Problempunkt

turned off flat screen monitors on top of beige desks
Foto von Annie Spratt

Der Kläger ist als Krankenpfleger im Krankenhaus der Beklagten beschäftigt. Aufgrund einer bei ihr geltenden Dienstvereinbarung über das Tragen von Dienst- und Schutzkleidung im Krankenhaus ist er verpflichtet, während seiner Tätigkeit Dienstkleidung zu tragen. Die Dienstkleidung des Klägers weist weder eine Beschriftung noch eine ähnliche Kennzeichnung auf. Der Arbeitnehmer macht der Beklagten gegenüber Überstundenvergütung wegen Umkleide- und dadurch veranlasster innerbetrieblicher Wegezeiten geltend.

 

Entscheidung

Sowohl bei den Umkleidezeiten des Klägers als auch bei den Wegezeiten vom Umkleideraum zur Arbeitsstelle und zurück handelt es sich um vergütungspflichtige Arbeitszeit nach § 611 Abs. 1 BGB. Zu den „versprochenen Diensten“ i.S.d. Vorschrift zählt neben der eigentlichen Berufstätigkeit jede sonstige Tätigkeit, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Bei Umkleidezeiten handelt es sich dann um vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn sie ausschließlich fremdnützig ist. Im Falle besonders auffälliger Dienstkleidung handelt es sich nur dann nicht um eine ausschließlich fremdnützige Tätigkeit und damit nicht um vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer sich entscheidet, diese auffällige Dienstkleidung nicht im Betrieb, sondern bereits zu Hause an- und abzulegen. Auch bei der vom Pflegepersonal in einer Klinik zu tragenden Dienstkleidung handelt es sich nach dem BAG um besonders auffällige Dienstkleidung in diesem Sinne. Der als Pflegekraft angestellte Arbeitnehmer kann aufgrund der Ausgestaltung seiner Kleidungsstücke in der Öffentlichkeit mit einem bestimmten Berufszweig einer bestimmten Branche in Verbindung gebracht werden. Der Kläger entschied sich auch nicht dafür, die Dienstkleidung zu Hause anzulegen, sondern nutzte die von der Klinik dafür eingerichteten Umkleidemöglichkeiten. Hinsichtlich der Höhe seines Vergütungsanspruchs blieb die Klage allerdings unschlüssig.

 

Konsequenzen

Das BAG setzt damit seine Rechtsprechung zu der Frage fort, wann Umkleide- und Waschzeiten vergütungspflichtige Arbeitszeit sind (vgl. dazu Plesterninks, AuA 12/16, S. 739). Nach dieser Rechtsprechung ist die Arbeitszeit dann vergütungspflichtig, wenn sie aus Arbeitnehmersicht rein fremdnützig ist. Dabei ist zwischen dem Tragen allgemeiner und dem Tragen besonders auffälliger Arbeitskleidung zu unterscheiden. Allgemein ist das Ankleiden vorgeschriebener Dienstkleidung dann Arbeitszeit, wenn das Umkleiden zwingend im Betrieb erfolgen muss. Kann die Dienstkleidung dagegen auch zu Hause an und abgelegt werden, ist es keine Arbeitszeit (BAG, Beschl. v. 10.11.2009 – 1 ABR 54/08, AuA 2/11, S. 121). Die Dienstkleidung dürfte auch dann ausschließlich fremdnützig und daher das Umziehen als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu qualifizieren sein, wenn die Berufskleidung zwar theoretisch auch zu Hause angelegt werden kann, das Umziehen im Betrieb – z.B. wegen erheblicher Verschmutzung – aber die einzige zumutbare Möglichkeit ist (LAG Hessen, Urt. v. 30.11.2015 – 16 Sa 494/15). Ist die Dienstkleidung besonders auffällig, fehlt es nur dann an der ausschließlichen Fremdnützigkeit, wenn es dem Beschäftigten gestattet ist, die Dienstkleidung außerhalb der Arbeitszeit zu tragen, und er sich entscheidet, diese nicht im Betrieb an- und abzulegen. Nach der bisher geltenden Rechtsprechung war Dienstkleidung immer dann besonders auffällig, wenn sie ohne weiteres einem bestimmten Arbeitgeber zugeordnet werden kann, sei es durch auffällige Gestaltung oder Schriftzüge (BAG, Beschl. v. 17.11.2015 – 1 ABR 76/13, AuA 7/16, S. 437). Die vorliegende Entscheidung erweitert den Begriff der auffälligen Dienstkleidung. Danach handelt es sich auch dann um solche, wenn der Mitarbeiter aufgrund der Ausgestaltung seiner Kleidungsstücke in der Öffentlichkeit mit einem bestimmten Berufszweig und einer bestimmten Branche in Verbindung gebracht wird, wie dies etwa bei Pflegekräften der Fall ist.

Ist das Tragen von Dienstkleidung nach den vorangegangenen Grundsätzen fremdnützig, dann zählen zur Arbeitszeit nicht nur das Umkleiden selbst, sondern auch die innerbetrieblichen Wege von und zu einer vom eigentlichen Arbeitsplatz getrennten Umkleidestelle. Ebenso zur Arbeitszeit zählen ausschließlich fremdnützige Reinigungs- und Waschzeiten sowie die Entgegennahme und das Zurückgeben betriebsnotwendiger Arbeitsmittel, wenn der Beschäftigte sich entscheidet, die Arbeitsmittel bei Dienstende zurückzugeben (BAG v. 17.11.2015, a. a. O.). Auch hier gilt wiederum, dass Arbeitszeit dann nicht angenommen werden kann, wenn der Arbeitnehmer die Gegenstände auch privat nutzt, etwa bei auch privat überlassenen Mobiltelefonen (BAG, Beschl. v. 12.11.2013 – 1 ABR 59/12, AuA 7/15, S. 439).

 

Praxistipp

Die Tarifvertrags- und Arbeitsvertragsparteien haben es in der Hand, festzulegen wie Umkleide- und Waschzeiten entgolten werden. Damit können Sie per Tarif- oder Arbeitsvertrag die Zeiten und die Vergütung für das Umkleiden und Waschen pauschalieren (BAG, Urt. v. 26.10.2016 – 5 AZR 168/16, AuA 5/17, S. 309). Während Tarifvertragsparteien eine Vergütung von Umkleidezeiten auch vollständig abbedingen können (BAG, Urt. v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15), könnte es bei arbeitsvertraglichen Pauschalvereinbarungen erforderlich sein, analog der Rechtsprechung zur Abgeltung von Überstunden die maximalabzugeltende Umkleidezeit vorzusehen.

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 6/18, S. 376.