulturschock kostet bares Geld

Grundsätzlich sollten Unternehmen in dem im Vorfeld gemachten Kosten-Nutzen-Verhältnis des geplanten Auslandseinsatzes interkulturelle Kompetenz stark berücksichtigen. Denn Tatsache ist: Auslandsprojekte und Geschäftstermine mit Partnern in China, Dubai oder in Amerika stehen und fallen sowohl mit der fachlichen als auch der interkulturellen Qualifikation des entsandten Arbeitnehmers. Diese Erfahrung hat auch Jan Ebersold gemacht, der mehrere Jahre vom Automobilkonzern Audi nach Sao Paulo entsandt wurde, um Restrukturierungsmaßnahmen vor Ort umzusetzen. Dazu gehörte unter anderem, an sinnvoller Stelle Personal abzubauen und das Händlernetz zu reduzieren. Keine leichte Aufgabe, wie Ebersold einräumt: „In Südamerika sind die Grenzen zwischen Arbeits- und Berufsleben oft fließend. Das äußert sich etwa in privaten Einladungen zum Grillen oder geschenkten Karten zum Fußballspiel. So entsteht natürlich eine persönliche Nähe, die zur Konfliktsituation heranreift, wenn es darum geht, Entlassungen auszusprechen.“

Ebersold gelang es, diese interkulturellen und zwischenmenschlichen Konflikte professionell zu lösen. Dabei halfen ihm seine vorherigen Dienstreisen nach Südamerika, eine gute Vorbereitung in Bezug auf Sitten und Gebräuche der Südamerikaner sowie seine persönliche Devise, stets hart in der Sache, aber den Menschen gegenüber immer empathisch zu handeln. Er stellte fest, dass interkulturelle Kompetenz keineswegs bedeutet, sich komplett an die Verhaltensweisen der Gastkultur anzupassen. Im Gegenteil: Viele deutsche Kulturstandards wie beispielsweise Pünktlichkeit, Präzision und Zuverlässigkeit werden weltweit geschätzt und dementsprechend auch erwartet oder sogar eingefordert. Dies kann der ehemalige Audi-Manager bestätigen: „Die lokalen Mitarbeiter erwarten eine gewisse Autorität von ihrem Chef. Der Boss soll entscheiden.“ Was Ebersold besonders herausforderte, war die südamerikanische Lässigkeit, die seine Geduld auf eine harte Probe stellte. Hinzu kommt, dass Südamerikaner ebenso wie viele andere Kulturen – darunter auch Asiaten – einen indirekten Kommunikationsstil pflegen und Anweisungen oder Botschaften aus einem Kontext heraus vermitteln. Deutsche Geschäftsreisende, die Klarheit und Direktheit schätzen, kann dies zur Verzweiflung bringen. Müssen Auslandsprojekte vorzeitig abgebrochen werden, bedeutet dies oft vor allem einen großen finanziellen Verlust.

Mangelnde interkulturelle Vorbereitung kann aber auch weitaus fatalere Folgen haben, etwa wenn Mitarbeiter in Risikogebiete oder Krisenregionen wie beispielsweise Afghanistan, Libyen oder Nigeria entsandt werden. Dies sind keine exotischen Exempel, sondern alltägliche Kulturkreiswechsel aus Deutschland heraus, dessen Technologie und Baufertigkeit weltweit gefragt sind. Entführungen oder gewalttätige Zwischenfälle finden häufiger statt, als es der Öffentlichkeit bewusst ist. Manches negative Ereignis lässt sich dank einer interkulturellen Vorbereitung vermeiden. Denn: Wird publik, dass Arbeitgeber eine hinreichende Vorbereitung ihrer Mitarbeiter versäumt oder als unwichtig eingestuft haben, droht neben dem finanziellen auch ein erheblicher Imageschaden. Die Grenzen zur Fürsorgepflicht sind dabei fließend. Grundsätzlich gibt es keine gesetzliche Verpflichtung seitens der Arbeitgeber, zu entsendende Mitarbeiter interkulturell zu schulen. Passiert jedoch ein Unglück, befinden sich die betreffenden Firmen schnell in einer Grauzone, die schlimmstenfalls vor Gericht bewertet wird.

Wer eigene Kulturstandards kennt, mildert Kulturschock

International agierende Unternehmen tun also gut daran, ihre Mitarbeiter auch in interkulturellen Belangen vorzubereiten, um den wahrscheinlichen Kulturschock abzumildern, Krisen zu vermeiden und so die Chancen für einen reibungslosen Auslandsaufenthalt entscheidend zu erhöhen. Helfen kann hier etwa ein interkulturelles Training (auch für die mitreisenden Angehörigen), das neben landestypischen Fakten vor allem für zwischenmenschliche Konflikte sensibilisiert. Nur wer seine eigenen Kulturstandards kennt und verinnerlicht, dass diese nicht universell gelten, ist in der Lage, die eigene kulturelle Brille abzunehmen und sich auf das neue Umfeld einzustellen. Typische deutsche Kulturstandards sind beispielsweise Individualismus (jeder ist für sich selbst verantwortlich), direkte Kommunikation (Sachverhalte werden eindeutig benannt) und ein monochrones Zeitverständnis (Zeit muss effektiv genutzt werden, eine Aufgabe wird nach der anderen erledigt). Wer versucht, die eigenen Standards den ausländischen Geschäftspartnern überzustülpen, ist zum Scheitern verurteilt.

Johanna Horn hat viereinhalb Jahre in den Vereinigten Arabischen Emiraten gelebt und in Luxushotels in Dubai und Abu Dhabi gearbeitet. Sie hat vieles intuitiv richtig gemacht: „Wichtig ist, vor Ort die Menschen und ihre Verhaltensweisen zu beobachten, sich selbst etwas stärker zurückzunehmen und nicht als Großkotz aufzutreten“, sagt Horn. Echte Konflikte blieben dank dieser Strategie aus. „Ich bin auch nicht schlechter behandelt worden, weil ich eine Frau bin. Die Emiratis sind inzwischen an westliche arbeitende Frauen gewöhnt“, berichtet Horn. Urlaub und Freizeit nutzte sie, um die Emirate zu bereisen. Auch das habe ihr geholfen, sich in die Mentalität der Menschen hineinversetzen und deren Kultur verstehen zu können.

Neugierige Einstellung zu Land und Leuten haben

Entscheidend für eine erfolgreiche Zeit im Ausland ist laut Mussenbrock eine vorurteilsfreie und neugierige Einstellung auf Land und Leute. „Sie dürfen unter keinen Umständen jemandem Ihre Meinung aufdrängen. Es ist wichtig, die Partner und Mitarbeiter vor Ort zu überzeugen, wenn langfristige Projekte realisiert werden sollen“, erläutert er. Gerade deutsche Manager versuchten es oft mit einem äußerst autoritären Führungsstil. Das könne kurzfristig funktionieren, aber nicht bei entscheidenden Aufgaben.

Übrigens können Menschen auch einen umgekehrten Kulturschock erleiden: Vielen Rückkehrern fällt es schwer, sich wieder an die deutschen Geschäftsstrukturen zu gewöhnen. Idealerweise beziehen Personalabteilungen dies in den Reintegrationsprozess mit ein. Dazu gehört, die im Ausland erworbenen Erfahrungen möglichst zu berücksichtigen und Spielraum für Anregungen zu schaffen. Andernfalls laufen Unternehmen Gefahr, ihre zurückgekehrten Mitarbeiter an den Wettbewerb zu verlieren. Angesichts der Kosten und der Investitionen, die eine längerfristige Entsendung abverlangt, wäre dies mehr als ärgerlich.

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