Problempunkt

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Foto von Carlos Muza

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Beschäftigung in der Nachtschicht (21:00 bis 05:00 Uhr). Der 1967 geborene Arbeitnehmer ist bei der Beklagten seit 1991 als Maschinenbediener tätig. Seit 1994 leistete er zunächst Wechselschicht (Frühschicht/Spätschicht), seit 2005 wurde er fast ausschließlich in der Nachtschicht eingesetzt und verdiente dort 4.100 Euro brutto/Monat. In den Jahren 2013 und 2014 war der Kläger jeweils an 35 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Zwischen dem 2.12.2014 und 26.2.2015 war er aufgrund einer suchtbedingten Therapiemaßnahme arbeitsunfähig. Ab 10.3.2015 wurde er wieder in der Nachtschicht beschäftigt. Am 25.3.2015 fand ein sog. Krankenrückkehrgespräch statt, das von der Beklagten nicht als Maßnahme des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) ausgestaltet wurde. Darin wies die Beklagte an, dass der Kläger seine Arbeit ab 7.4.2015 in Wechselschicht zu erbringen habe.

Der Kläger meint, die Anordnung sei bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte vor der Maßnahme kein BEM durchgeführt habe. Sie entspreche nicht billigem Ermessen, da seine Interessen an der Beibehaltung der Nachtschicht nicht hinreichend berücksichtigt wurden (u.a. Verlust von Nachtzuschlägen i.H.v. ca. 1.000 Euro/Monat). Die Beklagte meint, eine Dauernachtschicht sei generell gesundheitlich belastender als jede andere Arbeitszeit. Deshalb habe sie mit der Versetzung prüfen dürfen, ob sich die gesundheitliche Situation des Klägers bei einem Einsatz in der Wechselschicht verbessere. Außerdem sei der Kläger bei Fehlzeiten in der Wechselschicht leichter ersetzbar als in der Nachtschicht. Das ArbG wies die Klage ab, das LAG gab ihr statt.

 

Entscheidung

Das BAG hob das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück (§ 563 Abs. 1 ZPO). Die Leistungsklage ist zulässig (§ 259 ZPO) und hinreichend bestimmt.

Im Arbeitsverhältnis besteht grundsätzlich ein Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung. Der Arbeitnehmer ist nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB nicht – auch nicht vorläufig – an eine Weisung des Arbeitgebers gebunden, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt (BAG, Urt. v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, AuA 12/17, S. 729). Vorliegend ergab sich nur ein Anspruch auf Einsatz in der Nachtschicht nicht aus dem Arbeitsvertrag oder einer entsprechenden Konkretisierung (vgl. BAG, Urt. v. 13.6.2012 – 10 AZR 296/11, NZA 2012, S. 1154). Die Annahme des LAG, bei der Maßnahme handele es sich nicht um eine Versetzung i.S.d. §§ 99 ff., 95 Abs. 3 BetrVG, so dass eine BR-Beteiligung entbehrlich war, ist nicht zu beanstanden.

Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme des LAG, die Grenzen des billigen Ermessens gem. § 106 GewO, § 315 Abs. 1 BGB seien schon überschritten, weil der Arbeitgeber kein BEM i.S.v. § 84 Abs. 2 SGB IX und auch keine gleichwertige Maßnahme durchgeführt habe. Zwar war der Kläger länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, so dass die Voraussetzungen des BEM vorlagen und der Arbeitgeber die Initiative hätte ergreifen müssen, die durch das Krankenrückkehrgespräch nicht erfüllt wurden (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, AuA 11/15, S. 680). Die Durchführung eines BEM i. S. v. § 84 Abs. 2 SGB IX ist aber keine formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung i. S. d. § 106 GewO – wie auch einer Kündigung i. S. d. § 1 KSchG (BAG, Urt. v. 13.5.2015 – 2 AZR 565/14, AuA 7/16, S. 439). Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Anordnung auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen.

Maßgeblich ist allein, ob die Weisung des Arbeitgebers im Ergebnis insgesamt billigem Ermessen i.S.v. § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB entspricht. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Mangels hinreichender Feststellungen der Vorinstanz zu diesen Umständen konnte das BAG nicht abschließend entscheiden und musste zurückverweisen. Auf zwei Punkte wies das BAG dabei besonders hin:

– Nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen ist (Dauer-)Nachtarbeit grundsätzlich für jeden Menschen schädlich und hat negative gesundheitliche Auswirkungen (BAG, Urt. v. 9.12.2015 – 10 AZR 423/14, AuA 8/16, S. 486).

– Nachtzuschläge sollen die besonderen Erschwernisse durch die Nachtarbeit ausgleichen und diese Erschwernisse/Zuschläge entfallen mit dem fehlenden Einsatz in der Nachtschicht (BAG, Urt. v. 10.10.2014 – 10 AZR 63/14, NZA 2015, S. 483).

 

Konsequenzen

Nach der Entscheidung ist geklärt, dass es vor einer Versetzung nicht der (erfolglosen) Durchführung eines BEM als formelle Wirksamkeitsvoraussetzung bedarf. Es würde dem in § 84 Abs. 2 SGB IX zum Ausdruck kommenden Präventionsgedanken widersprechen, wenn der Arbeitgeber eine aus gesundheitlichen Gründen gebotene Umsetzung, die auch ansonsten billigem Ermessen entspricht, nicht vornehmen dürfte, nur weil er kein BEM durchgeführt hat. Für die Überprüfung der Wirksamkeit einer Weisung sind auch keine kündigungsrechtlichen Maßstäbe anzulegen, diese bestimmen sich vielmehr allein entsprechend der gesetzlichen Vorgabe nach § 106 GewO, § 315 BGB. Diese Voraussetzungen hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Versetzungsanordnung – spätere Entwicklungen bleiben unberücksichtigt.

 

Praxistipp

Da es im Rahmen des Direktionsrechts auf eine Interessenabwägung ankommt, ist es wichtig, dass der Arbeitgeber die Belange des Arbeitnehmers kennt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt – sonst könnte die Weisung unbillig sein. Die Kenntnis kann der Arbeitgeber auch außerhalb eines BEM durch ein Krankenrückkehrgespräch o.Ä. erlangen.

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 2/18, S. 182f.