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Foto von Van Tay Media

Alles beginnt mit der Suche

Erfolgreiche Übertragungen sind kein Produkt zufälliger Funde, sondern fussen auf Suchvorgängen, und zwar in einem so genannten „Problemraum“ (Nowell & Simon 1972). Dieser mentale Raum besteht aus der Annahme eines Anfangszustand (Was ist Sachlage?) und versucht einen oder mehrere Zielzustände (Was soll erreicht werden?) anzustreben. Wer vom Start weg für eine klare Faktenlage sorgt, befördert rasches Denken. Unklarheiten verlangsamen kognitive Leistungen spürbar.

Ist der Problemraum definiert, gilt es je nach Dimension des Problems einen oder mehrere Zwischenzustände auf dem Weg zum Ziel zu erarbeiten. Meilensteine für die geistige Arbeit sind die Differenzen zwischen dem Ist und dem Soll. Wer den jeweils wichtigsten Unterschied zwischen dem Anfangs- oder Zwischenstand sowie Zielzustand auflöst, löst sein Problem zusehends. Zur Auflösung braucht es Mittel, für die allerdings immer geklärt werden muss, ob sie sich unter den gegebenen Bedingungen eines Problems überhaupt anwenden lassen.

Mittel, die den Unterschied aufheben
und zur Lösung führen

Mögliche Mittel, um Sachverhalte von einem Gebiet in einem anderen anzuwenden, können die folgenden sein:

            Gegenstandsbereich | Abstraktheit | Ontologie | Genauigkeit
                   Funktionalität | Vollständigkeit | Korrektheit | Widerspruchsfreiheit
               (Plötzner, 1989)

Dazu ein praktisches Beispiel aus der Welt der Bionik: Als der Schweizer Ingenieur Georges de Mestral nach Spaziergängen in der Natur mit seinen Hunden Dutzende Male Kletten entfernte hatte, fragte er sich, was das Prinzip (Abstraktheit) dieser lästigen kleinen Früchte war, welches sie haften (Funktionalität) liess. Er legte also eine Klette unter ein Mikroskop und sah, dass sie winzige elastische Widerhäkchen (Genauigkeit) tragen, die auch bei ruppigen Entfernungsversuchen (Widerspruchsfreiheit – erschwerte Bedingungen bilden keinen Widerspruch) nicht loslassen. Er fragte sich, wie sich diese Materialeigenschaft nützlich anwenden liesse (Problemraum: Ist – Klette haftet wegen Häkchenprinzip. Soll – Wo und wie lässt sich das Prinzip anwenden?). De Mestral entwickelte daraufhin nach dem Vorbild der Klette einen textilen Klettverschluss.

Paradebeispiel: Diagnostizieren

Besonders offensichtlich ist die Notwendigkeit, Sachverhalte übertragen zu können, beim Diagnostizieren. Ein Arzt, ein Techniker oder ein Übersetzer müssen mehr oder weniger von verschiedenen Ansätzen, Standpunkten oder Perspektiven ausgehen, um urteilen zu können. Je mehr diese Fachleute zu eingeschränkten Ansichten neigen – populär gesprochen: zum Tunnelblick – desto weniger gut werden sie eine Sache beurteilen können. Im Klartext: Eine einzige, gewohnheitsmässige Sichtweise führt unter Umständen zu einer falschen Diagnose.

Eine nützliche Analyse gelingt vor allem dann, wenn schrittweise und flexibel verschiedene mittel- und unmittelbare Regeln oder Mechanismen angewendet werden. Doch Achtung: Weil jeder Mensch auf Basis seines ganz individuellen Erfahrungs- und Wissensschatz denkt, konstruiert er mental ebenso individuell. Er arbeitet stets mit seinen Perspektiven und Interpretationen. Vorgefertigte, formalisierte Modelle können ihn daher nur inspirieren.

Raus aus dem Tunnel

Planen, Probleme lösen, diagnostizieren, erklären und lernen sind kognitive Leistungen. Sie alle beruhen auf der Fähigkeit eines jedes Menschen, unterschiedliche mentale Modelle wie zum Beispiel Prozesse, Strukturen oder Gesetzmässigkeiten für ein Wissensthema zu konstruieren und entweder auf dasselbe oder auf ganz andere Themen anzuwenden (siehe Spiro & Jehng, 1990). Die grundlegende Fähigkeit zur Übertragung von Aussagen und Annahmen zwischen Sachgebieten, belegt geistige Flexibilität. Und diese ermöglicht überhaupt erst neues Wissen, also Innovation. Bestes Beispiel: Ein Autobauer überträgt ein Naturgesetz – beispielsweise die Aerodynamik einer Schwungfeder eines Mäusebussards – auf die Form seiner Kraftwagen. Im Alltag finden sich zahlreiche Beispiele solcher Wissenstransfers im kleinen Massstab: Ein Schüler schliesst von einem lateinischen Wortstamm auf die Bedeutung eines italienischen Wortes. Ein Künstler baut aus verbogenen Messern und Gabeln Kleiderhaken. Ein Manager trifft mit seinem Sohn eine Zielvereinbarung für dessen Ferienjob. Ein Versicherungsmathematiker stellt Zahlenpaare als Punkte in einem Diagramm dar.

Sprachvermögen ist das A und O

Um zu beurteilen, wie Mitarbeiter eigentlich denken und wie sie zu ihren Leistungen kommen,  empfiehlt sich, genau zu beobachten, wie sie mit Übertragungen umgehen. Das betrifft auch ihr Sprachvermögen. Wer flexibel denken will, braucht einen grossen Wortschatz, muss sauber und pointiert formulieren können. Er sollte Texte aus verschiedenen Anwendungsgebieten verstehen und für sich anwenden können (Was bedeutet etwas für mein Thema?). Und er muss eigenes Wissen und eigene Erkenntnisse korrekt verarbeiten und vermitteln können: Formalisieren, abstrahieren und präzisieren.

Am besten werden Mitarbeiter in ihrem flexiblen Problemlösungsdenken dadurch gefördert, dass ihnen Weiterbildungsthemen nicht nur eindimensional vermittelt werden, sondern indem sie erleben dürfen, wie eine Methode oder ein Sachverhalt in verschiedenen Kontexten funktioniert. Und Weiterbildungen sollten sie dazu ermuntern, mit Wissensinhalten selbständig zu spielen, statt einen vorgelegten Fahrplan abzuarbeiten. In diesen Umstand spielt hinein, dass nach Erkenntnissen der Hirnforschung nur Inhalte gut memoriert werden, die mit selbst entwickelten Thesen und Worten erarbeitet wurden („etwas mit eigenen Worten wiedergeben können“.)

Foto:  Copyright: Jürgen Hüsmert | www.pixelio.de

Wissenschaftliche Lektüre zum Thema:

Rolf Plötzner: Flexibilität im Problemlösen und Lernen
Pabst Science Publishers | 1998 | 252 Seiten
ISBN-10: 3933151619
http://d-nb.info/955263069/04