Weil sich der 35-jährige Programmierer Sebastian Hinze im Spanien-Urlaub in eine Einheimische verliebte, fragte er seinen Arbeitgeber, ob er seine Aufgaben nicht auch aus dem Ausland erledigen könne. Einen Großteil seiner Programmiertätigkeit hatte er ohnehin schon immer von zu Hause ausgeübt, weil er dort die nötige Ruhe hatte, um die komplexen Algorithmen zu schreiben. Weil sein Arbeitgeber auf Hinzes Expertise nicht verzichten wollte, stimmte er zu. Die Personalabteilung vereinbarte mit ihm, dass er seine Arbeit von Spanien aus überwiegend im Rahmen von Homeoffice-Tätigkeiten verrichten konnte und alle fünf bis sechs Wochen für die Dauer von vier bis fünf Tagen nach Deutschland flog, um am Berliner Standort zu arbeiten. Da das Unternehmen über keine Niederlassung in Spanien verfügt, konnte auf die klassische Entsendung zu einem verbundenen Unternehmen nicht zurückgegriffen werden.

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Foto von Ali Yahya

Allerdings verständigte man sich darauf, für die Arbeitstage in Spanien Sozialversicherungsbeiträge und Steuern von Sebastian Hinzes Gehalt einzubehalten.

Keine Niederlassung vor Ort

Beabsichtigt war es, dass ihm dieses Geld zur Verfügung gestellt wird, um damit der angenommen Steuer- und Sozialversicherungspflicht in Spanien nachkommen zu können. Aufgrund der fehlenden Niederlassung vor Ort sollte dieser Pflicht durch den Mitarbeiter selbst nachgekommen werden. Außerdem wies die Personalabteilung den Mitarbeiter an, in Spanien eine A1-Bescheinigung bei der zuständigen Behörde zu beantragen. Ein externes Beratungsunternehmen hatte dies empfohlen.

Aufgrund seiner allgemeinen Unkenntnis in diesen sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Fragen beantragte der IT-Fachmann nach seinem Umzug nach Spanien das A1-Antragsverfahren auf Grundlage von Artikel 12 Absatz 2 VO (EG) 883/2004 für eine Freelancer-Tätigkeit vor Ort. Ein paar Wochen später – der Programmierer hatte seinen Wohnsitz in Deutschland längst aufgegeben und war bereits von Spanien aus für seinen Berliner Arbeitgeber tätig – erhielt er einen Ablehnungsbescheid sowie die Aufforderung, die Steuer- und SV-Beiträge für seine in Spanien ausgeübte Tätigkeit nachzuzahlen.

Hinzes Arbeitgeber erhielt ebenfalls ein Schreiben vom spanischen Finanz- und Zollamt mit der Aufforderung, den arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Status des Arbeitnehmers zu klären und den gesetzlichen Anforderungen des Landes umgehend nachzukommen – andernfalls drohe neben Strafzahlungen auch ein Geschäftsausübungsverbot. Was war passiert?

Fehlende Sozialversicherungsbeiträge

Die Idee, dass der Arbeitnehmer in Spanien eine A1-Bescheinigung beantragen sollte, erwies sich als abwegig. Er hätte, wäre ihm fälschlicherweise entsprochen worden, lediglich zur Folge gehabt, dass der Arbeitnehmer von der Sozialversicherungspflicht vor Ort befreit worden wäre. Dies war allerdings vom Arbeitgeber überhaupt nicht angestrebt worden. Vielmehr dachte die Personalabteilung irrtümlicherweise, dass Sebastian Hinze so die einbehaltenen Sozialversicherungs- und Steuerbeiträge eigenständig hätte abführen können. Fatal – und im schlimmsten Fall tatsächlich strafbar – war überdies, dass auch in Deutschland keine Sozialversicherungsbeiträge für den Programmierer entrichtet worden waren. Denn obwohl er nur wenige Tage im Monat in Deutschland und hauptsächlich im Homeoffice in Spanien tätig war, bestand noch eine Beitragspflicht. Somit musste das Unternehmen zunächst auch für die in Deutschland verbrachten Arbeitstage des 35-Jährigen Beiträge zahlen.

Für Arbeitnehmer wie Sebastian Hinze, die ihre Erwerbstätigkeit für einen Arbeitgeber in mehreren Mitgliedstaaten ausüben, wurde zudem die Sozialversicherungspflicht bei Mehrfachbeschäftigung in der EU näher definiert.

Laut Artikel 13 Absatz 1 a) VO (EG) Nr. 883/2004 unterliegen solche Arbeitnehmer ausschließlich den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates, wenn sie einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit dort ausüben. Wesentlich bedeutet hier, dass der Arbeitnehmer mindestens 25 Prozent des Arbeits-Outputs in seinem neuen Heimatland erwirtschaftet. Die Tätigkeiten im anderen Land (hier also Deutschland) dürfen zudem nicht weniger als fünf Prozent der Arbeitszeit ausmachen, sonst wären sie unwesentlich und damit nicht zu berücksichtigen. Immerhin erfüllte Herr Hinze diese Anforderungen. Basis sind für diese Berechnung in der Regel 12 Kalendermonate.

Auswirkungen der Mehrfachbeschäftigung in der EU

Anders als bei der sozialversicherungsrechtlichen Entsendung muss die Beschäftigung hierbei gewöhnlich in Deutschland und Spanien ausgeübt werden und darf nicht kurzfristiger oder vorübergehender Art sein. Beiträge in Deutschland wären nur dann nicht abzuführen, wenn der Programmierer nur sporadisch und nicht regelmäßig in Deutschland tätig gewesen wäre und den wesentlichen Teil seiner Arbeit in Spanien verrichtet hätte. In diesem Fall hätte Sebastian Hinzes Beschäftigung in ausschließlich einem Staat (also Spanien) überwogen und die Arbeitsaufenthalte in Deutschland wären dann eher situative „Dienstreisen“ gewesen, für die grundsätzlich auch eine A1-Bescheinigung beantragt werden muss.

Welche Schritte muss die Personalabteilung nun gehen, damit der Programmierer auf rechtssicherer Basis weiterhin für das Berliner Unternehmen arbeiten kann? Zunächst einmal muss die A1-Bescheinigung beantragt werden, damit nachgewiesen werden kann, dass für Sebastian Hinze in Sachen Sozialversicherungsrecht ausschließlich die spanischen Rechtsvorschriften und nicht mehr die deutschen anzuwenden sind. Aber Achtung: Es handelt sich hier um ein völlig anderes Antragsverfahren als bei einer Entsendung.

Die Sozialversicherungsbeiträge sind grundsätzlich in Spanien zu entrichten. Gemäß Artikel 21 Absatz 1 der VO (EG) 987/2009 trifft das Berliner Software Unternehmen als Arbeitgeber grundsätzlich die Pflicht zur Zahlung der Beiträge in Spanien als zuständiger Mitgliedstaat, als hätte dieser seinen eingetragenen Sitz oder seine Niederlassung dort. Nach Absatz 2 dieser Verordnung kann es als Arbeitgeber mit Sebastian Hinze als Arbeitnehmer vereinbaren, dass dieser die Pflichten des Arbeitgebers zur Entrichtung der Beiträge wahrnimmt, ohne dass die daneben fortbestehenden Pflichten des Arbeitnehmers berührt würden. Eine solche Vereinbarung wäre dem zuständigen Träger in Spanien zu übermitteln.

Steuerliche Ansässigkeit in Spanien

Um die Beitragszahlung in Spanien zu gewährleisten, muss ein Steuerbüro beauftragt werden, das die Anmeldung des Berliner Unternehmens zur Sozialversicherung übernimmt. Darüber hinaus muss eine monatliche Lohnabrechnung in Spanien erfolgen. Diese dient sowohl als Grundlage der Sozialversicherungsbeiträge als auch zur Abführung der Lohnsteuer. Aufgrund von Hinzes Wohnsitzverlegung ergibt sich in steuerlicher Hinsicht eine Ansässigkeit in Spanien, weshalb dieser ebenfalls in Spanien steuerpflichtig wird.

Weiteren dringenden Handlungsbedarf hat die Personalabteilung bei der arbeitsvertraglichen Gestaltung von Hinzes Beschäftigungsverhältnis. So ist es essenziell, dass die Beschäftigung in beiden Ländern im Arbeitsvertrag festgehalten wird. Außerdem ist eine Zusatzvereinbarung zur Homeoffice-Nutzung erforderlich, in der auch dokumentiert wird, dass es sich bei dem Arbeitsort Spanien nicht um einen Dienstsitz handelt. Weiter muss festgelegt werden, dass der Programmierer seine Arbeit überwiegend im Homeoffice erbringt, jedoch auch für vier bis fünf Tage im Monat am Standort in Berlin tätig wird. Der bestehende Arbeitsvertrag ist auch die Grundlage für den arbeitsrechtlichen Entgeltanspruch, den Sebastian Hinze gegenüber seinem Arbeitgeber hat.

Homeoffice im EU-Ausland: Darauf sollten Personaler achten

1. Liegt eine Beschäftigung in mehreren EU-Staaten vor?

Für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge ist die Bestimmung des Wohnortes entscheidend, sofern dort ein wesentlicher Teil der Tätigkeit ausgeübt wird.

Eine gewöhnliche Beschäftigung in mehreren Mitgliedstaaten kann durch eine A1-Bescheinigung zur Festlegung der einheitlich anzuwendenden Rechtsvorschriften und Entrichtung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages in nur einem Mitgliedstaat (Grundlage: Artikel 13 VO (EG) Nr. 883/ 2004) belegt werden.

2. Wie ist der Umfang der Sozialleistungen im Ausland?

Achten Sie auf Sonderregelungen vor Ort wie zum Beispiel verpflichtende Zahlungen in Rentenfonds. Und klären Sie, ob es Versorgungslücken gibt, die ausgeglichen werden müssen.

3. Besteht am Arbeitsort im Ausland eine Payroll- und Registrierungspflicht? Sind die notwendigen Anpassungen im Arbeitsvertrag vorgenommen worden? Dazu gehören unter anderem:

  • Festlegung des Arbeitsorts im Ausland
  • Dokumentation der Homeoffice-Tätigkeit
  • Zusatzvereinbarung über zu leistende Arbeitstage am Heimatstandort
  • Hinweise zur Gehaltsabrechnung vornehmen (wer übernimmt die Gehaltsabrechnung am Arbeitsort?)
  • klare Regelung der Arbeitsperioden im Wohnsitzland und im Ausland beim Standort des Arbeitgebers
  • Verpflichtung des Mitarbeiters zur Dokumentation seiner Arbeitstage

4. Ist eine Betriebsstätten-Gründung trotz der Tätigkeit des Mitarbeiters im Ausland ausgeschlossen?

  • Andernfalls kann das umfassende Pflichten nach sich ziehen

5. Ist der Mitarbeiter ausreichend über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt?

  • Pflicht zur Einkommenssteuererklärung im Ausland
  • Bezug von Gesundheits- und Sozialleistungen im Ausland und am Beschäftigungsort

 

Mit freundlicher Genehmigung von BDAE: Leben und Arbeiten im Ausland Ausgabe 7/2019.