Problempunkt

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Der Arbeitnehmer war bei der klagenden Arbeitgeberin, die einem weltweit auf dem Gebiet der Informationstechnologie tätigen Konzern angehört, seit 1994 beschäftigt. Im Zuge einer europaweiten Umstrukturierung des Konzerns kam es auch zu Veränderungen in der Organisationsstruktur der Klägerin. Infolge dessen entband die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer am 25.6.2009 von seinen Aufgaben. Hieraufhin erhob dieser Klage auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen vor dem ArbG Düsseldorf, welches ein antragsgemäßes Urteil erließ. Der Arbeitnehmer leitete mit Antrag vom 14.4.2010 die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ein. In der Folgezeit von April 2010 bis Mai 2013 sprach die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer drei Änderungskündigungen, eine außerordentliche Beendigungskündigung und eine Versetzung aus. Die erste Änderungskündigung wurde zurückgenommen; alle weiteren Maßnahmen wurden vom Arbeitsgericht rechtskräftig für unwirksam erklärt.

Die Arbeitgeberin erhob eine Vollstreckungsabwehrklage und trug unter näherer Begründung vor, dass eine Beschäftigung des Mitarbeiters im titulierten Umfang aufgrund Wegfalls seines Arbeitsplatzes unmöglich sei. Der beklagte Arbeitnehmer widersprach dem und brachte vor, dass die Manageraufgaben nach wie vor existierten und nur eine andere organisatorische Zuordnung erfolgt sei.

Das ArbG Düsseldorf wies die Klage ab, das LAG Düsseldorf gab ihr statt.

Entscheidung

Die Revision vor dem BAG war mit der Folge der Abweisung der Klage begründet. Der Klägerin war zwar die titulierte Beschäftigung des Beklagten und damit ihre Leistungspflicht infolge des durch die Umstrukturierung bedingten Wegfalls des Arbeitsplatzes im titulierten Umfang unmöglich geworden. Hierauf konnte sie sich aber nicht berufen, da dem das sog. Dolo-agit-Gegenrecht des Arbeitnehmers entgegen stand. Dies folgte daraus, dass die Klägerin dem Mitarbeiter bei Wegfall seines Arbeitsplatzes umgehend eine anderweitige vertragsgemäße Beschäftigung hätte zuweisen müssen. Dass die Klägerin nicht über einen Arbeitsplatz verfügte, auf dem sie den Beklagten vertragsgemäß beschäftigen konnte, hatte sie nicht dargelegt.

Konsequenzen

Der große Senat des BAG hatte in seinem Beschluss vom 27.2.1985 (GS 1/84, BAGE 48, S. 122) klargestellt, dass der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers im bestehenden Arbeitsverhältnis der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers gem. §§ 611, 613 i. V. m. § 242 BGB entspricht. Er beruht auf der arbeitsvertraglichen Förderungspflicht des Arbeitgebers im Hinblick auf das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG zum Persönlichkeitsschutz. Hiernach ist eine einseitige Suspendierung des Arbeitnehmers ohne vertragliche Vereinbarung grundsätzlich nicht zulässig (BAG, Urt. v. 9.4.2014 – 10 AZR 637/13, AuA 4/15, S. 245). Der Anspruch muss nur dann zurücktreten, wenn – ausnahmsweise – überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Ist dies nicht der Fall, kann der arbeitsvertragliche Beschäftigungsanspruch vom Arbeitnehmer im Klagewege geltend gemacht werden (BAG v. 27.2.1985, a. a. O.). Den so titulierten Beschäftigungsanspruch kann der Arbeitnehmer im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen (§ 888 ZPO).

Will sich der Arbeitgeber gegen eine Beschäftigung des Arbeitnehmers wenden, hat dies grundsätzlich im Rahmen des ursprünglichen Klageverfahrens zu erfolgen. Denkbar ist jedoch auch, dass – wie hier – Einwendungen erst nach Erlass eines Beschäftigungsurteils im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage erhoben werden. Für diesen Fall beinhaltet § 767 ZPO allerdings eine zeitliche Zäsur. Nach § 767 Abs. 2 ZPO sind Einwendungen, die den titulierten Anspruch selbst betreffen, nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können (sog. Präklusion). Hieraus folgt, dass vom Arbeitgeber nur noch solche Einwendungen erhoben werden können, die erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung des Ausgangsprozesses entstanden sind. Nur dann ist zu prüfen, ob die neu entstandene Tatsache, wie hier der nachträgliche Wegfall des Arbeitsplatzes infolge Umstrukturierung, die im Ausgangsprozess getroffenen Feststellungen beeinflussen konnte.

Ist dem Arbeitgeber tatsächlich eine – titulierte – Beschäftigung unmöglich geworden (§ 275 Abs. 1 BGB), hat dieser dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen eine andere vertragsgemäße Beschäftigung zuzuweisen (§§ 283 Satz 1, 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB). Diese Verpflichtung greift nur dann nicht ein, wenn – auch – kein anderweitiger Einsatz möglich ist, was der Arbeitgeber darzulegen und nachzuweisen hat (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Allein auf den Titel kann der Arbeitgeber jedoch nicht verweisen, da er dadurch nicht gehindert ist, dem Arbeitnehmer gem. § 611 Abs. 1, § 315 Abs. 1 BGB i. V. m. § 106 GewO eine andere vertragsgemäße Beschäftigung zuzuweisen. Demgemäß kann sich der Arbeitgeber gegenüber seinem Arbeitnehmer nicht auf Unmöglichkeit berufen, wenn Letzterer eine mögliche Zuweisung einer anderweitigen vertragsgemäßen Beschäftigung verlangen kann (Dolo-agit-Einrede).

In Kündigungsschutzprozessen beantragen Arbeitnehmer regelmäßig im Wege der objektiven Klagehäufung die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits. Kommt das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass die Kündigung unwirksam ist, ist – ohne näheren Sachvortrag des Arbeitnehmers – ein gestellter Antrag auf Weiterbeschäftigung aus zu urteilen. Zumindest ab diesem Zeitpunkt überwiegt nämlich nach der Rechtsprechung des BAG das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers dem Interesse des Arbeitgebers auf Suspendierung (BAG v. 27.2.1985, a. a. O.). Hierdurch wird der Arbeitgeber gezwungen, bereits im Prozess Umstände darzulegen, die im Einzelfall sein überwiegendes Interesse an der weiteren vorläufigen Suspendierung des Arbeitnehmers auch nach Ausspruch eines instanzlichen Urteils, welches die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt hat, zu begründen. Tituliert das Arbeitsgericht den Beschäftigungsanspruch, tritt kraft Gesetzeseine vorläufige Vollstreckbarkeit ein, die der Arbeitgeber nur schwerlich verhindern kann (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 ArbGG). Hierdurch wird dem Arbeitnehmer die Möglichkeit der sofortigen Vollstreckung eröffnet (vgl. § 888 ZPO). Voraussetzung ist allerdings, dass der Titel ausreichend bestimmt ist (vgl. § 253 Abs. 2 ZPO, hierzu: LAG Hessen, Beschl. v. 6.7.2016 – 10 Ta 266/16, ArbR 2016, S. 582), was in der Praxis häufig aufgrund unsauberer Antragstellung und entsprechender Titulierung ein Problem darstellt.

Praxistipp

Stellen sich erst nach Rechtskraft des Beschäftigungsurteils Umstände ein, die der titulierten Beschäftigung entgegenstehen, kann der Arbeitgeber diese unter den Voraussetzungen des § 767 ZPO im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen. Hierzu hat das BAG klargestellt, dass es zu einem Obsiegen nicht ausreicht, sich auf den – endgültigen – Wegfall des Arbeitsplatzes zu berufen. Erforderlich ist vielmehr, dass – auch unter Berücksichtigung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts (§ 106 GewO) – überhaupt keine vertragsgerechte Beschäftigung des Arbeitnehmers möglich ist und dies auch im Einzelnen vom Arbeitgeber dargelegt und im Bestreitensfall nachgewiesen wird. Geschieht dies nicht, kann dem Arbeitnehmer nicht die Unmöglichkeit seines Einsatzes entgegengehalten werden, da dieser vom Arbeitgeber sogleich den Anspruch auf anderweitige vertragsgemäße Beschäftigung verlangen kann (Dolo-agit-Einrede).

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 12/2018, S. 730f.