Sie haben viele Jahre für große Unternehmen im Management und im Marketing gearbeitet. Warum haben Sie sich irgendwann dafür entschieden, in die Beratung zu wechseln?

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Foto von Antenna

Als Linienmanager war es mein Ziel, den Mitarbeitern dabei zu helfen, sich weiterzuentwickeln. Ich dachte immer, dass ich dabei einen guten Job machte. Als ich jedoch das Buch “Leadership and Self-Deception” von Arbinger las, veränderte sich meine Sichtweise von mir selbst, meinem Umfeld und den organisationsbezogenen Schwierigkeiten einschneidend. Das Buch hat mich so sehr überzeugt, dass ich mich dafür entschied, meine Karriere der Arbinger-Idee zu widmen.

Was genau hat Sie an dem Buch so beeindruckt?

Während meiner Arbeit als Manager hatte ich versucht, die auftretenden organisationalen und interpersonellen Probleme mit einer Reihe von Tools zu lösen. Manche davon erfüllten ihren Zweck, die meisten jedoch nicht. Diejenigen, die funktionierten, verpufften zumeist ziemlich schnell. Das fand ich überaus frustierend und ich hatte schon geglaubt, dass sich menschliche Probleme nicht vermeiden lassen und ich sie nicht verändern kann. Das Buch von Arbinger hat mich jedoch davon überzeugt, dass diese Probleme hausgemacht waren, ein Resultat meines eigenen Selbstbetrugs sozusagen. Mit einer klare Argumentation macht „Leadership and Self-Deception“ deutlich, dass Selbstbetrug die Ursache für nahezu alle Probleme ist, die in Unternehmen auftreten können.

Was verstehen Sie unter Self-Deception?

Self-Deception ist das Problem, dass ich nicht weiß, dass ich ein Problem habe.

Was meinen Sie damit?

Nehmen wir an, Sie und ich haben ein Problem miteinander. Wer hat wohl meiner Meinung nach das Problem verursacht?

Ich nehme an, dass Sie wohl mir die Schuld geben.

Genau. Und wer hat Ihrer Meinung nach das Problem verursacht?

Sicher haben Sie das Problem verursacht.

Richtig. Aber wir können nicht beide recht haben, oder? Eher haben wir beide das Problem geschaffen und sind nun blind für die Auswirkungen, die es hat. Verkürzt gesagt ist das Self-Deception.

Und warum sollten sich Unternehmen damit beschäftigen?

Wir alle wissen, dass das eigene Unternehmen Probleme hat. Meistens sind wir überzeugt, dass die anderen daran schuld sind. „Ich arbeite korrekt“, sagen wir uns, „er ist es, der unsere Arbeit untergräbt.” Oder: „Es gibt kein Problem in meiner Abteilung. Es liegt an seiner Abteilung.“ Es scheint so, als würden wir die Anderen so sehen, wie sie sind, aber in Wirklichkeit passen wir sie an unser Bild von ihnen an, das uns am besten dazu geeignet erscheint, unsere Handlungen zu rechtfertigen. Wenn wir an Self-Deception leiden, glauben wir die Wahrheit zu sehen, tun es aber nicht.

Wie kommt es zu Self-Deception?

Lassen Sie mich mit einem Beispiel antworten: Sagen wir, Sie und ich arbeiten zusammen und ich bin auf Informationen gestoßen, die auch für Sie nützlich sind. Trotzdem entscheide ich mich aus irgendeinem Grund dafür, Ihnen die Information nicht zu geben.

O.k., und was passiert dann?

Das stößt einen interessanten Prozess an: Noch vor kurzem dachte ich vielleicht, dass Sie eine wunderbare Person sind und eine gute Kollegin und plötzlich werden Sie für mich zu einem anderen Menschen. „Sie ist nicht vertrauenswürdig”, werde ich mir nun sagen, um meine Handlung zu rechtfertigen. „Sie gibt mir nie ihre Informationen weiter und überhaupt ist sie total unzuverlässig – wer weiß, was sie mit den Informationen wieder anstellt.“ Diese Gedanken bestätigen mich und führen dazu, dass ich auch weiterhin keine Informationen an Sie weitergebe. Am Anfang der Geschichte dachte ich, Sie wären eine Kollegin, die diese Informationen gebrauchen könnte und am Ende sehe ich Sie als Konkurrenz. Das Interessante daran: Sie haben gar nichts getan und tatsächlich hat das in Wirklichkeit nichts mit Ihnen zu tun. Alles geschah in meinem Kopf. Ich habe mir ein Bild von Ihnen gemalt und letztendlich glaube ich, das Bild sei die Realität. Dann leide ich an Self-Deception.

Welche Folgen hat das für Unternehmen?

Ich habe Ihnen nur ein Beispiel für Self-Deception genannt. Das Problem für ein Unternehmen beginnt dann, wenn die Mitarbeiter in diesen selbstgerechten Bildern gefangen sind. Wir sagen dann, sie sind “in the box of Self-Deception”. Das kann dazu führen, dass die Mitarbeiter nicht mehr den Erfolg der Organisation im Blick haben, da sie sich nur noch auf sich selbst konzentrieren. Unternehmen schädigt das vor allem deshalb, weil wir alle in gewissem Maße an Self-Deception leiden. Diese Konzentration auf das eigene Selbst betrifft fast alle Probleme, die wir normalerweise in Unternehmen beobachten – wie schwache Teamarbeit, spärliche Kommunikation, zwischenmenschliche und abteilungsübergreifende Konflikte, mangelhafte Verantwortung und Führung.

Denken Sie, Self-Deception ist ansteckend?

Hochansteckend. Sagen wir, Sie finden heraus, dass ich meine Informationen nicht mit Ihnen geteilt habe. Dann denken Sie vermutlich, dass ich unkollegial, selbstsüchtig und einfach nicht vertrauenswürdig bin. Also geben Sie mir auch keine Informationen mehr und reden bei Kollegen schlecht über mich. Das bestätigt mir noch einmal, dass es richtig war, Sie nicht zu informieren und ich werde Ihnen auch zukünftig keine Informationen mehr geben. Diese Spirale kann sich immer weiter drehen, ohne dass ein Ende in Sicht ist, da wir beide davon überzeugt sind, dass wir „die Guten“ sind. Das ist ein ganz typisches Muster in Unternehmen, das dazu führt, dass sich die Belegschaft aufspaltet und die Organisation so ihre Ressourcen vergeudet. Das kann außerdem alle möglichen neuen Initiativen und Projekte des Unternehmens völlig blockieren.

Wie sollten Unternehmen mit dem Problem der Self-Deception umgehen?

Der erste Schritt besteht darin, dass Vorgesetzte und Mitarbeiter das Problem verstehen und begreifen, wie es ihre individuelle und kollektive Performance beschneidet. Aufbauend darauf sollten sie sich auf die geschäftlichen Ergebnisse konzentrieren und lernen, auf andere Weise mit ihren Kunden, Mitarbeitern, Teamkollegen oder Managern umzugehen. Das System von Arbinger verbessert die Qualität der Businessentscheidungen, insbesondere personeller Art, wie etwa bei Einstellungen, Entlassungen oder der Leistungsbeurteilung, da es die Ergebnisse in den Vordergrund stellt. Mitarbeiter und Manger sollten sich von ihrer Selbstfixierung lösen und die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen verstehen.

Heißt das also, wir sollten einfach immer nett zu unseren Mitmenschen sein?

Nein, keineswegs. Dass ich die Bedürfnisse der anderen verstehe, heißt noch lange nicht, dass ich immer nur nett sein muss. Es ist oftmals das genaue Gegenteil. Als Manager muss ich oft Dinge tun, die nicht unbedingt nett sind, wie etwa die Mitarbeiter korrigieren oder kritisieren. Wir sagen nur, dass es wichtig ist, wie ich diese Dinge tue. Ich kann einen Mitarbeiter korrigieren, indem ich seine Bedürfnisse im Blick habe oder indem ich diese ignoriere – die Korrektur wird total verschieden sein. Wenn ich die Bedürfnisse desjenigen berücksichtige, den ich kritisiere, werde ich immer Widerstand provozieren. Das gleiche gilt für andere Managementaufgaben. Einen Mitarbeiter zu entlassen ist nie nett, aber Manager können Entlassungen nicht vermeiden. Es gibt jedoch auch hier zwei Wege: Ich kann den Mitarbeiter sofort rauswerfen oder ihm eine überlegte und daher weiche Landung ermöglichen. Harte Verhaltensweisen sind für Manger unumgänglich, aber wenn sie sich aus ihrer eigenen “Kiste” herausbewegen, sind sie effektiver.

Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für europäische Unternehmen?

In einem Europa, das zu einem Gesamtmarkt zusammenwächst, werden mehr Unternehmen grenzüberschreitende Kunden, Partner und Lieferanten haben. Wenn der kulturelle Background sich unterscheidet, fällt es Menschen oft schwerer, gute Beziehungen aufzubauen. Wenn in internationalen Unternehmen Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturen nicht am gleichen Ort sitzen, können kulturelle Missverständnisse noch größer werden. Mit der zunehmenden Globalisierung und einer verstärkten grenzüberschreitenden Aktivität, wird es noch wichtiger für Unternehmen, alles dafür zu tun, dass sie Grenzen eindämmen und mögliche Missverständnisse aus der Welt räumen.

Interview: Stefanie Hornung und Kristin Steffen

Wie Unternehmen Self-Deception in den Griff bekommen, verdeutlicht Michael Lazan am 10. September auf der Zukunft Personal, Europas größter Fachmesse für Personalmanagement. Sein Keynote-Vortrag findet um 13.45 Uhr im Forum 6 der Halle 5.2 statt.