Wenn sich die Führungsverantwortung auf verschiedene Köpfe verteilt, kann sich das positiv auf den Teamerfolg auswirken. Warum das so ist und welche Faktoren Shared Leadership begünstigen, erklärt Torsten Biemann, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Personalmanagement und Führung an der Universität Mannheim, im Interview.
Professor Biemann, wie verbreitet ist Shared Leadership?
Zahlen dazu gibt es meines Wissens nicht. Shared Leadership kann verschieden stark ausgeprägt sein, weswegen es schwer festzumachen ist, wann genau ein Team so zu klassifizieren ist.
Gewisse Ansätze von verteilter Führung können wir häufig in Teams beobachten. Sie sind nicht formal festgelegt, sondern einfach im Lauf der Zeit entstanden, weil Teammitglieder bestimmte Verantwortungen übernommen haben. Die Wissenschaft nennt das „Emergent Leadership“. Ein Beispiel sind die Studierendengruppen, die sich bei uns an der Uni Anfang des Semesters zusammenfinden. Das sind dann vier oder fünf Studierende, die im Prinzip die gleichen Kompetenzen haben und auf einer Ebene agieren. Aber über die Zeit können sich in diesen Gruppen Führungsrollen herauskristallisieren. Diese Form von Emergent Leadership ist sehr geläufig – auch in Unternehmen.
Aber die ganz starke Ausprägung von Shared Leadership, bei der es gar keine hierarchische Führungsbeziehung mehr gibt, sondern alle Führungsaufgaben komplett im Team verteilt sind, die gibt es bislang selten.
Wie wirkt sich Shared Leadership auf den Erfolg von Teams aus?
Wenn wir uns die empirische Evidenz dazu anschauen, dann gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen Shared Leadership und Teamerfolg. Dabei lassen sich unterschiedliche Arten von Erfolg unterscheiden. Besonders stark wirkt Shared Leadership auf die Zufriedenheit im Team. Wenn die Führungsverantwortung auf verschiedene Köpfe verteilt ist, sind die Teammitglieder also zufriedener – auch mit ihrer Führung. Shared Leadership hat außerdem positive Auswirkungen auf die objektiven Arbeitsergebnisse, allerdings weniger stark. Insgesamt lässt sich also sagen, dass die Zufriedenheit und die Performance in Teams steigen, wenn verteilte Führung vorherrscht.
Welche Bedingungen müssen gegeben sein, damit Shared Leadership gut funktioniert?
Einige Studien dazu zeigen, dass Shared Leadership besser in Teams mit einem positiven und offenen Teamklima funktioniert und die Teammitglieder motiviert sein sollen. Shared Leadership ist insgesamt auch dann geeigneter, wenn die Teamaufgaben interdependent sind. Das bedeutet, dass die Aufgaben der Teammitglieder zusammenhängen – und nicht alle nebeneinander her ihre Jobs erledigen.
Hängt Shared Leadership zwingend mit einem bestimmten Führungsstil zusammen?
Eigentlich nicht. Wenn Sie beispielsweise in einem Team einen Shared-Leadership-Ansatz haben und ein Teammitglied für bestimmte Bereiche zuständig ist, dann kann dieses Teammitglied alle möglichen Führungsstile haben und zum Beispiel demokratisch oder autokratisch agieren. Insofern ist Shared Leadership eher eine Art der Verteilung von Führungsverantwortung und Führungsaufgaben – weniger eine Beschreibung des tatsächlichen Führungsverhaltens.
Wann macht Shared Leadership aus Unternehmersicht besonders viel Sinn?
Shared Leadership beeinflusst die Zufriedenheit und die Performance der Mitarbeiter positiv. Insofern kann es viele Settings geben, in denen Shared Leadership sinnvoll ist. Es kann gerade dann gut funktionieren, wenn es wichtig ist, den Teams mehr Verantwortung zu übertragen, zum Beispiel, weil Unternehmen agiler und schneller werden wollen. Unternehmen können dann den Teams mehr Autonomie geben, ihre Zeit selbst einzuteilen, den Arbeitsort selbst zu wählen und ihre Aufgaben eigenverantwortlicher zu erledigen. Shared Leadership ergibt dann besonders Sinn, wenn Unternehmen schnell handlungsfähig sein müssen und am Anfang noch nicht ganz klar ist, welchen Weg sie gehen und welche Ziele letztlich wichtig sind.
Interview: Bettina Geuenich