Geht es Ihnen auch so? Sie haben viel in die Verbesserung der internen Kommunikation investiert, Ihre Mitarbeitenden lernten von Profis, Du-Botschaften in Ich-Botschaften zu verwandeln, schärften ihre Wahrnehmung und machten sich nach dem Modell von Schulz von Thun mit den möglichen vier Seiten ihrer eigenen Äusserungen vertraut. Der gewünschte Effekt trat auch prompt ein: es wird immer mal wieder harmonisch miteinander geredet.
Und trotzdem – in einer der Abteilungen hat sich immer noch keine gute Stimmung eingestellt. Das Team, welches in den letzten zehn Monaten bereits zwei Personalrochaden verdauen musste, arbeitet immer noch schleppend und uneffizient.
In vielen Unternehmen werden trotz geübter Kommunikation unterschwellige Konflikte nicht angesprochen und Auseinandersetzungen vermieden. 

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Foto von Andrew Neel

Die Angst vor dem Streit

Es gibt verschiedene Ursachen für unser konfliktscheues Verhalten. Zum einen hat das Streiten am Arbeitsplatz in unseren Breitengraden einen schlechten Ruf, es gehört nicht zum guten Ton, eine Auseinandersetzung offen auszutragen. Zum anderen halten uns oft schlechte Erfahrungen und die – berechtigte – Furcht vor den Folgen eines Streites, vom offenen Umgang mit Konflikten ab.
Behutsames Eingehen auf Befürchtungen der Mitarbeitenden ist daher in der Anfangsphase einer Konfliktbearbeitung unbedingt gefordert, damit Mitarbeitende sich auf eine Anleitung zum lustvollen Streiten einlassen können.
Die Angst vor Konflikten rührt aber nicht nur von schlechten Erfahrungen her, sondern kommt auch vom fehlenden Wissen über das Phänomen Konflikt.  Der erste Schritt zum angstfreien und konstruktiven Konfliktlösen ist daher ein verändertes Konfliktverständnis.

Konflikt = Energie

Ein Konflikt zeigt sich, wenn verschiedene Meinungen, Überzeugungen, Vorstellungen oder Erwartungen aufeinander prallen1. Solche Kollisionen sind jedoch nicht zwingend destruktiv, ganz im Gegenteil. Ähnlich wie bei einer chemischen Reaktion setzt der Zusammenstoss von verschiedenen Elementen Energie frei und lässt Neues entstehen.

Einfache Streitregeln

1) Streit ankündigen wenn man offen sagt: „ich möchte mal mit euch über dieses Thema streiten“ ist eine angespannte Situation bereits aufgelockert…

2)BATNA/WATNA …und alle haben Zeit sich zu überlegen, was die beste und schlechteste Alternative zur offenen Verhandlung ihrer Standpunkte ist

3) Lösungen überlegen alle Beteiligten schreiben aktuelle Wünsche und Bedürfnisse auf und prüfen mögliche eigene Kompromisse

4) Keine Sieger oder Verlierer konstruktive Konfliktbearbeitung ist kein Ringkampf – alle Beteiligten haben bereits durch ihre Streitbereitschaft „gewonnen“

5) Umgangsformen festlegen Jede/r hat eigene Grenzen – diese werden unbedingt respektiert und bei einer Überschreitung mit einem STOP gebremst


Unterschiedliche Sichtweisen von Mitarbeitenden sind somit kein Nachteil, sondern beinhalten das Potenzial für die heutzutage äusserst gefragte Innovationsfähigkeit. So kann ein Team, bestehend aus sehr verschiedenen Persönlichkeiten, auf viele mögliche Lösungsansätze zurückgreifen und diese für die Umsetzung von Projektaufgaben einsetzten. 
Darüber hinaus geraten Menschen, die zusammen arbeiten, in Konflikte, weil sie sich unverstanden fühlen, ihre Vorhaben durchsetzen oder unbedingt Recht haben wollen – nicht zuletzt, um ihre Stellung innerhalb der Firma zu behaupten. Wie der englische Staatsphilosoph Thomas Hobbes sagte, sind die drei Hauptgründe für Streit Konkurrenz, Mangel an Selbstvertrauen und der Drang nach Ansehen und Ruhm.

Zurückzuführen sind diese Streitmotivatoren auf unbefriedigte, elementare Bedürfnisse nach Wertschätzung und Selbstverwirklichung, wie sie Abraham Maslow2  beschreibt. Es ist für unsere physische und psychische Fitness entscheidend, dass wir uns und unsere Fähigkeiten im Job umsetzen können, dass wir an Entscheidungen, die uns betreffen, beteiligt sind und dass wir für unseren Einsatz Anerkennung – nicht nur in monetärer Form – erhalten. Werden diese Bedürfnisse über längere Zeit immer wieder nicht erfüllt, nimmt unsere Leistungsfähigkeit ab, die regelmässige Frustration macht uns aggressiv, und die Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen gerät ins Stocken.
Das Wissen um das ungenutzte Potenzial der eigenen Teamvielfältigkeit und das Bewusstsein der zentralen Bedeutung von eigenen, grundlegenden Bedürfnissen eröffnet Ihren Mitarbeitenden einen neuen Zugang zum Umgang mit Konflikten.  

Wie streite ich lustvoll?

Die Lust zum Streiten können Personalverantwortliche und Führungspersonen generieren, indem sie die Aussicht auf Möglichkeiten für das Umsetzen der eigenen Fähigkeiten und das Erreichen von gemeinsamen Zielen aufzeigen. Hilfreich ist zudem, wenn Vorgesetzte als gutes Vorbild vorangehen. Das bedeutet, dass sie Bereitschaft für ein offenes Gespräch signalisieren, dass sie selbst äussern, was für sie gut oder schlecht läuft und Verbesserungsvorschläge zur Diskussion stellen. 

Aus meiner Erfahrung mit Streitseminaren habe ich gelernt, dass ein spielerischer Umgang mit Konflikten die besten Resultate bringt. Erinnern sie sich, wie sie als Kind gestritten haben? Direkt, ehrlich und respektvoll. Kinder bis zum achten Lebensjahr sprechen offen an, was Sache ist, und fragen so lange nach, bis sie den Dingen auf den Grund kommen3. Dabei respektieren sie das Gegenüber, indem sie versuchen die andere Person zu verstehen. Gelingt dies, sind sie quitt und räumen die Angelegenheit mit einer entschuldigenden Geste aus der Welt.
Erwachsene können sich das lustvolle Streiten schrittweise wieder aneignen. Dabei ist es förderlich, sich an ein paar kindlichen Streitgrundsätzen zu orientieren, wie eine offene Haltung, aktives Zuhören, empathisches Nachfragen und der Versuch, sich in die Position des Gegenübers zu versetzen. Die nachfolgend aufgeführten Streitregeln sind ausschliesslich als Einstiegshilfe für streitwillige Teams gedacht.

Wir finden drei Gründe für den Streit in der menschlichen Natur, erstens Konkurrenz, zweitens Mangel an Selbstvertrauen, drittens Ruhmsucht.

Thomas Hobbes, 1588-1679

Nachdem sich Mitarbeitende mit der neuen Herangehensweise etwas Vertraut gemacht haben, ist es nämlich ganz wichtig, dass eigenen Regeln aufgestellt werden können. Die selbstbestimmten Streitregeln haben eine ähnliche Funktion wie ein gemeinsam verfasstes Leitbild. Mitbestimmung von Mitarbeitenden kann die Bündelung des Teameinsatzes und das zielorientierte Arbeiten enorm unterstützen. Für das Etablieren einer lustvollen Streitkultur, welche zur Steigerung der Arbeitseffizienz beitragen soll, ist es von zentraler Bedeutung, dass Mitarbeitende ihren eigenen Verhaltenskodex aufstellen, ausprobieren und wieder revidieren können. 

Die Bereitschaft zur Erarbeitung einer lustvollen Streitkultur wächst bei Ihren Mitarbeitenden nicht nur durch die Aussicht auf ein verbessertes Arbeitsklima. Es ist vor allem das Abdecken eigener Bedürfnisse wie Mitbestimmung und gewinnbringendes Umsetzen des eigenen Könnens, das Mitarbeitende motiviert. Aus unternehmerischer Sicht ermöglicht lustvolles Streiten, das Innovationspotenzial eines vielfältigen Teams ausschöpfen zu können, die Effizienz und Arbeitsleistung von Mitarbeitenden zu steigern, und die Personalmanagementkosten massiv zu senken, da Angestellte dem Unternehmen länger und engagierter verbunden bleiben.

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Quellen:
1 Simone Pöhlmann und Angela Roethe, Streiten will gelernt sein, Herder 2010: 10.
2 Abraham H. Maslow, A Theory of Human Motivation, Psychological Review 50 (1943): 370-96.
3
Monika Jonasch, Wer nicht streitet, hat schon verloren, Interview mit Mediatorin Silvia Mohnl, Wiener Journal 32 (2010): 4-9.