Frau Dr. Böhlich, welche Branchen und Unternehmen sind derzeit am meisten vom Fachkräftemangel betroffen?

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Foto von Marten Bjork

Dr. Susanne Böhlich: Eigentlich alle. Man hört immer wieder, es sei nicht flächendeckend, aber egal, wo ich momentan hinkomme oder mit welchem Unternehmen ich Kontakt habe, alle leiden unter dem Fachkräftemangel. Unternehmen wie Google sind vielleicht noch eine Ausnahme, die können sich vor Bewerbungen bestimmt immer noch nicht retten. Wobei ich auch da nicht ausschließen möchte, dass es dort bei dem einen oder anderen Expertenjob Probleme gibt. Natürlich sind Regionen unterschiedlich vom Fachkräftemangel betroffen, die Attraktivität der Region spielt eine große Rolle: Absolventen gehen lieber nach München, Berlin oder Hamburg als in den Westerwald oder nach Ostdeutschland. Der Mangel betrifft sehr stark die technisch-naturwissenschaftlichen Berufe, die sogenannten MINT-Fächer, aber auch den Gesundheitsbereich oder die Gastronomie. Beides sind Branchen, die nicht so gut bezahlen und die eher unattraktive Arbeitszeiten haben. Gerade habe ich mit einem Unternehmen im Bankensektor gesprochen, die Probleme haben, Auszubildende zu finden. Und wenn sie die Azubis nach der Ausbildung übernehmen wollen, dann sagen die: „Nein, es gefällt uns doch nicht so gut“ oder „Wir gehen lieber studieren“ und kommen dann tendenziell nicht wieder zurück. Es zieht sich wirklich durch alle Branchen. 

Welche Gründe machen Sie für diesen Mangel an Fachkräften verantwortlich?

Dr. Susanne Böhlich: Der wesentlichste Einflussfaktor ist sicherlich der demografische Wandel. Es kommen einfach weniger junge Mitarbeiter nach als ältere in Ruhestand gehen. Dazu geht es der deutschen Wirtschaft relativ gut – das Wirtschaftswachstum ist hoch. Die meisten Unternehmen wollen Personal aufbauen und befinden sich auf der Suche nach Mitarbeitern. Wenn der Arbeitsmarkt derart eng ist, wirkt sich das besonders aus.

Welche Maßnahmen können dem Fachkräfteengpass entgegenwirken?

Dr. Susanne Böhlich: Ein großes Thema ist die Aus- und Weiterbildung. Wir verlieren Menschen für den Arbeitsmarkt, die falsch, gering oder gar nicht qualifiziert sind. Wir verlieren junge Menschen, die aufgrund ihrer geringen Qualifikation Probleme haben, überhaupt erst einmal eine Ausbildung zu machen.

Ein anderes Thema ist die Rückkehr ins Erwerbsleben – das betrifft gerade Mütter nach der Elternzeit. Nachdenken sollte man auch über den Ruhestand. Dass man Mitarbeitern immer noch anbietet, in den Vorruhestand gehen zu können, sehe ich hinsichtlich des akuten Mangels an Fachkräften zumindest problematisch. Da geht den Unternehmen sehr viel Wissen und Erfahrung verloren.

Man sollte Angestellten Anreize geben, aus einer Teilzeit aufzustocken. Und auch die Zuwanderung ist ein Thema. Man sollte es qualifizierten Ausländern ermöglichen, leichter bei uns arbeiten zu können. Und für das einzelne Unternehmen ist natürlich Arbeitgeberattraktivität ein Faktor. Sich die einfache Frage zu stellen: „Was kann ich meinen potentiellen Mitarbeitern bieten, dass sie auch Lust haben, bei mir anzufangen und auch zu bleiben?“

Was raten Sie gerade kleineren und mittelständigen Unternehmen, die potentielle Kandidaten nicht mit einer Weltmarke locken können, um attraktiver für Fachkräfte zu werden?

Dr. Susanne Böhlich: Hier geht es vor allem um das Thema Arbeitgeberattraktivität. Diese Unternehmen haben häufig die großen Nachteile, dass man sie gar nicht so richtig kennt und sie oftmals in Regionen sitzen, die vielleicht nicht ganz so attraktiv sind. Gefühlt können sie gerade den jüngeren Leuten weniger bieten an Perspektiven oder Gehaltniveau – verglichen mit einem Großkonzern. Da müssen sie sich auf ihre Stärken besinnen, darauf, was sie richtig gut macht. Das ist häufig die gute wirtschaftliche Situation und die damit verbundene Jobsicherheit für die Angestellten. Das ist ein Argument, welches gerade die jüngere Generation, die „Generation Z“ so schätzt. Planbarkeit, Struktur, ein gutes Betriebsklima, vielleicht sogar das Familiäre – das sind alles Punkte, die gerade viele kleine und mittlere Unternehmen ausmachen. Oder, denkt man an die schon etwas älteren potentiellen Mitarbeiter oder die „Generation Y“, dann ist es attraktiv, dass man in kleineren und mittleren Unternehmen oft schnell Verantwortung im Job übernehmen kann. Der Aufgabenbereich ist dort oft größer und dadurch auch attraktiver.

Wie wird sich der Fachkräftemangel entwickeln? Und welche Rolle spielt in dieser Entwicklung die „Generation Z“, die Sie gerade angesprochen haben?

Dr. Susanne Böhlich: Sollte der Konjunktureinbruch, der von manchen vorhergesagt wird, ausbleiben, wird der Fachkräftemangel sich schon allein aufgrund der demografischen Entwicklung eher verstärken. Wenn man sich die Alterspyramide ansieht, bekommt man eine Vorstellung davon, wie viele Arbeitnehmer in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Dadurch kommt der „Generation Z“, also der Generation, die jetzt in das Berufsleben eintritt, eine große Bedeutung zu. Sie wird massiv umworben werden, das heißt aber auch, dass sich Arbeitgeber noch stärker auf diese Generation einstellen müssen. Denn die „Generation Z“ ist sich ihrer Marktmacht bewusst und durchaus wechselfreudig.

Sie haben in letzter Zeit viele Forschungen zur „Generation Z“ angestellt. Wie lässt sich diese Generation denn beschreiben? Und wie ist ihr Verhältnis zur Arbeitswelt?

Dr. Susanne Böhlich: Bei der Vorgängergeneration „Y“ haben wir von den „Helikoptereltern“ gesprochen, die wie Hubschrauber über ihren Kindern kreisen, um sicherzustellen, dass es ihnen gut geht. Ich denke, das ist bei der „Generation Z“ etwas anders – nämlich noch extremer. Ich nenne sie gerne „Bubble-Wrap-Eltern“, die ihre Kinder wie in Noppenfolie packen. Da war in der Kindheit schon die Schnabeltasse BPA-frei, die Babynahrung wurde aus Bioprodukten selbst gekocht und so weiter. Das hat zu einer ganz starken Sicherheitsorientierung geführt, weil diese Generation sehr behütet worden ist.

Technologie ist bei dieser Generation noch dominanter. Ohne Technik geht gar nichts. Gleichzeitig haben sie von ihren Eltern ein realistisches Weltbild vermittelt bekommen. Nach dem Motto: „Du musst hart arbeiten, dann kommst du auch zu was.“ Sie laufen weniger großen Träumen hinterher als die „Generation Y“, die nach Selbstverwirklichung, Leidenschaft und dem besonderen Job suchte. Die „Generation Z“ ist wesentlich bodenständiger, quasi eine „Generation Y, die auf dem Boden der Realität angekommen ist“, und fragt daher: Was ist wirklich möglich und machbar?

Auf die Arbeitswelt bezogen, heißt das, dass der Sicherheitsaspekt sehr dominant ist. Sie schätzen es sehr, wenn alles planbar und strukturiert ist. Denn sie sind immer behütet worden und hatten von Kindestagen an Stundenpläne, die ihnen alles vorgegeben haben. Sie wünschen sich eine strikte „Work-Life-Separation“, also anders als die „Generation Y“, die weitgehend offen dafür war, Beruf und Privatleben zu vermischen.

Unsere letzte Befragung hat außerdem ergeben, dass ein Homeoffice nicht sonderlich gewünscht wird. Hier geht es wieder um die Trennung von Privatem und Beruf. Besonders wichtig ist ihnen der eigene Schreibtisch. Das läuft dem Trend vieler moderner Büros, die „Open Spaces“ anbieten und die Mitarbeiter motivieren, sich immer wieder mit anderen Kollegen zusammen zu setzen, komplett entgegen. Die „Generation Z“ will den eigenen, festen Arbeitsplatz mit dem eigenen Familienfoto und der eigenen Kaffeetasse. Gerade das können kleinere und mittlere oft Unternehmen bieten.

Coole, ausgefallene Jobs sind eher weniger gefragt. Wichtiger ist der „Generation Z“ die schon angesprochene Sicherheit des Arbeitsplatzes. Hoch im Kurs stehen wieder Berufe wie Rechtspfleger, Steuerberater oder sogar der Polizeidienst. Alles, was viel Struktur mitbringt und beispielsweise eine Verbeamtung mit sich bringt. Diese Punkte werden von dieser Generation sehr geschätzt.

Was müssen Unternehmen beachten, um bei der Personalsuche die „Generation Z“ optimal ansprechen zu können?

Dr. Susanne Böhlich: Das wichtigste ist, sich wirklich auf diese Generation einzustellen. Ich bemerke, dass selbst viele Studien zu diesen Themen nicht wirklich zwischen den Generationen „Y“ und „Z“ unterscheiden. Die fassen dann die Altersgruppen 18 bis 30 zusammen und übersehen die vielen Unterschiede. Viele Arbeitgeber haben sich bereits sehr gut auf die „Generation Y“ eingestellt, bedenken aber nicht, dass da jetzt eine Generation nachkommt, die komplett anders tickt. Da wird dann in Stellenanzeigen ganz viel angeboten, nur eben leider nicht auf die Zielgruppe bezogen. Und wenn Sie der „Generation Z“ sagen: „Du musst in kurzer Zeit viel Verantwortung übernehmen“, dann wirkt das auf die eher abschreckend. Denn viel Verantwortung heißt oftmals auch viele Überstunden zu machen und die „Generation Z“ wünscht sich eher einen geregelten Arbeitstag. Wenn ich also Auszubildende im Alter zwischen 18 und 20 Jahren suche, muss ich in den Stellenanzeigen auch die passenden Worte verwenden und die richtigen Vorteile hervorheben, um attraktiv zu sein.

Natürlich sollte jetzt niemand diesen jungen Menschen nach dem Mund reden und nur noch alles tun, was sie wollen. Aber wir sollten uns bewusster sein, was die Bedürfnisse dieser jungen Arbeitnehmer sind und was wir denen bieten können.

Kann man als Arbeitgeber überhaupt für beide Generationen, „Y“ wie „Z“, attraktiv sein? Wie können es denn Unternehmen schaffen, diese beiden teils gegensätzlichen Bedürfnisse im Unternehmen zusammenzubringen?

Dr. Susanne Böhlich: Die meisten Arbeitgeber haben ja bereits viele Generationen im Unternehmen: die Babyboomer, die „Generation X“ und dann eben auch „Y“ und „Z“. Anders als zum Beispiel in den USA sind wir uns in Deutschland nur noch nicht so bewusst, dass verschiedene Generationen auch verschiedene Ansprüche haben. Wir machen uns Gedanken über verschiedene Kulturen und bieten interkulturelle Trainings an, aber den Generationen-Aspekt klammern wir meist komplett aus. Dabei erwartet jede Generation andere Dinge, beispielsweise wünschen sich ältere Mitarbeiter oftmals die persönliche Ansprache, jüngeren reicht eine Textnachricht. Führungskräfte müssen sich auf diese unterschiedlichen Bedürfnisse einstellen. Es ist ja nicht so, dass diese komplett konträr wären. Aber es ist wichtig, zu erkennen, welche Unterschiede es gibt, um etwaige Interessenskonflikte managen zu können.

Prof. Dr. Susanne Böhlich ist Studiengangsleiterin für den Masterstudiengang Internationales Management an der IUBH Internationalen Hochschule und lehrt mit den Schwerpunkten Human Resources Management und Corporate Governance.

Prof. Böhlich hat lange Jahre im internationalen Management gearbeitet. Zuletzt war sie als Director HR Marketing bei der Deutschen Post DHL für das weltweite Personalmarketing verantwortlich. Davor war Prof. Böhlich Partner bei der Inhouse Consulting, der weltweiten internen Top-Management Beratung der Deutschen Post DHL, tätig. Sie verantwortete Projekte in Europa, den USA und Asien. Weitere internationale Erfahrung sammelte sie bei Clearstream International in Luxemburg und bei McKinsey & Company.