Mitarbeiterbindung: Weniger Feelgood, mehr Struktur

Weshalb Unternehmen ihre Talente einbüßen – und weshalb People Experience zu einem echten Erfolgsfaktor avanciert

Ein Kündigungsschreiben taucht nie unerwartet auf dem Tisch auf. Es resultiert aus einem inneren Prozess – leise begonnen und lange ignoriert. Mitarbeitende geben nicht einfach so ihre Kündigung ab, nur weil sie auf einmal weniger motiviert sind. Sie geben ihre Stelle auf, da sie glauben, dass ihr Arbeitgeber sie bereits aufgegeben hat. Oder nie wirklich begriffen hat. Veronika Birkheim bringt in ihrem Podcast klar zum Ausdruck: Wer es mit der Mitarbeiterbindung ernst meint, sollte aufhören, nur die Symptome zu bekämpfen – und stattdessen die Ursachen verstehen.
People Experience dient nicht als Schlagwort für HR-Broschüren, sondern stellt ein strategisches Steuerungsinstrument dar. Es umfasst alle Erfahrungen, die Angestellte mit ihrem Arbeitgeber gemacht haben – vom ersten Kontakt bis zur letzten E-Mail nach dem Offboarding.

Schlechte Erfahrungen führen zu Kündigungen

Veronika Birkheim warnt: Die Mehrheit der Unternehmen reagiert zu spät. Frühwarnzeichen wie nachlassende Bereitschaft zur Weiterbildung, zunehmende Krankheitstage oder Unruhe im Team werden übersehen oder als Einzelfälle abgetan. Die Realität sieht so aus: Eine Vielzahl an Kündigungen hätte verhindert werden können.
Der Hauptfehler? Reagieren statt Vorbeugen. Solange Kündigungen nur dann ernst genommen werden, wenn sie ausgesprochen sind, wird HR zur Feuerwehr. Und nicht zur Schöpferin einer stabilen Unternehmenskultur. Es wäre dabei leicht: Ein ordentliches Probezeitgespräch, ein strukturierter Onboarding-Prozess und ein ehrliches Check-in mit Rückkehrern kosten wenig, bringen dennoch viel. Sofern man es ernsthaft angeht.

Die Grundlagen fehlen – nicht der Obstkorb

In diesem Zusammenhang äußert Birkheim eine unangenehme Wahrheit: Viele Firmen betrachten die Bindung von Mitarbeitern nach wie vor als „Feelgood-Projekt“. Man legt Geld in Tischkicker, Benefits oder kostspielige Kampagnen zur Gewinnung von Mitarbeitern an – ohne die Grundlagen zu beherrschen. Aber Mitarbeitende bleiben nicht wegen der Gutscheinkarten. Wenn ihr Arbeitsalltag funktioniert, bleiben sie. Sobald der Laptop am ersten Tag einsatzbereit ist. Wenn das Team einsatzbereit ist. Wenn Rückmeldungen ernsthaft beachtet werden.

Es sind nicht die großen Maßnahmen, die bestehen bleiben – sondern die kleinen, sorgfältig umgesetzten. Wenn Abläufe problemlos verlaufen. Wenn die IT läuft. Falls Leitung erreichbar ist. Wer hier versagt, verliert das Vertrauen. Und schafft eine negative People Experience, die sich direkt auf Fluktuation und Produktivität auswirkt.

Gute Führung ist kein freiwilliges Extra, sondern eine Pflicht

Führung ist der wohl entscheidendste Aspekt für die Bindung von Mitarbeitenden. Und zwar nicht in Hochglanz-Präsentationen, sondern in der realen täglichen Zusammenarbeit. Birkheim hebt hervor: „Es sind nicht das Unternehmen, sondern die Führungskräfte, von denen Menschen ihre Kündigung aussprechen.“
Wer heute binden möchte, muss Leadership entfalten. Durch Verhalten, nicht durch Titel.

Hierzu zählen:
• Regelmäßige Feedbackgespräche, die über einen bloßen Kalendereintrag hinausgehen
• Einfühlungsvermögen für Lebensphasen, in denen Personen besonders verletzlich sind
• Eindeutigkeit, Zuverlässigkeit und Anerkennung – insbesondere in Stresssituationen


Im Podcast schildert Birkheim beispielhaft zwei prägende Erlebnisse: Eine Mitarbeiterin, die aufgrund ihrer Trauer über den Verlust eines nahestehenden Menschen auf eine kalte Paragraphentreue traf – und die sich infolgedessen innerlich verabschiedete.

Ohne Strategie kein Recruiting – und ohne Recruiting keine Bindung

Recruiting und Retention sollten als miteinander verbundene Disziplinen betrachtet werden. Sie sind wechselseitig voneinander abhängig. Unzureichende Auswahlprozesse resultieren in Fehlbesetzungen. Unzureichende Stellenanzeigen ziehen ungeeignete Bewerber:innen an. Ein Recruiting, das ohne Strategie, Planung und Zielgruppenverständnis operiert, ist nichts anderes als kostspielig.
Birkheim empfiehlt drei einfache Fragen, die die Lösung bieten:

  1. Nach wem suchen wir tatsächlich? (nicht: Wer ist laut Vorlage auf der Suche?)
  2. Wie ist der erste Eindruck von uns?
  3. Wie gelingt es uns, dass Menschen bleiben wollen – nicht müssen?
    Recruiting sollte kein Spiel sein, bei dem man nur reagiert.

Es bedarf der Bedarfsanalysen, Talentpools und einer klaren Vorstellung davon, welche Persönlichkeiten zum Unternehmen passen. Der Rest ist Zufall. Und in der strategischen Personalplanung hat er nichts zu suchen.

Kultur ist kein Poster, sondern ein Erlebnis

Ein besonders kluger Aspekt aus dem Podcast: Mitarbeitende orientieren sich nicht an einem „Employer Lifecycle“. Sie arbeiten – unter Verwendung von Systemen, in Besprechungen, mit Prozessen. Dort wird festgelegt, wie ihre tägliche Erfahrung aussieht. Funktioniert das Intranet nicht, bleiben Entscheidungen aus und lähmt Bürokratie – so bringt ein Kulturstatement an der Wand keinen Nutzen.
Deswegen gilt: Die People Experience startet im Alltag.
Wenn Werkzeuge funktionieren. Falls es möglich ist, Entscheidungen zu treffen. Wenn die Kooperation problemlos läuft. Firmen sollten Kultur nicht länger als ein Hochglanzprojekt ansehen, sondern sie in der täglichen Arbeit erfahrbar gestalten.

Daten als Basis: Messen, nicht glauben

Veronika Birkheim bringt Erfahrungen in der empirischen Sozialforschung mit. Ihre Position ist dementsprechend deutlich: Wer nicht misst, stützt seine Arbeit auf Meinungen. Im Zweifelsfall können sie nicht belastet werden. Aus diesem Grund empfiehlt sie:
• Fluktuationsraten einer systematischen Analyse zu unterziehen

• Time-to-Productivity zu messen (Wie lange dauert es, bis neue Mitarbeitende produktiv sind?) Einführung des Employee Effort Score (Wie schwer oder leicht empfinden Mitarbeitende bestimmte Prozesse?)

• Diese Kennzahlen dienen nicht nur dem Zweck, dass sie existieren. Sie legen dar, wo es Handlungen braucht – und ob Maßnahmen Erfolg haben. Um People Experience professionell umzusetzen, sind objektive Daten anstelle von Bauchgefühl erforderlich.

Es ist besser, einen Anfang zu machen, als zehn Baustellen zu haben

Ein weiterer nützlicher Ratschlag von Birkheim : Pro Jahr sollten nicht mehr als drei Fokusbereiche festgelegt werden.
Alle anderen Optionen resultieren in Überforderung und Stillstand. HR sollte aufhören, zu versuchen, überall gleichzeitig Einfluss zu nehmen, und stattdessen lieber drei Dinge richtig umsetzen. Zum Beispiel:

• Den Onboarding-Prozess strukturieren

• Feedbackgespräche auf ein professionelles Niveau heben

• Führungskräfte in Empathie trainieren


Das entfaltet Wirkung. Da es konzentriert ist. Und da es umgesetzt wird.

Fazit: Die Bindung von Mitarbeitern beginnt nicht im HR-Bereich, sondern mit der Einstellung


Im Podcast bietet Veronika Birkheim kein Wohlfühl-Programm an. Vielmehr sollten die Botschaften für eine HR, die endlich mit dem Gestalten beginnen soll, eindeutig und unmissverständlich sein. Es ist möglich, Mitarbeiter zu binden. Aber nur, wenn Unternehmen bereit sind:

• Prozesse kritisch zu hinterfragen

• Führung neu zu gestalten

• Kultur konkret zu definieren

• People Experience als strategische Aufgabe ernst zu nehmen.

Heute kommt es nicht auf den ansprechendsten Karrierebereich auf der Website an, sondern auf die Qualität des Alltags. Wer hier überzeugt, hat nicht nur im Recruiting gute Chancen. Sondern vor allem: eine dauerhaft verbleibende Belegschaft.

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