Ob es um Personalmarketing mit Social Media, den „Talentpool Frauen“, neue Lernmethoden oder das Jobprofils von Personalern im Wandel ging – der Engpass an Personal dominierte Vorträge, Podiumsdiskussionen und die Gespräche an den Ständen von Europas größter Messe für Personalmanagement vom 12. bis 14. Oktober.

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Foto von bantersnaps

„Der War for Talents findet wieder statt“, konstatierte Guido Schmitz-Krummacher, Managing Director von Talentory, einer Plattform, die rekrutierende Unternehmen und Personalberater europaweit zusammen bringt. Ein Kunde von Talentory habe beispielsweise ein halbes Jahr lang keinen iPhone-Entwickler gefunden. „Nur weil wir auf den europäischen Gesamtmarkt zugreifen können, ist es uns gelungen, einen zu vermitteln“ erzählte er. Bei SAP-Consultants musste bisher aber auch sein Personalberaterportal teilweise passen. „Der Markt ist praktisch trocken.“

Voll ausgebrochen sei der War for Talents jedoch noch nicht, denn es handele sich um ein demografisches Problem, das sich bekanntermaßen zuspitze. Wir werden in Zukunft – egal wie wir es anstellen – nicht mehr genügend Fach- und Führungskräfte haben“, ist Schmitz-Krummacher überzeugt. „Diesen Bedarf werden wir auch nicht über Zuwanderer decken können.“

Dr. Frank Schirrmacher,

Mitherausgeber der F.A.Z.

Das Personalwesen wird das erste Opfer der demografischen Revolution werden.“

„Erste Opfer“ der demografischen Revolution:

die Personaler

Dr. Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der F.A.Z., der

mit seinem Vortrag zur digitalen und demografischen Revolution ein so großes Publikum erreichte, dass es teilweise sogar in den Messegängen stehen musste, stieß ins gleiche Horn: „Zuwanderung ist dringend notwendig, aber sie wird nicht ausreichen.“ Angesichts einer Gesellschaft, in der die Babyboomer bald in Rente gehen und immer weniger junge Menschen nachkommen, sprach er von einer „revolutionären Energie“. Die Politik sei sich

des Problems bewusst, habe aber nicht den Mut offen darüber zu sprechen. „Ein Orkan braust auf unsere Insel heran“, so Schirrmacher. Nur wenn Arbeitnehmer bis 70 Jahre arbeiteten, sei ein sicheres Auskommen im Alter zukünftig noch möglich. Da müsse die Politik handeln.

„Das Personalwesen wird das erste Opfer dieser Revolution werden“, prophezeite Schirrmacher. Es werde eine völlig neue Workforce geben: längere Lebensarbeitszeiten und ältere Mitarbeiter. Einige Unternehmen wie zum Beispiel BMW Leipzig oder RWE entwickelten zwar schon Konzepte für die Arbeitsintegration von Mitarbeitern im Alter 55 und 60plus. Doch das sei nicht genug. Ein Umdenken in punkto Lernfähigkeit älterer Menschen, Frauen in Führungspositionen und Vereinbarkeit von Beruf und Familie stehe an. „Angesichts der Verknappung der jungen Menschen wird es einen großen Wettbewerb um diese geben und eine große Debatte, wie wir mit unserer Jugend umgehen.“

Wie sich die Talentelandschaft verändert, demonstrierte auch die Expertin für Gender-Balance Avivah Wittenberg-Cox. Sie stellte klar: Die aktuelle Kluft

zwischen der Ausbildung von Frauen, die 60 Prozent der Hochschulabsolventen in Europa ausmachen, und der geringen Anzahl von weiblichen Führungskräften hat Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit nationaler Unternehmen.

Sie forderte, dass Manager bilingual werden: „Männer und Frauen sind unterschiedlich und kommunizieren unterschiedlich. Alle Manager müssen deshalb sowohl die

Sprache der Männer als auch die Sprache der Frauen sprechen und verstehen.“ Dabei gehe es nicht darum, die Frauen zu bitten, das Problem zu lösen, sondern die Unternehmensführung müsse handeln. „Es ist für Unternehmen wichtiger, die Bedürfnisse und Ansichten der Frauen kennenzulernen als Chinesisch zu lernen oder die indische Mentalität zu verstehen.“

Publikumsrenner Social Media

Gero Hesse,

Seniour Vice President HR,

Bertelsmann AG

Im Personalmarketing ist es wichtig, die verschiedenen Kanäle miteinander zu vernetzen.“

Derzeit versuchen die Personaler jedoch vor allem, sich beim Thema Social Media fit zu machen: Vorträge dazu waren die Publikumsmagneten auf dem Kölner HR-Gipfel. Prof. Dr. Christoph Beck von der Fachhochschule Koblenz hat gemeinsam mit Gero Hesse, Senior Vice President HR der Bertelsmann AG und Mitglied des Expertenteams der Unternehmensberatung embrace, den Status quo in DAX-, MDAX- und TecDAX-Unternehmen untersucht.

Die Ergebnisse ihrer Studie stellten sie bei einer Podiumsdiskussion der Zeitschrift Personalwirtschaft erstmals vor: Die Mehrheit der untersuchten Unternehmen

stehen mit ihren Social-Media-Aktivitäten im Personalmarketing und Recruiting demnach noch am Anfang. „Wir hätten schon gedacht, dass noch mehr Unternehmen aktiv bei Social Media dabei sind“, kommentierte Gero Hesse das Ergebnis. „Wenn man aber berücksichtigt, dass 2007 noch kaum ein Personaler etwas mit Facebook und Co. anfangen konnte, muss man sagen: Donnerwetter, in dem Zeitraum ist viel passiert.“

Aus der Studie ging ein Ranking hervor, das die Deutsche Telekom AG anführt. Das Unternehmen setzt vor allem auf Facebook, dem die Studienmacher ein großes Potenzial zuschreiben. Doch Bertelsmann selbst zeigt fasst noch exemplarischer, wo der Weg für Unternehmen im Social Media hinführen könnte: Die eigene Karrierewebsite „Create your Own Career“ etwa verbindet das Medienunternehmen nicht zuletzt namentlich mit einem Unternehmensprofil auf Facebook und einer Gruppe auf Xing. „Im Personalmarketing ist es wichtig die Kanäle nicht nebeneinander her laufen zu lassen, sondern sie zu vernetzen“, nannte Gero Hesse einen Ansatz der Untersuchung, den Bertelsmann bereits nahezu meisterhaft beherrscht.

Dorthin bewegen, wo die Zielgruppe ist

„Die Besucher auf der Zukunft Personal wissen heute wesentlich besser, was Social Media ist, haben aber oft noch Nachholbedarf, wenn es darum geht, wie sie etwa Xing dafür konkret nutzen können“, hat auch Stefan Schmidt-Grell, Director Product Marketing der XING AG, beobachtet. Viele Recruiter wüssten noch nicht genau, wie sie sich in sozialen Netzwerken aufstellen sollten.

Stefan Schmidt-Grell,

Director Product Marketing, Xing AG

Unternehmen müssen sich dorthin bewegen, wo sie ihre Zielgruppe finden: in die sozialen Netzwerke.“

Xing hat sein Portfolio auf diesem Gebiet vor Kurzem erweitert und das neue Angebot auf der Zukunft Personal vorgestellt: Seit einiger Zeit gibt es Unternehmensprofile, auf denen Interessierte Informationen abonnieren können. Auch der Stellenmarkt von Xing hat ein neues Gesicht bekommen: Die Netzwerkfunktionen kommen stärker zum Tragen, indem die Nutzer nicht mehr nur sehen, wer eine Stellenanzeige geschaltet hat, sondern auch wen sie vielleicht schon in der entsprechenden Firma kennen. Gleichzeitig bekommen Unternehmen, die eine Anzeige posten, eine Liste mit bis zu 20 passenden Kandidaten direkt mit der Buchung elektronisch vorgelegt.

„Wir möchten Kandidaten und Unternehmen noch zielgenauer zusammenbringen, indem wir nicht nur das Targeting weiter verbessern, sondern beispielsweise auch Jobanzeigen präsenter in andere Bereiche der Plattform wie den Unternehmensprofilen integrieren“, so Schmidt-Grell. Die Erfolge von Xing bestätigten die Strategie: Nicht nur der Vortrag von Stefan Schmidt-Grell auf der Zukunft Personal lockte viele Personaler an. Die Zahl der Recruiter auf dem Online-Netzwerk steige stetig. „Unternehmen müssen sich auf der Suche nach passendem Personal immer stärker dorthin bewegen, wo sie ihre Zielgruppe finden: in die sozialen Netzwerke.“ Außerdem könnten Personaler dort Fachkräfte ansprechen, die gar nicht aktiv suchen.

Voraussetzung sei jedoch, dass sie auch selbst etwas dafür tun. „Am erfolgreichsten sind die Unternehmen, die am besten in der Lage sind, Informationen in dem Netzwerk unterzubringen“, meinte Schmidt-Grell. Es nutze nichts, ein Unternehmensprofil oder eine Gruppe anzulegen und diese dann nicht mehr zu bestücken. „Sie müssen diesen Kanal ständig bespielen und brauchen dafür gute Moderatoren und spannenden Content.“

Vom Streetview zum Headview

Doch gerade im Kampf, um die Aufmerksamkeit der umworbenen Kandidaten steigen die Anforderungen an Unternehmen. „In ein paar Jahren werden begehrte Fachkräfte versuchen, sich digital unsichtbar zu machen“, sagte Schmitz-Krummacher von Talentory voraus, der sich seit Jahren mit dem Thema „War for Talents“ beschäftigt. Angesichts der Anfragen, mit denen der Markt auf seltene Fachkräfte losstürme seien neue Vorzeichen wahrscheinlich. „Die Entwicklung geht vom Streetview hin zum Headview“, so der Fachkräfteexperte. Es reiche in Zukunft nicht mehr aus, grobmaschige Methoden anzuwenden, diese müssten vielmehr gezielter und individueller werden.

Guido Schmitz-Krummacher,

Managing Director von Talentory

Warum sollte ein Anschreiben und ein Lebenslauf für eine Bewerbung unerlässlich sein?“

Viele Personalberater schafften ihre Datenbanken ab, weil sie zu langsam seien – auch wenn das niemand öffentlich zugebe. „Eine reine Datenbank ist heute oft schon nach wenigen Wochen total veraltet. Auch Headhunter setzen

auf digitales Networking“, so Schmitz-Krummacher. Zunehmend müssten sich die Unternehmen um die Kandidaten bewerben und nicht umgekehrt – PHP-, Front- und Backend-Entwickler etwa bräuchten keinen

Arbeitsplatz mehr zu suchen. „Die sprechen ein oder zwei Personalberater an und nehmen darüber die gewünschten Angebote auf“, erklärte der Talentory-Chef.

Im Bewerbungsprozess werde es noch Überraschungen geben. Manche Fachkräfte reisten heute schon nicht mehr bei den Firmen zum Vorstellungsgespräch an, sondern erledigten das erste Gespräch per Video. „Warum sollte ein Anschreiben und ein Lebenslauf für eine Bewerbung unerlässlich sein?“, fragte Schmitz-Krummacher. Videobasierte Lebensläufe würden mit den Smartphone-Anwendungen zunehmend Verbreitung finden. Auch Unternehmen könnten sich auf diesem Weg stärker kreativ präsentieren, um positiv aufzufallen.

Jobprofil der Personaler im Wandel: Vom Verwalter zum Allrounder?

Die Palette an Medien, mit denen Personaler heute versiert umgehen müssen, hat sich dementsprechend erweitert. Das lässt sich in der Personalabteilung nicht mal so nebenbei erledigen. Gefragt sind entsprechende Kapazitäten und Kompetenzen. „Die Anforderungen an die Technik und die Marketingmethoden steigen. Deshalb müssen sich Personaler ständig mit neuen Entwicklungen auseinandersetzen“, zeigte sich Gero Hesse von Bertelsmann überzeugt. Social Media einem Praktikanten zu überlassen, wie es in der Praxis nicht selten geschehe, sei der falsche Weg. Denn es gelte dabei oft spontan wichtige Entscheidungen zu treffen, wie das Unternehmen auf kritische Einträge von Mitarbeitern oder Kunden reagieren möchte.

Die Audi AG setzt deshalb auch auf den persönlichen Kontakt zwischen Spezialisten. Sogenannte Talentrelationship-Manager, die selbst Ingenieure sind, haben die Aufgabe, Fachkräfte wie beispielsweise Aggregate-Elektroniker auf der ganzen Welt ausfindig zu machen und eine Bindung zu ihnen herzustellen. „Sie sprechen die richtige Sprache“, erklärte Michael Groß, Leiter Personalmarketing der Audi AG. Das tatsächliche Recruiting komme dann meist erst nach Jahren.

„Persönlich kann heute niemand mehr alle für ein umfassendes Personalmarketing nötigen Kompetenzen in sich vereinen“, folgerte Hesse. „Deshalb müssen sich Personalchefs ein gutes Team zusammenstellen.“ Die Leute, die er einstelle, müssten auf vielfältige Weise kommunizieren können. Außerdem sollten sie den Konzern verstehen und die Unternehmenskultur transportieren.

Die Anforderungen sind also nicht wirklich neu, doch die Kommunikationsstärke wird wichtiger für Personaler. Wie sich dieser Trend weiter entwickelt, können HR-Fachleute auf der nächsten Zukunft Personal beobachten: Sie findet vom 20. bis 22. September 2011 wieder in den Hallen 2.1, 2.2 und 3.2 der Koelnmesse statt. Weitere Informationen sind unter www.zukunft-personal.de erhältlich.