Komplexe Systeme – und was sind Märkte, Organisationen und Menschen anderes -  entziehen sich der analytischen Analyse und verweigern sich der gezielten Intervention. Sie sind keine kausalen Maschinen oder auf Befehl und Gehorsam getrimmte Untergebene. Sie halten weder ruhig, solange bis Experten sie erfasst haben, noch verhalten sie sich so, wie wir sie sorgfältig geplant und erwartet haben.

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Foto von Tim Gouw

Sie sind flüchtig (volatil), mehrdeutig (ambiguin) und das einzig sichere ist dann die Ungewissheit. War irgendwie immer so, aber man konnte sich früher (vor der Globalisierung und Beschleunigung) in Teilbereichen Sicherheit verschaffen oder sich auf die gemeinsame Illusion der Planbarkeit einlassen. CEOs konnten wirklich Planabweichungen (wenn es nicht die eigenen waren) sanktionieren sowie einen exakteren Forecast auf Basis besserer Analysen ihrer Strategieabteilung erwarten.

"Klar haben wir eine Strategie, woran sollten wir uns sonst orientieren und den Mitarbeitern klarmachen, wohin die Reise gehen soll? Aber auf Fünfjahrespläne und tolle Powerpont-Präsentationen wie früher können wir heute nicht mehr aufbauen. So gesehen ist es mit der strategischen Planung irgendwie vorbei. Die Meister in der Produktion halten uns ohnehin für verrückt. Anscheinend konnten wir noch immer nicht vermitteln, warum wir das Unternehmen situativ und pragmatisch steuern müssen", sagt der Geschäftsführer eines Automotiv-Unternehmens.

Plastischer lässt sich das Dilemma kaum auf den Punkt bringen.

Wenn eine Strategie wirklich die Beziehung zwischen Unternehmen und Markt, Kunden, Shareholdern und Stakeholdern steuert, ist sie eine Antwort auf … 

… das WARUM und damit auf den SINN. 

Warum gibt es uns als Unternehmen im Kontext Wirtschaft, Gesellschaft, als Bereich, Abteilung, Projekt im Kontext Organisation, warum gibt es diese Dienstleistung, dieses Produkt? 

…das WAS und damit auf die Inhalte.  

Was machen wir daher als Unternehmen, Bereich, usw., welche Dienstleistungen, Produkte bieten wir an?

…das WIE und damit auf die Werte und Haltungen. 

Wie handeln wir, wie gestalten wir unsere Produkte und Dienstleistungen, wie leben wir die Beziehungen zu den Kunden, Stakeholdern, wie verhalten wir uns untereinander? 

Getragen von diesen - gemeinsam erarbeiteten, durchaus generell gehaltenen - Antworten kann sich strategische Führung mit Lust ins Getümmel des Geschehens werfen und zugleich (ausgestattet mit der Fähigkeit der Reflexion) beobachten, 

  • wie im Unternehmen Erkenntnisse  genutzt werden und wie neue entstehen,
  • wann welche Prämissen definiert werden (wann welcher Sinn definiert wird),
  • wie diese Prämissen wirksam werden, 
  • welche Richtungen genommen, welche Weichen wann gestellt werden und besonders wichtig,
  • was sich jenseits des strategischen Fokus ereignet, welche Potenziale noch nicht erkannt wurden.

Mit diesen Bildern des Geschehens lassen sich neue Rollen- und Regieanweisungen geben und weiter beobachten, wie sie umgesetzt werden beziehungsweise wie das Spiel weitergeht.

Strategisches Management nutzt die dreifache Perspektive: 

Nach Vorne, in die Zukunft:

  • Wer werden wir in Zukunft sein?
  • Was wollen wir erfahren, entdecken?
  • Welche Eigenschaften und Qualitäten werden uns auszeichnen?
Zurück in die Vergangenheit:
  • Was hat uns bisher erfolgreich gemacht?
  • Wie sind wir bisher mit Rückschlägen umgegangen, was hat sich dabei bewährt?
  • Welche nicht erwarteten Situationen haben wir schon gemeistert, was hat uns dabei geholfen?
Achtsam auf die Gegenwart:
  • Was sind Quellen hoher Energie, Begeisterung, Dynamik?
  • Was sind Quellen von Irritation, Frust, Angst, Desinteresse, Demotivation?
  • Worauf müssen wir jetzt im Moment besonders achten?
Gerade die Perspektive der Gegenwart lässt das strategische Management häufig außer Acht. Daher appellierte der CEO eines Finanzdienstleistungsunternehmens am Ende einer strategischen Großgruppenkonferenz an die Teilnehmer: „Trotz aller analytischen Sorgfalt bitte ich Euch, offen zu bleiben für Chancen, für die Gunst der Stunde, für das Erkennen von Risiken und Situationspotenzialen“.