Grundüberlegungen – die gesellschaftliche Entwicklung

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Die Vorstellungen davon, wie junge Paare ihr gemeinsames Leben gestalten möchten, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Sie entscheiden sich für Lebensentwürfe, die nur noch bedingt und keinesfalls mehr automatisch Kinder beinhalten. Als Ursachen dafür führen Experten je nach wissenschaftlicher Fachrichtung und Grundüberzeugung sehr unterschiedliche Gründe an. Die Entscheidung für ein Kind hat heute in den meisten Fällen keine ökonomischen Hintergründe mehr. Im Gegenteil: Kinder kosten Geld und schränken den Aufbau des individuellen Wohlstandes ein. Paare entschließen sich heute für Kinder, weil sie Bestandteil des eigenen Lebensentwurfes sind. Die Entscheidung für Kinder ist zu einer Sinnentscheidung geworden.

Damit gerät die Rolle des Vaters in den Blickpunkt. Da sich Paare – sowohl ausbildungsbezogen als auch im Umgang miteinander – auf Augenhöhe begegnen, können und wollen sich Väter der Verantwortung für die Kinder immer weniger entziehen. Viele Väter haben einen neuen Anspruch: Sie möchten mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen als das ihr eigener Vater getan hat.

Parallel dazu hat sich die Arbeitswelt entwickelt, in der Familie meist keine Rolle spielt. Unternehmen betrachten das Familienleben ihrer Mitarbeiter als Privatsphäre. Deshalb stellt das Zusammenspiel von Beruf und Familie für viele Mitarbeiter ein Spannungsfeld dar. Während Frauen sich schon lange mit dieser Situation auseinandersetzen müssen, ist dieser Konflikt für viele Männer neu. Gesellschaftlich existiert wenig Bewusstsein für aktive Vaterschaft. „Vater sein“ ist kein zentraler Inhalt eines männlichen Rollenbildes. Beispielsweise gibt es den „Rabenvater“ im Gegensatz zur „Rabenmutter“ nicht.

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels profitieren deshalb Unternehmen zunehmend von Aktivitäten für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die sich auch oder gerade an Väter richtet. Die IGS-Studie gibt Aufschluss darüber, wie konkrete Anforderungen von Vätern an einen familienfreundlichen beziehungsweise väterfreundlichen Arbeitgeber aussehen.

Resultate der Studie – Väterfreundlichkeit weit gefehlt

Die 360 befragten Väter bestätigen den eingangs erwähnten Konflikt: Lediglich 1,9 Prozent kennen die Vereinbarkeitsproblematik nicht aus eigener Erfahrung. Mehr als 42 Prozent hingegen verspüren einen Konflikt oder einen starken Konflikt zwischen Beruf und Familie. Unzufrieden beziehungsweise sehr unzufrieden mit ihrer aktuellen Gewichtung von Familie und Beruf fühlen sich aber lediglich gut 30 Prozent. Folglich fügen sich mehr als 12 Prozent in die Situation. Solche Situationen, in denen Mitarbeiter die eigene Machtlosigkeit erleben, können schleichend zu einer immer größeren Unzufriedenheit mit der beruflichen Situation führen.

Für Väter ist das Thema Familienfreundlichkeit so bedeutsam, dass sie dafür sogar auf Gehalt verzichten würden. 27 Prozent der Befragten würden für die realisierbare Möglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren, auf über 10 Prozent ihres Gehaltes verzichten. 59 Prozent würden sich diese Option mehr als 5 Prozent ihres Gehalts kosten lassen.

40 Prozent der Väter bescheinigen ihren Arbeitgebern Familienfreundlichkeit, allerdings sieht nur ein gutes Drittel der Befragten ihren Arbeitgeber auch als väterfreundlich an. Viele Unternehmen nehmen demzufolge Familienfreundlichkeit immer noch als ein Instrument für Frauen oder Mütter wahr. Anscheinend bleibt Vätern der Zugang zu bestehenden familienfreundlichen Angeboten größtenteils verwehrt, was vor allem in der bestehenden Unternehmenskultur begründet ist. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass 71 Prozent der Befragten negative Konsequenzen befürchten, wenn sie familienfreundliche Angebote nutzen. Verständnislosigkeit durch Kollegen und Vorgesetzte (39 Prozent) fürchten die Väter dabei ebenso wie den endgültigen Karriereknick (54 Prozent).

Unternehmen sind also auf die oben beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen zu einem großen Teil nicht eingestellt. Sie ignorieren, dass sich die Bedürfnisse der Menschen und damit auch ihre Anforderungen an den Arbeitgeber verändert haben.

Familien- und väterfreundlichen Unternehmen gehört die Zukunft

Viele Personaler erinnern sich möglicherweise noch an die viel zitierte Formel „Es gibt noch zehn andere vor der Türe, die gerne Ihren Job übernehmen würden.“ Doch die goldenen Zeiten, in denen Personalabteilungen aus dem vollen schöpfen konnten, sind vorbei. Zukünftig wird der Fachkräftebedarf weit höher sein als das Angebot. Dazu trägt einerseits eine erhöhte Nachfrage durch Generationenwechsel oder zunehmende Komplexität der Aufgabenstellung bei. Andererseits verringert sich durch die demografische Entwicklung auch das Angebot.

Somit müssen Unternehmen handeln, wenn sie den eigenen Fachkräftebedarf decken wollen. Was liegt also näher, als sich an den Bedürfnissen einer wichtigen Gruppe der Belegschaft, nämlich den Vätern und Müttern auszurichten? Dies scheint für die Mütter auch in einigen Fällen gelungen – bei Vätern gibt es allerdings noch ausgeprägten Handlungsbedarf.

Unternehmen sollten vor allem Instrumente entwickeln, die die zeitliche und örtliche Flexibilität (Flexible Arbeitszeiten und Home Office) der Mitarbeiter ausbauen. Damit ermöglichen Unternehmen ihren Mitarbeitern, familienfreundliche Regelungen und die Berufstätigkeit beider Partner zu leben. Home-Office-Regelungen favorisieren 66 Prozent der befragten Väter. Im Schnitt würden sie gern an zwei Tagen in der Woche von zuhause aus arbeiten. Instrumente zur zeitlichen Flexibilisierung wünschen sich (noch) über die Hälfte, wobei dieses Instrument bereits weit verbreitet ist und zur Normalität in vielen Unternehmen gehört. Aber auch die Reduktion der Arbeitszeit (im Schnitt um ein Viertel) stellt für nahezu 60 Prozent der Befragten eine attraktive Option dar. Die Umsetzung all dieser Wünsche scheitert vor allem an der gelebten Unternehmens- und Führungskultur, zu der es meist noch nicht gehört, die Bedürfnisse von Vätern ernst zu nehmen und nach individuellen Lösungen zu suchen. Unternehmen sollten sich angesichts der drohenden Entwicklungen allerdings dringend auf den Weg machen, die Entscheider besser zu qualifizieren und auf die demografischen Herausforderungen sowie den Fach- und Führungskräftemangel vorzubereiten.

Väter sind dabei eine der wichtigsten Zielgruppen, die Unternehmen individuell ansprechen sollten. Nur Unternehmen, denen dies rechtzeitig gelingt, werden im Wettbewerb um Potenzialträger bestehen und damit in die eigene Zukunftsfähigkeit investieren. Ansonsten wird es – wie auch die Umfrageergebnisse nahe legen – zu einer Wanderungsbewegung des so knapp bemessenen qualifizierten Personals kommen: Weg von familienunfreundlichen hin zu familienorientierten Arbeitgebern, denen die Bedürfnisse der Mitarbeiter ein Anliegen sind.