Problempunkt

closeup photo of silver iMac
Foto von Alesia Kazantceva

Der Kläger ist bei der Beklagten als Aufzugs- und Inspektionsmonteur beschäftigt. Bis Anfang Dezember 2016 fuhr er morgens von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstages und vom letzten Kunden dorthin zurück. Auf das Arbeitsverhältnis ist aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme u. a. der Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie anwendbar. Der Tarifvertrag sah für die Montage im Nahbereich eine sog. Nahauslösung vor. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrags handelte es sich bei der Nahauslösung um eine pauschale Erstattung, die den arbeitstäglichen Mehraufwand bei auswärtigen Montagearbeiten im Nahbereich abdecken soll. Eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise war nach dem Tarifvertrag ausdrücklich ausgeschlossen. Der Kläger verlangte Vergütung für seine Montagefahrten.

Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg. Zwar ist die Fahrt des Klägers von seiner Wohnung zur auswärtigen Arbeitsstätte und zurück als Arbeit und die dafür aufgewendete Zeit als Arbeitszeit zu bewerten. Denn dies dient in erster Linie der Befriedigung der Bedürfnisse des Arbeitgebers. Allerdings wurde vorliegend zulässigerweise eine gesonderte tarifliche Vergütungsregelung getroffen. Die Parteien hatten arbeitsvertraglich den einschlägigen Tarifvertrag dynamisch in Bezug genommen. Die diesbezügliche tarifliche Regelung bestimmte mit der erforderlichen Klarheit, dass eine gesonderte Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise zur Montagestelle nicht erfolgt. Diese Fahrten waren tariflich bereits mit der sog. Nahauslösung und dem Tarifentgelt für die eigentliche Tätigkeit abgegolten. Eine solche tarifliche Pauschalregelung ist zulässig. Allerdings muss die tarifliche Regelung den Anspruch des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindestlohn wahren. Da der Kläger bei einer Gesamtbetrachtung der von ihm geleisteten monatlichen Arbeitsstunden mit seinem Bruttomonatsgehalt den gesetzlichen Mindestlohn überschritt, waren die Vorgaben des MiLoG gewahrt.

Konsequenzen

Das Urteil führt die Rechtsprechung des 5. Senats des BAG zur Vergütung von Wegezeit fort. Wegezeiten zwischen Wohnung und Betrieb sind keine Arbeitszeit und auch nicht zu vergüten. Anders ist dies bei Fahrten des Arbeitnehmers zum und von einem außerhalb des Betriebs des Arbeitgebers liegenden Arbeitsplatz (Wegezeiten im Betrieb). Diese Fahrten liegen grundsätzlich im Interesse des Arbeitgebers und sind daher arbeitszeitrechtlich Arbeitszeit (BAG, Urt. v. 26.10.2016 – 5 AZR 226/16; v. 12.12.2012 – 5 AZR 355/12; EuGH, Urt. v. 10.9.2015 – C-266/14, AuA 2/16, S. 116). Das gilt, so zeigt die vorliegende Entscheidung, auch für die Anreise zum ersten und vom letzten Kunden von der Wohnung des Arbeitnehmers aus. Von der Frage der öffentlich-rechtlichen Arbeitszeit ist die Frage der Vergütung zu unterscheiden. Grundsätzlich ist Arbeitszeit zwar, soweit nichts anderes geregelt ist, zu vergüten, es können aber abweichende tarif- oder einzelvertragliche Abreden getroffen werden. Solche Regeln müssen mit der erforderlichen Klarheit den Vergütungsanspruch ausschließen. In jedem Fall muss die tarifliche Vergütungsregelung aber den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllen.

Praxistipp

Es ist stets zwischen öffentlich-rechtlicher Arbeitszeit und der Frage der Vergütung zu unterscheiden. Nach ständiger Rechtsprechung besagt allein die Einordnung einer bestimmten Zeit als Arbeitszeit nichts über deren Vergütungspflicht. Ist ein Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis unmittelbar oder durch Bezugnahme anwendbar, ist eine arbeitsvertragliche Regelung, mit der ein Vergütungsanspruch für Arbeitszeiten pauschaliert werden soll, nur dann wirksam, wenn keine günstigere tarifliche Regelung besteht (§ 4 Abs. 3 TVG).

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 3/19, S. 183.