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Die Jugend steht im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses; genauer gesagt sind es vor allem Unternehmer, die sich aufgrund von Personalnot um eine Abdeckung ihres Bedarfs sorgen und danach fragen, wie Jugendliche und junge Professionals ticken. Antworten erhalten sie vor allem von Marktforschungsinstituten. Forschungsmaterial gibt es genügend. Aufgegriffen wird es in der HR-Branche von Fachmedien, Kongressveranstaltern, Trainern und anderen. Man interessiert sich für das Kommunikationsverhalten und die Lebenseinstellung junger Menschen.

Unberücksichtigt bleibt allerdings oft das Hauptthema der Jugend: Identitätsfindung. Das ist kritisch, denn eine erfolgreiche Identitätsbewältigung – da sind sich viele Sozialwissenschaftler und auch Psychologen einig – stärkt den jungen Menschen für seine Zukunft – privat wie später im Job. Die radikale Flexibilisierung der Arbeitswelt verleiht dieser Lebensaufgabe ganz neue Aspekte. Das sollten auch Unternehmen im Blick haben, um jugendliche Nachwuchskräfte besser bei ihrer Entwicklung begleiten zu können.

Anerkennung als Treiber für die Identitätsarbeit

Neben geeigneten Rahmenbedingungen für die jugendliche Identitätsarbeit benennt Günter Mey einen Aspekt aus, der in einer völlig unsicheren Welt psychologisch Sicherheit vermitteln kann: Anerkennung. Der Wissenschaftler bezieht sich mit diesem Hinweis auf den kanadischen Sozialphilosophen Charles Taylor. Dieser hatte die These aufgestellt, dass Menschen in ihrer Identität einen wesentlichen Schaden erleiden, wenn die Gesellschaft dauerhaft einschränkend, herabwürdigend oder verächtlich über sie urteilt. Werden Menschen in ihrer Person allerdings anerkannt, gewinnen sie Vertrauen in die Entwicklung ihrer Fähigkeiten. Das ist vor allem deswegen ein neuralgischer Punkt, weil Jugendliche für die erfolgreiche Identitätsbewältigung das benötigen: 

– Rollendistanz
– Ambiguitätstoleranz
– Frustrationstoleranz
– Individuelle Gestaltungskompetenz

All diese Fähigkeiten helfen dabei, eine balancierte Identität aufzubauen. Mit ihnen können Menschen laufend  Verschiedenheiten, Widersprüche und Veränderungen wahrzunehmen, ihnen Sinn beimessen und sie verbinden. Unternehmen sind gefordert, junge Menschen auf dem Weg dahin zu begleiten. Und nicht vergessen: Anerkennung ebnet den Weg und öffnet Horizonte.  


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Identität – was ist das überhaupt?

Identität bezeichnet laut Duden die „als ‚Selbst‘ erlebte innere Einheit“ einer Person. Diese Einheit entsteht dann, wenn Menschen individuelle Erfahrungen und soziale Erwartungen ausbalancieren, vermerkt der lexikalische Medizinglossar der Universität Freiburg. In der westlichen Welt mit ihrer Individualisierungskultur fordert dieses Balancieren besondere Fähigkeiten vom Einzelnen. Denn einerseits sollen Menschen eine individuelle Biografie haben, dennoch aber nicht aus dem Rahmen fallen. Mit anderen Worten formuliert: Individualität und Teamfähigkeit bitte!

An diesem Dreh- und Angelpunkt setzt Günter Mey mit seiner Forschungsarbeit an. Ihn interessiert, wie jungen Menschen der Aufbruch zu einer Identität gelingt, die diesen Spagat meistert. Und er streicht hervor, dass die Jugend keine reine Durchgangsphase ist, sondern ein „mit Eigenlogik versehener Lebensabschnitt“. In dieser Zeit werden der eigene Standpunkt zur Welt grundlegend bestimmt, tragende psychische Fähigkeiten entwickelt und eine eigene Lebensperspektive entworfen. Den Beginn der Jugend beziffert Mey auf ein Alter von 11 bis zwölf Jahren. Das Ende könne sich heute bis auf das dreißigste Lebensjahr hinausziehen.

Die jugendliche Identitätsentwicklung umfasst nach Günter Mey
unter anderem diese Aufgaben:

–  Qualifizierung (Schule und Beruf)
–  Ablösung und Bindung (Familie / Freunde usw.)
–  Partizipation (Gesellschaft)
–  Regeneration (Freizeit / Medien)
–  Autonomieaufbau (Eigenständigkeit)
–  Entwicklung eines Selbstwirksamkeitsbewusstseins

Diese Aufgaben hätten sich Mey zufolge heute wesentlich dynamisiert. Jugendliche seien gezwungen, ihre Biografie in einer Weise zu reflektieren, wie dies bislang vor allem Erwachsene taten. Und das unter verschärften Bedingungen: Schon ganz junge Menschen hätten viel mehr Handlungsoptionen als die Generationen vor ihnen. Sie probieren sich früh in verschiedenen Rollen aus und inszenieren sich selbst. Andererseits gäbe es Mey zufolge kaum noch gesicherte Übergänge zwischen Schule und Beruf. Jugendliche stünden vor einer risikoreichen Zukunft. An die Stelle einer genormten, landläufigen Biografie – so Günter Mey – tritt eine Wahlbiografie. Die aber steht unter dem Druck zahlreicher Regulierungen. Junge Menschen sehen sich in Schulen und Ausbildungsstätten mehr denn je mit einer Überzahl an Richtlinien und Anforderungen konfrontiert. So begrüßenswert eine Wahlbiografie ist – unter den gegebenen Umweltbedingungen steigt das Risiko für den Einzelnen, das Unpassende zu wählen oder ganz falsche Entscheidungen zu fällen. Das gilt später auch für das Berufsleben.

Günter Mey folgert aus diesen Fakten, dass Jugendliche heute viel aufwenden müssen, um Identität im Sinne einer erlebten Einheit herzustellen und aufrechtzuerhalten. Identitätsarbeit wird fragil.

Jugendliche reagieren:
Diffuse Identitäten – Orientierungslosigkeit

Für Günter Mey ist es angesichts all dieser Fakten kein Wunder, dass wissenschaftliche Studien seit den 90er Jahren eine zunehmende Identitätsdiffusion unter jungen Menschen dokumentieren: Viele on ihnen wissen kaum, wo sie hingehören, welchen Werten sie verbindlich folgen, an wem oder was sie sich orientieren können. Ist die Diffusion sehr groß, stört sie auch erheblich die Berufsorientierung: Wer will ich als Berufstätiger sein? Welche Fähigkeiten kann ich ausbauen, um meine Zukunft zu sichern und wofür will ich mich einsetzen?

Psychologen hatten das Diffusionsphänomen zuerst als Indiz dafür gewertet, dass Jugendliche keine Verbindlichkeiten mehr herstellen können. Dann aber gingen viele von ihnen davon aus (z.B. Kraus & Mitzscherlich, 1995), dass Youngsters sich nicht festlegen in Bezug auf Rollen, Werte und Verantwortlichkeiten, um den wechselnden Anforderungen der Gesellschaft besser entsprechen zu können. Kein Konzept zu haben ist eben doch oftmals funktionaler, weil sinnvoller in der Arbeitswelt. Mey unterstützt diese Sichtweise, merkt aber auch an, dass solch eine fluide Lebensführung – angepasst an flexible Anforderungen – faktisch nicht allen jungen Menschen gelingt.

Mögliche Faktoren des Scheiterns
sind nach Günter Mey:

– Unsicherheiten (Perspektiven / Anforderungen etc.)
– Rollenwidersprüche
– Notwendigkeit, ständig neue Optionen zu bewerten
– Notwendigkeit permanenter Entscheidungsfindungen

Identitätsprobleme resultierten weniger aus einer krisenhaften biografischen Vergangenheit, sondern aus mangelnder planbarer Zukunftsperspektive. Jugendliche haben zu wenige Erfahrungen mit ihrer Selbstwirksamkeitskräften gemacht, um sich sicher zu fühlen. Mit anderen Worten: Jugendliche brauchen Perspektiven, die ihnen vermitteln, dass sie ihre Zukunft gestalten können. Und sie brauchen einen Rahmen, in dem sie sich ausprobieren können; ohne Gefahr zu laufen, dabei aus der Gesellschaft rauszufallen.  

Mey weist daraufhin, dass Menschen so genannte Möglichkeitsräume benötigen, um sich in ihren Facetten leben zu können. Auf den Unternehmensalltag übertragen bedeutet das: Unternehmen müssen den verschiedenen Menschen in der Belegschaft Raum geben, sich im Einklang mit sich und ihrem Umfeld leben zu können. In der Vergangenheit wurden dazu im HRM unter dem Schlagwort „Diversity Management“ Konzepte erarbeitet.