In der aktuellen Episode von HRM Hacks spricht Alexander R. Petsch mit Florian Schrodt, der bei Medbase die Bereiche Recruiting und Employer Branding leitet, über ein Thema, das für viele Personalverantwortliche wie eine Revolution wirkt: Social Recruiting unter Einsatz von Performance-Marketing-Methoden. Das Ziel: Ärzt:innen und Apotheker:innen, die als schwierige Zielgruppen gelten, effizienter und kostengünstiger zu erreichen – mit durchschlagendem Erfolg.
Was geschieht, wenn man Leads anstelle von Lebensläufen generiert? Aus welchen Gründen Bewerber:innen wie Kund:innen behandelt werden sollten und wie sich mit datenbasiertem Full-Funnel-Denken echte Erfolge im Recruiting erzielen lassen? All dies – und noch mehr – finden Sie in diesem Artikel.
Recruiting während der Krise – oder im Umbruch?
Die Schwierigkeiten im Recruiting sind bekannt: Mangel an Fachkräften, niedrige Rücklaufquote auf herkömmliche Stellenanzeigen, hohe Kosten für Personalvermittler und lange Time-to-Hire-Zeiten. Besonders in angespannten Märkten wie dem Gesundheitswesen sind herkömmliche Methoden oft unzureichend.
Florian Schrodt äußert sich ehrlich: „Unser Recruitingbudget belief sich auf über eine Million Franken – und letztlich haben wir vielleicht 100 Ärzte und Ärztinnen gewonnen. So funktioniert das nicht mehr. Ein neuer Ansatz beginnt mit einer klaren Analyse des Problems und dem Mut, alte Muster in Frage zu stellen.
Welche Bedeutung hat Full-Funnel Recruiting?
Das Full-Funnel-Recruiting nutzt erprobte Vorgehensweisen aus Marketing und Sales für die Personalabteilung. Es startet mit der gezielten Ansprache potenzieller Kandidat:innen (Top of Funnel), geht über die Lead-Qualifizierung (Middle of Funnel) bis hin zur Konversion in tatsächliche Bewerbungen und Einstellungen (Bottom of Funnel).
Das Ziel: Einen durchgängigen, datenfundierten Prozess entwickeln, der sowohl skalierbar als auch individuell anpassbar ist – und bei dem menschliche Interaktionen gezielt dort eingesetzt werden, wo sie den größten Nutzen bringen.
Vom Lead zur Einstellung: Eine Übersicht über den Medbase-Prozess
Florian Schrodt erklärt den Full-Funnel-Ansatz bei Medbase wie folgt:
1. Zielgruppenanalyse & Bildung von Hypothesen
o Wer sind die Zielgruppen? (z. B. Fachärzt:innen für Allgemeine Innere Medizin)
o Wie viele davon sind aktiv auf der Suche? Wie viele sind latent?
o Welche Kanäle werden von dieser Zielgruppe tatsächlich verwendet?
2. Pilotkampagnen mit geringem Budget
o Erste Tests auf Meta (Facebook & Instagram) mit 2.000–3.000 CHF o Zielgerichtete Ansprache basierend auf Berufstiteln, Region und Interessen
o Leads statt Bewerbungen: Kurzes Formular mit Muss-Kriterien (z. B. Facharzttitel, Sprachkenntnisse)
3. Qualifizierung mittels menschlicher Gesprächspartner
o Zunächst ein Arztgespräch im Betrieb (Vertrautheit, medizinische Terminologie, Vertrauensaufbau)
o Übergabe an einen spezialisierten Recruiter zur weiteren Konversion
4. CRM anstelle von ATS
o Kein klassisches Bewerbermanagementsystem
o Einsatz eines Candidate Relationship Management Systems (z. B. CleverConnect)
o Automatisierte Lead-Erfassung, Kommunikation über SMS & E-Mail, Status-Überwachung
5. Langfristige Bindung von Talenten
o Leads, die nicht sofort konvertieren, gelangen in einen passiven Talentpool
o Regelmäßige Kontaktpflege & Reaktivierung
Die Resultate: Kostengünstiger, rascher, individueller
Die Werte sprechen eine deutliche Sprache:
- Cost-per-Lead (CPL): rund 11 CHF für Ärzt:innen
- Cost-per-Hire (früher): 15.000–23.000 CHF pro Ärzt:in
- Einstellungen aus einer Kampagne: 10–15 bei 250–300 Leads
- Reduzierung des Recruitingbudgets: über 60 %
- Time-to-Hire: Deutlich verkürzt durch schnellere Kontaktaufnahme und Entscheidung
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor im zeitgemäßen Recruiting ist die konsequente Anwendung von Denkweisen aus Sales und Marketing – vor allem im Umgang mit Bewerbenden. Innovative Unternehmen wie Medbase nutzen einen strukturierten Funnel-Ansatz, der sich an Vertriebslogiken orientiert, anstelle von breit gestreuten Stellenanzeigen und der Hoffnung auf eingehende Bewerbungen. Leads werden gezielt generiert, qualifiziert und durch einen mehrstufigen Prozess bis zur endgültigen Einstellung begleitet.
Alles fängt dabei mit der Art an, wie Kontakte überhaupt zustande kommen. Der Einstieg für potenzielle Kandidat:innen wird bewusst niedrigschwellig gehalten, anstatt langwierige Online-Bewerbungsformulare oder die Forderung nach vollständigen Unterlagen von Anfang an zu verwenden.
Ein einfaches Formular mit wenigen Muss-Kriterien wie Berufsabschluss, Sprachkenntnissen oder der aktuellen Position genügt. Auf diese Weise entstehen Leads, die nicht nur schneller zu erreichen sind, sondern auch einfacher weiterverarbeitet werden können – ohne dass sofort ein Lebenslauf oder ein Motivationsschreiben eingereicht werden muss.
Auch die persönliche, authentische Kommunikation im Erstkontakt ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Insbesondere bei anspruchsvollen Zielgruppen – wie bei Medbase den Fachärzt:innen – hat sich herausgestellt, dass Erstgespräche besonders effektiv sind, wenn sie von Personen geführt werden, die die gleiche Sprache sprechen. Bei Medbase wird diese Aufgabe von einem Arzt des eigenen Unternehmens übernommen, der 20% seiner Arbeitszeit dem Recruiting widmet. Das sorgt für Vertrauen, Glaubwürdigkeit und hohe Konversionsraten – denn Fachgespräche auf Augenhöhe schaffen Bindung, die weit über ein klassisches HR-Gespräch hinausgeht.
Es ist jedoch nicht ausreichend, nur Leads zu generieren. Viele Interessent:innen antworten nicht auf den ersten Kontakt – oder auch nicht auf den dritten. Deswegen ist das „Dranbleiben“ ein elementarer Teil des Prozesses. Um zu einem echten Gespräch zu kommen, sind oft bis zu acht oder mehr Touchpoints notwendig: SMS, Anrufe, Follow-Up-E-Mails – all das gehört zu einem durchdachten Kommunikationskonzept. Hier kommt Technologie ins Spiel: Automatisierte Abläufe unterstützen dabei, den Überblick zu wahren und zugleich persönlich zu bleiben. Der Einsatz von SMS anstelle von E-Mail erweist sich als besonders effektiv, da SMS schneller wahrgenommen wird, eine höhere Öffnungsrate aufweist und weniger wie Werbung wirkt.
Für einen reibungslosen Ablauf des Prozesses sind eindeutige Zuständigkeitsregelungen notwendig.
Medbase hat ein Tandem-Modell implementiert: Ein ärztlicher Gesprächspartner sorgt für die fachliche Qualifizierung, während ein erfahrener Recruiter den Lead durch alle weiteren Schritte bis zur Einstellung begleitet. Der Übergang in Form eines „Staffelstab“-Modells ist nicht nur effizient, sondern gewährleistet auch, dass alle Informationen erhalten bleiben und der Prozess reibungslos sowie wertschätzend verläuft.
Auch die Methode, wie man Stellen besetzt, erfordert ein grundlegendes Umdenken. Anstelle einer starren Rekrutierung auf eine festgelegte Position erfolgt bei Medbase zunächst eine Analyse der fachlichen und persönlichen Kompetenzen des Leads, woraufhin geeignete Einsatzorte vorgeschlagen werden. Diese beratende, maßgeschneiderte Methode bietet mehrere Vorteile: Es erhöht die Genauigkeit der Besetzungen, verringert Streuverluste und vermittelt den Kandidat:innen, dass man ihnen tatsächlich Aufmerksamkeit schenkt.
Ein weiterer Aspekt, der oft nicht beachtet wird: die zeitliche Flexibilität im Recruiting-Team. Um Top-Talente zu erreichen, ist es notwendig, sich an deren Zeitfenster anzupassen. Das kann bedeuten, dass Kontaktversuche am Abend erfolgen sollten, statt sich auf die üblichen 9-to-5-Zeiten zu verlassen. Medbase reagierte darauf, indem der Recruiter seine Arbeitszeit in die Abendstunden verlegte, um zwischen 17 und 20 Uhr gezielt Termine wahrzunehmen. Das Resultat? Eine deutlich gesteigerte Erreichbarkeit, eine Zunahme von echten Gesprächen – und schließlich mehr Einstellungen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Erfolgreiches Recruiting heute heißt nicht nur, Leads zu generieren, sondern auch, sie strukturiert, empathisch und effizient zu konvertieren. Selbst anspruchsvolle Stellen im Gesundheitswesen können mit intelligenten Hilfsmitteln, transparenten Abläufen und echtem Verständnis für die Zielgruppe erfolgreich besetzt werden. Und das, obwohl die Kosten geringer und die Qualität höher ist.
ATS vs. CRM: Der Systemwechsel als Schlüssel zum Erfolg
Für den Massenbewerbungsprozess ist ein klassisches ATS (Applicant Tracking System) optimiert. Wenn man Leads jedoch wie in einem Sales Funnel behandelt, benötigt man ein CRM – ein Tool für Beziehungsmanagement.
Laut Florian Schrodt sind folgende Auswahlkriterien von Bedeutung:
• leichte Handhabung
• Prozessanpassbarkeit
• Führung von Leads aus Social Media in automatisierter Form
• Schnittstellen zu Google, Meta usw.
• Skalierbarkeit und Kontrolle der Kosten
Ein gutes CRM ersetzt den menschlichen Kontakt nicht, sondern schafft nur Raum dafür.
Leistungsorientiertes Marketing anstelle von Post & Pray
Es reicht nicht mehr aus, sich auf herkömmliche Schaltung in Jobbörsen zu verlassen, um im Fachkräftemarkt erfolgreich zu sein – insbesondere bei Zielgruppen, die keine Zeit oder Motivation haben, aktiv nach Jobs zu suchen.
Daher der tiefgreifende Wandel bei Medbase: Post & Pray ist vorbei.
Stattdessen: Social Ads, Google Ads, präzises Targeting – und das idealerweise auf Basis von Daten. Das Budget kann intelligent skaliert werden, wenn man den Cost-per-Lead kennt.
Fazit: Recruiting neu überdenken – datengestützt und beziehungszentriert
Florian Schrodt demonstriert eindrucksvoll, wie modernes Recruiting aussehen kann, das nicht an veralteten Denkmustern festhält, sondern mutig neue Wege beschreitet. Das Geheimnis? Die Zielgruppe gründlich zu verstehen, Veränderungen annehmen und ausprobieren.
Es ist kein Trend, sondern eine logische Antwort auf einen Arbeitsmarkt, in dem die Kandidat:innen bereits die Kund:innen sind: das Full-Funnel-Recruiting. Wer das nachvollziehen kann und entsprechend handelt, spart nicht nur Geld – er gewinnt vor allem die richtigen Personen für die passenden Stellen.