Problempunkt

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Der Fall ist im Kontext der Scheinselbstständigkeit zu verorten. Der Angeklagte ließ handwerkliche Tätigkeiten durch Mitarbeiter ausführen, ohne sie bei der zuständigen Stelle zur Sozialversicherung gemeldet zu haben. Dies ist notwendig, sobald ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn meint dabei die nichtselbstständige Arbeit. Diese ist bei Tätigkeit nach Weisung oder einer Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers indiziert. Beschäftigungsverhältnisse liegen insbesondere im Rahmen von Arbeitsverhältnissen vor.

Der Angeklagte wurde im Zusammenhang der Beschäftigung von Mitarbeitern von seinem Steuerberater und Rechtsanwalt beraten. Von der Anklage wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt sowie Steuerhinterziehung wurde er zunächst durch das Landgericht aus sachlichen Gründen freigesprochen. Der Angeklagte habe infolge der anwaltlichen Beratung aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums ohne Unrechtseinsicht gehandelt. Hiergegen richtete sich die Revision der Staatsanwaltschaft.

 

Entscheidung

Der BGH hat den Freispruch aufgehoben, da mangels ausreichender Feststellungen durch das Landgericht nicht nachprüfbar ist, ob die Voraussetzungen für einen Verbotsirrtum vorgelegen haben. Fehlendes Unrechtsbewusstsein des Angeklagten kann nicht allein mit dem Vertrauen auf die anwaltliche Beratung begründet werden. Vielmehr kommt es auf die konkrete Vorstellung des Angeklagten im Hinblick auf die rechtliche Einordnung der Beschäftigung an.

Für die neue Verhandlung der Sache vor dem Landgericht hat der BGH darauf hingewiesen, dass in der bisherigen Rechtsprechung die Anforderungen an den Vorsatz bzgl. der Stellung als Arbeitgeber in § 266a StGB einerseits und in § 41a EStG andererseits unterschiedlich bestimmt werden. Bei der Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen im Rahmen von § 266a StGB muss der Vorsatz auf die statusbegründenden tatsächlichen Voraussetzungen der Eigenschaft als Beschäftigungsverhältnis gerichtet sein. Sofern diese tatsächlichen Verhältnisse erkannt werden, unterliegt der Täter, der dennoch glaubt, nicht Arbeitgeber zu sein, einem Verbotsirrtum (BGH, Beschl. v. 4.9.2013 – 1 StR 94/13). Dieser ist i.d.R. vermeidbar, so dass es bei der Strafbarkeit bleibt. Demgegenüber muss der Vorsatz bei Steuerhinterziehung nach § 41a EStG i. V. m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO darauf gerichtet sein, dass der Täter den Steueranspruch auch dem Grunde und der Höhe nach kennt und diesen verkürzen will. Bei einem Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft und damit einhergehender irrtümlicher Annahme des Nichtbestehens eines Steueranspruchs liegt deshalb ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vor (BGH, Urt. v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11). In der Folge entfällt hier die Strafbarkeit.

Da kein sachlicher Grund für diese bisher unterschiedliche Behandlung des Irrtums über die Arbeitgebereigenschaft auf der einen und anderen Seite vorliegt, erwägen die BGH-Richter, diese Fehlvorstellung zukünftig einheitlich als vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum zu behandeln.

 

Konsequenzen

Kern der Entscheidung ist der Hinweis auf die künftig zu erwartende Vorgehensweise des BGH. Die angedeutete Rechtsprechungsänderung würde für Arbeitgeber mehr Rechtsklarheit und Sicherheit bedeuten. Gerade hinsichtlich der teilweise schwierigen und am Einzelfall vorzunehmenden Feststellung einer möglichen Scheinselbstständigkeit wäre die Änderung sehr begrüßenswert.

Bei der Frage einer Strafbarkeit würde es deshalbkünftig nicht mehr darauf ankommen, ob die sehr hohen Anforderungen an einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB) erfüllt sind. Vielmehr könnte eine Strafbarkeit nach § 266a StGB künftig aufgrund eines Tatbestandsirrtums (§ 16 Abs. 1 StGB) bereits dann ausscheiden, wenn zwar in tatsächlicher Hinsicht aufgrund der Einzelumstände ein Beschäftigungsverhältnis besteht, der vermeintliche Auftraggeber aber trotz Kenntnis dieser Umstände glaubt, kein Arbeitgeber zu sein. Anders als noch in früheren Entscheidungen angenommen, würde es insbesondere nicht mehr darauf ankommen, ob die Fehlvorstellung über das tatsächliche Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses hätte ausgeräumt und der Irrtum so vermieden werden können, z.B. durch Einholung anwaltlicher Beratung oder Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens (§ 7a SGB IV).

Zu beachten ist aber, dass der vermeintliche Auftraggeber, der sich rechtlich als Arbeitgeber darstellt, dennoch wird darlegen müssen, dass und warum er glaubte, nicht in einer Arbeitgeberposition zu stehen. Da sich ein solcher Irrtum als ein für den Beschuldigten günstiger innerer Vorgang darstellt und i. d. R. der Beweis einer angeblichen inneren Einstellung schwer zu führen ist, dürften hier hohe Anforderungen an den Vortrag des Beschuldigten zu stellen sein.

Praxistipp

Trotz dieser für Arbeitgeber erfreulichen Entwicklung ist zu beachten, dass unabhängig von den Irrtumsregeln im Strafrecht die übrigen Risiken einer Scheinselbstständigkeit bestehen bleiben. Vor allem können Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen erhebliche finanzielle Belastungen darstellen. Auch die unerwartete Anwendbarkeit von Arbeitnehmerrechten (insbesondere nach KSchG, ArbZG, BUrlG und EntgFG) stellt ein Risiko dar. Aus diesen Gründen kommt der sorgfältigen Abgrenzung zwischen Beschäftigungsverhältnissen und freien Dienst- oder Werkverhältnissen trotz sinkendem Strafbarkeitsrisiko weiterhin grundlegende Bedeutung zu.


Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 8/18, S. 491.