Dr. Hermann, Sie betreuen als Sportpsychologe unter anderem deutsche Olympioniken und Nationalmannschaften, wie muss sich der Laie Ihre Arbeit mit den Spitzensportlern vorstellen?

man using MacBook Air
Foto von Alejandro Escamilla

Dr. Hans-Dieter Hermann: Vor allen Dingen sehr abwechslungsreich. Die Inhalte und Methoden sind genauso unterschiedlich wie die Menschen und Teams, mit denen ich zusammenarbeiten darf. Das macht sicher auch den Reiz meiner Arbeit aus. Die Inhalte reichen von Diagnostik, mentalen Trainingsformen, therapeutischen Maßnahmen bis hin zu Teambuilding und Leadership. Dabei geht es nicht nur um die Athleten selbst, sondern auch um die Zusammenarbeit mit ihren Trainern und Physiotherapeuten, zum Teil ist auch das private Umfeld einbezogen.


Worin unterscheidet sich das mentale Coaching von Einzelsportlern und Hochleistungsteams?

Dr. Hans-Dieter Hermann: Ein wichtiger Unterschied liegt sicher in der Komplexität des Gebildes. Zwar sind auch Einzelsportler meist Teil eines Teams, aber im Einzelsport kann sich ein komplettes Betreuerteam ganz auf ihre Bedürfnisse ausrichten. Im Mannschaftssport gilt es, viele Freiheitsgrade und Interessen unter einen Hut zu bringen und gegeneinander abzuwägen. Daraus entstehen sensible Gleichgewichte, die Begleitung und manchmal Korrektur benötigen.


Was hat Sie dazu bewogen, zusätzlich zu Ihrer Tätigkeit als Sportpsychologe, Führungskräfte-Coach für Unternehmen, Institutionen und Berufsverbände zu werden?

Dr. Hans-Dieter Hermann: Das hat sich fast automatisch ergeben, weil mich Führungskräfte aus dem Umfeld des Sports angesprochen haben, ob ich mit einer ganz ähnlichen Thematik auch bei ihnen im Unternehmen aktiv werden könnte. Wenn man sich die Themen im Sport und im Wirtschaftsleben anschaut, stellt man fest, dass es eine große Schnittmenge gibt. Ein Punkt eint die beiden Bereiche besonders: der Verdrängungswettbewerb erfordert in beiden Bereichen, sich ständig weiterzuentwickeln und Vorergebnisse zu toppen. Der wichtigste Grund aber war und ist: ich mag es einfach, Menschen in Beanspruchungssituationen zu unterstützen und sie ein Stück ihres Lebens von psychologischer Seite her zu begleiten.


Von welchen Erkenntnissen der Sportpsychologie können Unternehmen in der freien Wirtschaft denn profitieren?

Dr. Hans-Dieter Hermann: Sport- und Wirtschaftspsychologie spielen mit ihren Erkenntnissen und Forschungen Ping-Pong miteinander. Beide können sich immer wieder Beispiele im Feld des anderen suchen und davon profitieren. Die Wirtschaft kann vom Sport in erster Linie eine Menge lernen in puncto „Verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen“ beziehungsweise „Regeneration“, „Motivation“, „Führung“ und „Teamdynamik“.


Kann man überhaupt das Teamwork in der Arbeitswelt und das im Spitzensport miteinander vergleichen?

Dr. Hans-Dieter Hermann: Selbstverständlich, auch wenn es natürlich Unterschiede gibt, deshalb muss man auch differenzieren. Das gilt aber beim Vergleich von Sport und Arbeit nicht mehr und nicht weniger als beispielsweise beim Vergleich von Bayern München und Borussia Dortmund oder Fußball und Hockey. Jedes Team, jedes Umfeld hat eine eigene eigene Kultur und Dynamik und es ist immer wieder von neuem eine Herausforderung, genau die Instrumente zu finden, die zu der jeweiligen Kultur passen.


Welche Faktoren sind für den Erfolg und die Harmonie in einem Team besonders wichtig?

Dr. Hans-Dieter Hermann: Individuelle Leistungsbereitschaft und Vertrauen – ohne diese Faktoren gibt es mittel- und langfristig keinen Erfolg. Vertrauen ist das zentrale Thema. Gegenseitiges Vertrauen ist eine wichtige Basis um sich Entfalten zu können und mutig mit neuen Herausforderungen umzugehen. Und nicht zuletzt spart Vertrauen auch viel Energie, weil gegenseitige Kontrollmechanismen weitgehend überflüssig werden – dadurch bleibt mehr Energie für andere Themen übrig. Bei der Harmonie ist es etwas anderes: Sie ist wichtig und prinzipiell anzustreben, komplette Harmonie kann aber unter ganz bestimmten Umständen auch Entwicklungen beeinträchtigen.


Und im Umkehrschluss: Was sind häufig auftretende Probleme, die Teams belasten?

Dr. Hans-Dieter Hermann: Wenn ich Sie wörtlich nehme, kommen wir mit dem Umkehrschluss ganz direkt von Vertrauen auf Misstrauen. Oft entsteht Misstrauen beispielsweise aus mangelnder Kommunikation oder falschen gegenseitigen Erwartungen, somit ist es auch relativ leicht, etwas dagegen zu unternehmen, zumindest dann, wenn alle Beteiligten bereit sind, daran mitzuarbeiten.

Darüber hinaus kann auch die verantwortliche Führungskraft zum Problem werden. Zum Beispiel in dem sie gar nicht führt oder ihre Führungsrolle falsch interpretiert. Das kann ganz unterschiedliche Konsequenzen haben. Aber ein starkes Team ohne eine starke, also entscheidungsfähige und prinzipiell veränderungsbereite Führungskraft, ist auf Dauer kaum denkbar.


Sie begleiten die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Herren seit 2004, vor vier Jahren wurden Sie mit dem Team unter Trainer Joachim Löw Weltmeister. Was zeichnet den Führungsstil Löws aus und was können andere Führungskräfte von ihm lernen?

Dr. Hans-Dieter Hermann: Joachim Löw hat in seiner Karriere als Chef-Bundestrainer 11 ½ Jahre fast nur Erfolge feiern können. Oft wurde sein Führungsstil daher als beispielhaft für die Wirtschaft bezeichnet. Nach dem frühen Ausscheiden bei der Weltmeisterschaft in diesem Sommer in Russland, musste Joachim Löw auch viel Kritik in der Öffentlichkeit einstecken. Nichtsdestotrotz ist sein Stil, der auf Vertrauen, gegenseitiger Kommunikation, Zielorientierung, Verantwortungsübernahme und Bescheidenheit beruht, die erfolgversprechendste Möglichkeit, Menschen zu inspirieren, jeden Tag ihr Bestes zu geben, um gemeinsam immer wieder neue Ziele anzustreben.


Worauf müssen Arbeitgeber oder Führungskräfte achten, wollen sie ihre Teams mit mentalem Coaching stärker machen?

Dr. Hans-Dieter Hermann: Es gibt in diesem Bereich viele qualitativ hochwertige Angebote aus ganz unterschiedlichen Schulen bzw. mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Etwas ist angebotsübergreifend ganz besonders wichtig: Teambuilding, -entwicklung und -stabilisierung benötigt mehr als einen gemeinsamen Workshop. Es ist ein langfristiger Prozess, der vor allem im beruflichen Alltag viel Engagement und Disziplin erfordert und der durchaus auch Rückschläge mit sich bringen kann. Dementsprechend sollten gute Angebote langfristig konzipiert sein und sich dabei differenziert und flexibel an Veränderungen im Team und bei den Rahmenbedingungen anpassen können.

Dr. Hans-Dieter Hermann ist seit 30 Jahren als Sportpsychologe im Hochleistungssport und als Coach in Unternehmen tätig. Zu seiner Klientel gehören neben Leistungssportlern, Profiteams und Trainern auch Politiker und Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft. Bekannt wurde er vor allem durch seine langjährige Tätigkeit bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Davor betreute er, unter anderem die österreichischen Skirennläufer, die deutschen Turner, Boxer und Hockeyspieler. Er ist Co-Geschäftsführer und Inhaber der „Coaching Competence Cooperation“, einem Beratungs- und Diagnostikinstitut, dessen Schwerpunkt die Optimierung der Leistungsvoraussetzungen von Verantwortungsträgern und Teams ist. Der Förderpreisträger der Deutschen Gesellschaft für Psychologie unterrichtet als Honorarprofessor an der Universität Tübingen und war mehrfach als Experte bei Olympischen Spielen für das Zweite Deutsche Fernsehen aktiv.