The Normal Personality
Von Steven Reiss
Cambridge University Press 2008
201 Seiten, 27,99 Euro
ISBN 978-0-521-88106-7
www.cambridge.org/9780521881067

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Foto von freestocks

In Anlehnung an sein erstes Werk unterscheidet Reiss 16 Basismotive menschlichen Handelns. Aufbauend darauf lassen sich laut Reiss mit hoher Wahrscheinlichkeit menschliche Vorlieben, Reaktionen und Verhaltensweisen vorhersagen. Damit grenzt er sich explizit vom freudianisch geprägten Erklärungsmodell ab, das persönliche oder zwischenmenschliche Probleme aller Art in der Regel auf die Dynamik des Unbewussten und nicht aufgearbeitete Kindheitsereignisse zurückführt. Allerdings konstatiert Reiss, dass es durchaus behandlungsbedürftige, pathologische Formen abweichenden Verhaltens gäbe, welche es entsprechend Ernst zu nehmen und zu behandeln gelte. In seinem Werk verzichtet er jedoch bewusst auf Diagnosen und Erklärungen pathologischer Verhaltensweisen.

Durch gut illustrierte Praxisbeispiele und eine insgesamt verständliche und lebhafte Erzählweise gelingt es dem Autor, seine Theorie anschaulich zu vermitteln. Im Anhang findet sich ein Test, der es dem Leser ermöglichen soll, seine eigene Persönlichkeit den 16 Motiven zuzuordnen. Reiss hat ein wirklich spannendes, psychologisches Fachbuch geschrieben, das sich leicht und unterhaltsam liest und statt akademischer Konstrukte illustrativ Praxisbeispiele aufgreift. Das Buch macht Spaß – von der ersten bis zur letzten Seite. Und es macht Lust, sich mit Motivationspsychologie auseinanderzusetzen und auf kreative Weise Anwendungsfelder dafür kennen zu lernen.

„The Normal Personality“ enthält jedoch keine Leitfäden und Handlungsanweisung für die Personalerpraxis. Somit ergibt sich der Nutzen für die berufliche Praxis eher indirekt.
Mögliche Anwendungsfelder im Human Resources und Management-Bereich könnten beispielsweise sein:

  • Prozesse kultureller Integration (beispielsweise Post-Merger-Integration)
  • Konfliktmanagement, auch Teamentwicklung (grundsätzlich überall, wo unterschiedliche Ansichten oder Charaktere aufeinanderprallen)
  • Design von individuellen Incentives (gegebenenfalls auch Retentionsmaßnahmen), abgestimmt auf die jeweils zugrunde liegenden Motive (hierzu listet Reiss einige Beispiele, vor allem zum Umgang mit schulischer Leistungsschwäche auf)
  • „Value-based Job Descriptions“ als Grundlage für ein auf der Reiss´schen Theorie basiertes Persönlichkeitsassessment im Recruitingprozess

Da der Autor sich auf Basis seiner Motivtheorie auch der Analyse von Paarbeziehungen widmet, enthält das Werk darüber hinaus hilfreiche Anregungen für das private, zwischenmenschliche Umfeld. Reiss zufolge neigt jeder Mensch zu einer einseitigen, positiven Bewertung der eigenen Werte und Motive und somit implizit zur Herabsetzung der Werte der anderen – sofern diese nicht mit den eigenen übereinstimmen. In seinem Buch lädt er deshalb dazu ein, die eigene Sichtweise der Dinge zu reflektieren. Vor diesem Hintergrund würde ich „The Normal Personality“ nicht ausschließlich Personalverantwortlichen, sondern jedem empfehlen, der viel mit unterschiedlichen Menschen zu tun hat und sich außerdem für verständlich beschriebene psychologische Theorie begeistern kann.

Bewertung:

Praktischer Nutzwert * *
Lesbarkeit/Schreibstil * * * * *
Verständlichkeit * * * *
Gliederung/Übersichtlichkeit * * * *
Meine persönliche Empfehlung für Personalverantwortliche * * * *

Autorin der Rezension: Marion Schöndorf, Manager Human Resources, ALTRAN Deutschland GmbH