Ihre Strategien für ein erfolgreiches Personalmanagement im Zeichen des verschärften Wettbewerbs stellten Vertreter zukunftsorientierter Unternehmen auf der Konferenz „War for Talents 2008“ am 28. und 29. Januar in Berlin vor. Als wichtigste Handlungsfelder standen Talent Management, Employer Branding und eRecruiting im Mittelpunkt der anschaulichen Praxisbeispiele.

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Foto von Ali Yahya

„Viele Unternehmen haben zwischendurch die Hände in den Schoß gelegt“, bedauerte Prof. Dr. Volker Stein von der Universität Siegen. Anstatt sich für den absehbaren Fachkräftemangel zu wappnen, sei die Pause zwischen dem ersten Aufflammen des War for Talents in den 90er Jahren und dem sich heute ausweitenden Flächenbrand meist ungenutzt verstrichen. „Wir haben schon eins auf die Nuss bekommen und gehen jetzt – bereits angeschlagen – in die zweite Runde“, verglich Prof. Stein das Procedere mit einem Boxkampf. Mit umsichtigerem, politischem Engagement und strategischerem Unternehmer- Weitblick hätte aus der War for Talents-Version 1.0 vielleicht eine fortschrittlichere Version 2.0 entstehen können. Doch diese Chance sei vertan und werde sich für den Standort Deutschland mindestens noch eine Dekade lang rächen. „Wir müssen bescheidener werden“, konstatierte der Professor für Betriebswirtschaftslehre.

Laut Prof. Stein bedingen und verschärfen vier Entwicklungen den War for Talents: Ursache Nummer eins sei das Schrumpfen der Bevölkerung – von derzeit 82 Millionen Einwohnern auf geschätzte 60 bis 70 Millionen im Jahr 2050. Zudem stiegen die Qualitätsanforderungen an die Mitarbeiter. „Aus Kfz-Mechanikern mit Hauptschulabschluss werden Mechatroniker mit Abitur“, verdeutlichte der Referent den Trend. Erst allmählich sichtbar sei die Entstehung des Weltarbeitsmarktes, doch schon heute gelte China als größter Produktionsstandort der Welt, während Indien das Pendant dazu im Dienstleistungssektor darstelle. Last but not least wandere kontinuierlich Wissen aus Deutschland ab – ein Punkt, für den Prof. Stein langjähriges Politikversagen verantwortlich macht: Weder die Migrationspolitik mit der kaum nachgefragten Green Card für IT-Spezialisten noch die Bildungspolitik mit der Fokussierung auf Bachelor- und Masterstudiengänge an den Hochschulen seien dazu geeignet, die Wissenserosion zu verhindern. „Die neue Arbeitswelt ist noch nicht verstanden“, fasste Prof. Stein zusammen. Nach dem Motto „Weihnachten kommt immer so plötzlich!“ fühlten sich nun viele Akteure von einem eigentlich bekannten Phänomen überrumpelt.

Mittendrin in diesem Dilemma stecke das HR-Management, das allerdings auch das Zeug zum Lösen der Problemlage mitbrächte – unter bestimmten Voraussetzungen: „Der War for Talents ist durch professionelle, kontinuierliche und differenzierte Personalarbeit zu bewältigen“, gab sich der Professor überzeugt. Im HR-Management brauche es geschulte Experten in lernender Funktion, die Einfluss auf strategische Unternehmensentscheidungen nähmen und in Leitungs- und Aufsichtsratgremien präsent seien.

Die Netzgeneration ins Boot holen

Finden, überzeugen, entwickeln und binden: Wie die Praxisbeispiele der Referenten aus unterschiedlichen Branchen zeigten, haben nicht alle Unternehmen die Pause im Ring verschlafen. Mit einem kreativen Bewerber- und Talentmanagement verschaffen strategisch orientierte Personaler ihren Unternehmen günstige Positionen im verschärften Wettbewerb. Den Reigen eröffnete Tim A. Ackermann vom Softwaregiganten Microsoft. Der große Name des Unternehmens allein reiche nicht mehr aus, um den kontinuierlichen Rekrutierungsbedarf an qualifizierten Mitarbeitern zu decken, bekannte der Senior Recruitment Manager. „Auch wir müssen aktiv auf die Leute zugehen.“ Microsoft mache sich mit flexiblen Arbeitszeiten und Pensionsplänen, mit Unterstützung für arbeitende Eltern und freiwilligen Initiativen, so etwa im Bereich der Kinderbetreuung, als Arbeitgeber attraktiv. Durch globale Arbeitsplanung und Rekrutierung sei das Unternehmen zudem weltweit potenziellen Talenten auf der Spur. Besonderer Wert werde auf eine zielgruppengerechte Ansprache gelegt – die jüngsten Adressaten aus der Generation Y etwa erreiche Microsoft über Online-Netzwerke.

Schick machen für junge Ingenieure – so lautet die Devise bei Linde Engineering. Angesichts des anhaltenden Mehrbedarfs an Fachkräften sei man ganz schön ins Schwitzen geraten, erklärte Stefan Kauth, Leiter Personalentwicklung des Linde-Geschäftsbereichs: „Plötzlich Leute einstellen zu müssen funktioniert nicht.“ Hinzu komme, dass die Produkte der Linde Engineering nicht hinreichend bekannt seien. Zum Auffüllen der Reihen betreibe die Personalabteilung verstärkt internationales Recruiting. Eigens zu diesem Zweck angefertigte Länderstudien entschieden darüber, an welchem Ort das Unternehmen Flagge zeige. Außerdem setze Linde auf die eigene Ausbildung von Ingenieuren. „Die Reaktionen auf unsere projektbezogenen Traineeprogramme sind groß.“ In Kooperation mit der Berufsakademie Mannheim bietet das Unternehmen mehrere Bachelor-Studiengänge. „Die Teilnehmer arbeiten schon jetzt regelmäßig in unseren Projekten mit – das ist auch kurzfristig lohnend“, so Kauth.

Prof. Dr. Gernold Frank von der Fachhochschule Technik und Wirtschaft Berlin empfiehlt Unternehmen in die virtuelle Welt vorzudringen, um sich im War for Talents zu behaupten. Denn die „multitasking Generation“ lasse sich über Portale wie Xing, Flickr. studiVZ, Facebook, Second Life, YouTube, MyVideo, MySpace oder Clipfish erreichen. „Virales Marketing weckt Begeisterung“, weiß der Professor für Betriebswirtschaftslehre. Mit gutem Beispiel vorausgegangen seien zum Beispiel die Allianz mit ihrem Spiel Voyager oder Siemens mit seinem Portal „Challenge unlimited“. Prof. Frank verwies allerdings darauf, dass Multi-Channel-Strategien nur mit ausreichenden Kapazitäten aufgehen können. Eine große Herausforderung stecke in der „Atomisierung der Zielgruppen“, einer immer kleiner werdenden Schnittmenge an Wertvorstellungen und Interessen.

Ein Beispiel für die gezielte Ansprache der „digital natives“ lieferte auch Mike Kronfellner. Als Marketing Director von der Beratungsfirma BearingPoint fühlte sich der Referent unter den Konferenz-Teilnehmern kaum als Exot, sondern eher unter Verwandten. Kronfellner erläuterte, wie BearingPoint Podcasts als innovative Instrumente einsetze, um technikaffine Personen für sich zu gewinnen. Zu diesem Zweck entwickelte das Unternehmen Videotrailer, die über verschiedenen Aufgaben der Mitarbeiter im Unternehmen informieren. Umgesetzt wurden die Filme mit Leistungsträgern aus den eigenen Reihen: „Wir wollten uns nicht perfekt, sondern authentisch präsentieren“, erklärte Kronfellner. Die kurzen Videoclips platzierte BearingPoint auf der Plattform www.career-insight.de.

Von Konkurrenten absetzen

Fast gänzlich vom eigenen Nachwuchs zehrt die HypoVereinsbank. Das eher unbekannte Geldinstitut arbeitet daran, sich in Deutschland einen Namen zu machen und kämpft dabei gegen ein allgemein schlechtes Branchenimage. In Zusammenarbeit mit den Managern wurde deshalb eine Image-Kampagne kreiert, die sich von den Anzeigen der Mitbewerber unterschied: „Wir haben die Marke visualisiert“, erklärte der Leiter des Talent Centers, Michael Kobl. Zu sehen sind Mitarbeiter der Bank, die ihr Bewerbungsbild in die Kamera halten. Damit erwies sich die HypoVereinsbank als Trendsetter: Bereits zwei Jahre später präsentierten sich viele weitere Unternehmen mit ähnlich gestalteten Anzeigen – ein Grund, die Strategie zu überdenken. Ihre Botschaft „Wir suchen Querdenker“ verbreitet die HypoVereinsbank auch im Internet und pflegt zudem ihr unkonventionelles Image mit Aktionen wie „Recruiting am Strand“, „Golf mit Investmentbankern“, „Bayerisch Banking auf der Wies`n“ sowie „Fördern und Fordern im Kloster“.

„Was macht uns aus, was macht uns unverwechselbar?“ Diese Frage stellte sich auch bei E.ON. Obwohl als Marke bekannt, sei vielen Externen nicht klar, welche Arbeitgeberqualitäten der Energiedienstleister besitze. Um zum Top-Arbeitgeber zu werden, denke man jetzt in klassischen Marketing-Kategorien, erklärte Frank Gieth. „Der Arbeitgeber wird zur Marke, der Arbeitsplatz wird zum Produkt. Bewerber und Mitarbeiter werden zu Kunden“, erläuterte der für Marketing und Communication zuständige Personaler die neue Philosophie. Ein Meilenstein in diesem Prozess sei die Erhebung von Daten, wobei sowohl interne als auch externe Marktforschung nötig sei. Über diese Instrument ließe sich sehr viel mehr über Bewerber erfahren als in unmittelbaren Kontakt zu ihnen. Das Thema Imageanzeigen und die Diskussion über Alleinstellungsmerkmale müsse dabei relativ hoch aufgehängt werden. „Ohne den Vorstand geht es nicht.“

„Die Attention durch die Geschäftsleitung ist das A und O!“ Das betonte auch Claudia Hedler, Head of HR Development bei o2 Germany. Denn mangels Beachtung sei das Talentmanagement in ihrem Hause lange Zeit stiefmütterlich behandelt worden. Als wichtigen Punkt strich die Referentin das International Assignment heraus. Die Entsendung ins Ausland sei ein Beitrag zur Rotation der Talente und bringe Bewegung in das Unternehmen. Die Performance und das Potenzial der Mitarbeiter werde zudem in jährlichen Levelling Meetings vom direkten Vorgesetzten, dessen Kollegen und der nächsthöheren Führungskraft eingestuft.

Ohne Models, sondern mit eigenen Mitarbeitern und kreativen Köpfen beschwört die Deutsche Bahn ein neues Wir-Gefühl im Konzern. „Die Mitarbeiter waren es gewohnt, als Kostenfaktor zu gelten. Die Belegschaften der verschiedenen Geschäftsfelder fühlen sich nicht als Solidargemeinschaft“, kennzeichnete Dr. Matthias Afting, Leiter Personal- und Bildungsstrategie, die Ausgangsposition für die neue Imagekampagne. Viele verschiedene Köpfe symbolisieren auf Plakaten das vielfältige Gesicht des Konzerns, hinzu kommt ein stimmungsvoller Popsong, komponiert und performed von jungen Bahnbeschäftigten. „Alles, was wir machen, orientiert sich am Wertekodex – der gesamte Markenauftritt und auch das strategische Unternehmensleitbild“, erklärte Dr. Afting die Reichweite der konzertierten Aktion.

Mit Pressemitteilungen und Medienkampagnen suchte jüngst die Deutsche Lufthansa nach Arbeitskräften. Das Echo war enorm: „Im Jahr 2007 haben wir 132.390 Bewerbungen erhalten“, erklärte Julian Fuchs, Teamleiter HR Web Solutions. Die fachliche Qualifikation der Job-Interessenten wird im Online Assessment geprüft. Zum Einstieg dient die Internetadresse www.be-lufthansa.com. Wer den Negativ-Filter passiert, landet im Talent-Pool, in dem Führungskräfte gezielt nach qualifizierten Mitarbeitern suchen können. Insgesamt führt das Online Assessment zur Reduktion der Bewerberflut, hilft Kosten zu senken, bringt Zeitersparnis und bedeutet eine Qualitätserhöhung. Bewerbermappen, die per Post eingehen, schickt Lufthansa im Übrigen ungesehen zurück. „Wir akzeptieren nur noch digitale Bewerbungen.“

Demnächst „War for HR“?

Was ist überhaupt Talent? Es sei Aufgabe des HR-Managements, diese Diskussion zu führen, konstatierte Dr. Frank Zils. Der Senior Human Resources Manager von Johnson & Johnson gab Einblick in den „Talent Navigator“ seines Unternehmens. „Talent Management steht bei uns auf der Roadmap, es wird gelebt“. freute sich Dr. Zils, der die Wichtigkeit dieses HR Tools – auch für KMU- unterstrich: „Das ist keine „Spielwiese für die Personalentwicklung!“ Mit der Wichtigkeit des Themas steige der Anspruch an die Transparenz. Im Talent Development Plan würden individuell zugeschnittene Karrieren ermöglicht. „Entwicklungsmöglichkeiten in Unternehmen werden immer wichtiger zum Talentebinden“, ist sich Dr. Zils sicher.

Kein Konzept ist für alle geeignet; jedes Unternehmen stellt sich mit einer eigenen Strategie und differenzierten Herangehensweise dem War for Talents. In den vorgestellten Praxisbeispielen traten allerdings einige Trends zutage: Unternehmen bilden ihre Mitarbeiter zunehmend selbst aus und nutzen neue Tools zur Präsentation im Internet. Personaler müssen sich mit der Welt der „digital natives“ vertraut machen, brauchen Zahlen und Marktforschungskenntnisse. Für ein erfolgreiches Talent Management und Employer Branding benötigen sie zudem die Aufmerksamkeit und Unterstützung der Führungsriege. „Es wird wichtiger denn je, dass Personaler einen professionellen Job machen“, resümierte Dr. Zils. Angesichts dieser Herausforderungen könnte es vielleicht demnächst eine Konferenz zum Thema „War for HR“ geben. „Wir müssen die finden, die das anpacken.”

Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Veranstalters: www.everest-conference.com