1. Mit Ratschlägen sind Sie oft nicht gut beraten

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Gerade in der HR-Arbeit haben Personalentwickler und HR Business Consultant ihre liebe Mühe damit, die „passenden“ Ratschläge für ihre Führungskräfte zu formulieren. Warum? Weil viele Führungskräfte alles brauchen können – außer gute Ratschläge von der HR Abteilung. Weil viele Führungskräfte generell davon ausgehen, selbst die besten Ideen zu haben. Und schließlich: Weil Ratschläge eben fast nie passen – egal für wen auch immer.

Ich erlebe jeden Tag in den HR Abteilungen der von mir begleiteten Unternehmen, dass das wichtigste Instrument der HR Verantwortlichen in der Zusammenarbeit mit deren Kunden, den Führungskräften, ihre Sicherheit ist. Oder anders formuliert: Je sicherer sie auftreten, umso höher ist die Chance auf Erfolg im Begleitgespräch. Was bedeutet: Es lohnt sich allemal, jedem Glatteise möglichst auszuweichen und die Beratung möglichst einfach zu halten.

2. Welche Voraussetzungen im Relationalen Coaching eine „einfache Beratung“ sichern

Insgesamt sieben Voraussetzungen habe ich bisher aus meiner persönlichen Coaching-Praxis als förderlich für das Führen von Begleit-Gesprächen erlebt (und wer weiß, welche Sie entlang Ihrer persönlichen Erfahrungen entdecken werden!):

  1. Lethologische Begabung
  2. Vertrauen und Wertschätzung
  3. Eigene Ideen ansprechen – und loslassen können
  4. Unterstützung anderer auf deren Wegen
  5. Dissoziieren
  6. Geduld
  7. Eigene Lernbereitschaft beim HR-Verantwortlichen


2.1. Lethologische Begabung

Lethologie ist nach Heinz von Foerster die Lehre des Nichtwissens (von Foerster, 2002: 305 ff). Es geht dabei um die Verwandlung des scheinbar „Wissenden“ in einen Menschen, der sagt: „Ich besitze mit Sicherheit nicht den letzten Stein des Weisen. Kann ich Sie dabei unterstützen, eine Lösung zu finden, die aus Ihrer Sicht zur Situation passt?“

Coaches – vor allem im HR Kontext – brauchen meiner Erfahrung nach eine ausgeprägte lethologische Begabung. Sie gewöhnen sich an den Gedanken, dass das, was wir für den anderen gut finden, für diesen nicht selten das Gegenteil von „gut“ ist und das eigene Wissen nun einmal weder zur Denkstruktur noch zum Erfahrungsspektrum eines anderen Menschen passen kann. Und wer das alles für Unsinn hält, wer davon ausgeht, dass doch „effektive Erfahrung jedenfalls genutzt werden sollte“, dass es doch „überhaupt keinen Sinn mache, Wissen künstlich zurück zu halten“, der sei sanft nochmals daran erinnert, dass er doch all diese Erfahrungen anbieten kann, aber damit rechnen sollte, dass die Führungskraft damit nicht sonderlich glücklich sein könnte!

 

2.2. Zutrauen und Wertschätzung

Die Relationale Haltung bedarf meiner Ansicht nach eines durchgängigen Vertrauens in die (Denk-) Fähigkeiten der Führungskraft: Wir gehen davon aus, dass er eine Lösung gestalten kann. Warum sollten wir auch nicht davon ausgehen?

Dennoch merke ich sehr häufig, dass vor allem Coaches, die noch nicht lange „im Geschäft sind“, dieses Zutrauen schwerfällt – daher gehe ich an dieser Stelle nochmals eigens darauf ein.

Aber auch die Wertschätzung ist meines Erachtens ein wichtiges Thema: Nicht eine „Empathie“, das klassische „Verstehen wollen“ aus dem traditionellen Coaching meine ich damit, sondern vielmehr die Wertschätzung gegenüber der Führungskraft,

  • dass er überhaupt einen Termin mit dem HR Consultant gemacht hat,
  • dass er das Thema, um das es für ihn geht, nun aktiv angeht, und
  • dass für ihn die augenblickliche Situation gar nicht so einfach sein könnte.

Wir brauchen dabei nicht „mitzuleiden“ – sondern meines Erachtens vielmehr anzuerkennen, dass das in Ordnung ist, was gerade stattfindet! Auch hier habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir häufig auf diese Anerkennung vergessen, ja, dass wir sogar das Thema kleinreden: „Aha, Sie sind also recht unzufrieden mit Ihrem aktuellen Job. Na ja, das ist ja gar nicht so schlimm“. Oder dass wir die Tragweite kleinreden: „Oh, Sie beschäftigen sich seit 3 Monaten damit, dass Sie mit Ihrem Mitarbeiter nicht klarkommen! Das erledigen wir hier in maximal einer Stunde!“.

 

2.3. Eigene Ideen ansprechen, aber auch loslassen

Es ist verständlich, dass Coaches – sie sind ja Menschen! – auch eigene Ideen zu anstehenden Themen haben. Ich halte viel davon, solche Ideen einfach auszusprechen – allerdings vielleicht dann elegant verpackt in einer hypothetischen Frage („Angenommen, ich hätte die Idee, dass es in dieser Situation etwas ganz Anderes braucht – dass Sie sich in den vergangenen Tagen schlicht verrannt haben – was würden Sie dann sagen?“ (Die Antwort der Führungskraft könnte dann sein: „Dann würde ich sagen, „Nein, ich habe mich nicht verrannt!“) oder „Angenommen, es käme jetzt hier jemand herein, mit dem wir beide nichts zu tun haben – jemand aus der Nachbarabteilung zum Beispiel – und würde Ihnen sagen, dass Sie einen viel einfacheren Prozess dafür gestalten könnten: Was würden Sie ihm antworten?“ (Dann könnte die Führungskraft auch sagen, „Ganz ehrlich? Einfacher geht es bestimmt nicht!“), oder „Welche Weichen würden Sie denn anders stellen, wenn Sie keinen weiteren Mitarbeiter bekommen würden – was wäre dann wichtig, in Richtung Prozessgestaltung zu tun?“ – und die Führungskraft könnte antworten: „Keine! Denn dann wäre der Job für mich nicht mehr interessant“).

Was ist zentral aus meiner Sicht?

  • Nun, zentral ist aus meiner Sicht, dass wir alles ansprechen, was sich uns an Ideen oder Erfahrungen bietet. Warum denn nicht?
  • Aber genauso zentral finde ich, dass wir mit der Antwort der Führungskraft leben können – dass wir nicht darauf bestehen, dass wir mit unseren Ideen Recht haben – etwa in der Art „Sie wissen es noch nicht: Aber das ist in Wirklichkeit Ihr großes Problem!“

Im Coaching müssen wir wohl davon ausgehen, dass nicht (nur) unser eigener Weg „nach Rom führt“, sondern dass es auch andere Wege und Möglichkeiten gibt (sodass auch Sie als Coach etwas lernen können).

2.4. Unterstützung anderer auf deren Wegen

Coaching wird für die Unterstützung der Führungskraft bei deren Zukunftsgestaltung angewendet. Daher dreht sich das Gespräch stets um die Sicherung von Ergebnissen, die der Coach „gut findet“, um dessen nächsten Schritt, um dessen Konzeptgestaltung.

Es geht nicht darum, der Führungskraft etwas „reinzudrücken“ („Ich weiß, was Sie brauchen. Immerhin blicke ich auf 15 Jahre Erfahrung zurück“), ihm auf dem Wege des Coachings vielleicht sogar ein paar weitere Probleme „zu machen“, etwa in der Form: „Das ist ja interessant, dass Sie mir das so einfach und schlicht erzählen. Ich habe den Eindruck, dass Sie noch ein viel größeres Problem haben – denn ich sehe jetzt schon vor mir, wie Ihr Chef auf Ihre Intervention reagieren wird, egal, was Sie sagen und wann Sie es sagen; und im Prinzip bekommen Sie ein noch viel größeres Problem wenn wir den Gedanken konsequent zu Ende denken. Um ehrlich zu sein: Nein, ich sehe eine noch viel, viel größere internationale Tragweite! Ich weiß gar nicht, wo wir hier anfangen sollen. Es scheint, als wäre das Thema nicht zu lösen.“

Wer konsequent bei der Ausarbeitung  der optimalen Zukunft der Führungskraft bleibt und respektiert, dass es sich dabei nicht um das eigene Leben handelt; und wer vor allem versteht, dass er ohnehin nichts von dem verstehen wird, was für die Führungskraft gut ist, hat meiner Erfahrung nach schon die halbe Miete in der Begleitung eingebracht!

2.5. Dissoziierung

Auch wenn wir noch so oft in der Begleitung denken: „Ach ja! Das Thema kenne ich. Genau dasselbe hatte ich auch vor 5 Jahren!“: Der Einfachheit halber sollten wir meines Erachtens davon ausgehen, dass die Themen, die uns „so ähnlich erscheinen wie unsere eigenen“ auch tatsächlich nur „so ähnlich klingen“, und meist meilenweit von den „tatsächlichen“ Themen der Führungskraft entfernt sind. 

Ich weiß, wie schwierig es ist, zu dissoziieren, also „ein aktuell erlebtes Ereignis bewusst von eigenen erlebten Erfahrungen abzuspalten“: Denn allein wenn es der Führungskraft gelingt, einige Beschreibungen so zu formulieren, dass sie Ihren Erlebnissen ähneln, sind wir oft – schwupps! – schon  mittendrin im eigenen Erlebnis und erleben genau das, was wir damals erlebt haben. Und das kann durchaus sehr problematische Auswirkungen in der Begleitung haben:

Wenn Sie sich wieder in die alte Situation zurückversetzt fühlen und diese als sehr unangenehm erlebt haben, dann kann es Ihnen leicht passieren, dass Sie auch (wieder) den Eindruck gewinnen, Sie könnten „nichts tun“ – und das kann Sie – gelinde gesagt – leicht handlungsunfähig machen.

Wenn Sie den Eindruck haben, die Situation wäre nicht anders als jene gewesen, die Sie damals (gut) bewältigt haben, dann werden Sie leicht in Versuchung kommen, der Führungskraft genau das zu empfehlen zu tun, was Sie damals auch getan haben – und das macht meines Erachtens keinen Sinn.

Sie merken also: Diese Dissoziierung, von der ich hier spreche, macht durchaus Sinn, um ein professionelles Coaching zu gestalten.

Wie Sie das in der Praxis schaffen? Nun, hier habe ich mehrere Ideen aus meiner Erfahrung – wer weiß, ob diese bei Ihnen funktionieren:

  • Legen Sie sich ein Mantra zurecht, das da lautet: „Was immer ich höre, klingt nur so ähnlich wie das, was ich selbst schon erlebt habe“, und: „Es hat nichts mit mir zu tun.“
  • Bleiben Sie noch konsequenter beim Fragenstellen „aus einer kindlichen Haltung heraus“, damit Sie weniger verleitet werden, „gute Ideen zu haben“.
  • Beginnen Sie Ihre Fragen gerade in Fällen, in denen Sie ein „Déjà vu“ haben, mit, „Ich habe ja keine Ahnung…“ – etwa so: „Ich habe ja keine Ahnung – wie könnte denn das optimal für Sie sein?“ oder „Ich habe ja keine Ahnung – woran würden Sie denn erkennen, dass es optimal für Sie ist?“
  • Sprechen Sie das Thema notfalls bei der Führungskraft an: „Oh, ich merke gerade, dass dieses Thema offensichtlich auf eine Erinnerung in meinem eigenen Leben trifft. Da muss ich jetzt aber wirklich gut aufpassen, dass ich nicht meine damalige mit Ihrer jetzigen Situation verwechsle!“ Meine Erfahrung ist: Sobald Sie Ihre Befürchtung ausgesprochen haben, trifft Sie diese nicht mehr so vehement!


2.6. Geduld

Wer den anderen zum Nachdenken bringen will; wer will, dass der andere neue Perspektiven einnimmt, die Welt von einer anderen Seite aus sieht, neue Gestaltungsmöglichkeiten findet und erfindet und neue Ideen entwickelt; der braucht auch Geduld mit dem anderen. Diese besteht nicht etwa darin, auf die Führungskraft ohne Unterlass einzureden; sondern vielmehr darin, den eigenen Redeanteil zu senken. Es reicht meiner Erfahrung nach, eine „perfekt passende“ Frage (dazu später) zu stellen und dann den Mund zu schließen. Und zwar so lange, bis die Führungskraft eine Antwort für sich gefunden hat!

Hier gilt also: Weniger ist mehr. Ich habe durchaus in den vergangenen Jahren manchmal schon mehr als 15 oder 20 Minuten auf eine Antwort gewartet – aber diese veränderte dann nachhaltig den Horizont und Denkrahmen meines Gegenübers.

 

2.7. Bei jedem Gespräch lernt (auch) der HR Verantwortliche

Coaches  können jedes Coaching nutzen, um auch selbst zu lernen –

  • noch präzisere Fragen zu stellen, die noch genauer den Punkt treffen,
  • noch bessere Sparringpartner-Dienstleistung gegenüber der Führungskraft zu erbringen,
  • das eigene Wissen zu erweitern und
  • sich als HR Verantwortlicher noch beliebter und nachgefragter zu machen.

Wer sich häufig dabei ertappt, nach einem Begleit-Gespräch zu denken, „Spannend, diese Ideen: Darauf wäre ich nie gekommen“, ist daher nach dieser Definition auf einem guten Weg…

Webtipp

Sonja Radatz

Einfach beraten.

Mit einem Extra-Teil für HR Business Consultants!

Verlag Relationales Management 2018, 336 Seiten

ISBN 978-3-9504559-0-8