Die Unternehmenskultur hat einen großen Einfluss auf die Zufriedenheit der Mitarbeitenden, auf Produktivität und Erfolg. Was sie ausmacht und wie wir sie positiv beeinflussen können, darüber haben wir mit Jörg Munkes (Geschäftsführer) und Patricia Blau, (Corporate Director) bei der GIM Gesellschaft für innovative Marktforschung gesprochen.

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Herr Munkes, Frau Blau, was war in Ihrem Unternehmen der Auslöser, sich mit dem Thema Kultur näher zu beschäftigen?

Jörg Munkes: Wir beschäftigen uns als Marktforscher ja intensiv mit den Werten von Menschen – und natürlich auch bezogen auf unsere eigene Organisation. Bei diesem Thema stößt man irgendwann unweigerlich darauf, dass die Werte, auf denen die Unternehmenskultur basiert, und das Handeln in der Organisation gegenläufig sein können. Wir sind beispielsweise ein sehr qualitätsorientiertes Unternehmen. Das wird dann problematisch, wenn wir Leistungen zu einem Preis verkaufen, bei denen sich der Einzelne fragt: Kann ich diese hohe Qualität noch liefern für den Preis, den wir dafür erzielen? Diesen Zwiespalt erleben viele Organisationen – und er bringt die Mitarbeitenden in einen Konflikt. Sie leben in einer Qualitätskultur und bekommen implizit oder explizit gesagt: „Für dieses Projekt kannst du aber nicht viel machen. Denn das gibt das Budget nicht her.“ Das ergibt ein Spannungsfeld.

Jörg Munkes, Geschäftsführer, GIM

Wie können Unternehmen mit Spannungsfeldern wie diesen umgehen?

Jörg Munkes: Diese Spannungen muss man entweder aushalten oder idealerweise auflösen. Denn Werte sollten die Richtung des Handelns vorgeben und das Fundament eines Unternehmens sein. Daher müssen sie konsistent sein.

Was geschieht, wenn man die Spannungsfelder in der Kultur nicht bearbeitet und Inkonsistenzen ignoriert?

Jörg Munkes: Wenn es Inkonsistenzen gibt, läuft der eine Teil der Mannschaft in die eine Richtung und der andere Teil in die andere. Die Unternehmenskultur ist wichtig als Richtschnur für das Handeln. Sie macht das Unternehmen für die Mitarbeitenden auch berechenbar, weil sie wissen, woran sie sich halten müssen.

Patricia Blau, Corporate Director, GIM

Patricia Blau: Die Kultur ist auch deshalb wichtig, weil man ja nur ein gewisses Maß an Dingen formal definieren kann. Kultur und Werte sind daher häufig handlungsleitend. Wir sind zum Beispiel in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Früher kannte jeder jeden. Es gab diesen GIM-Spirit. So etwas zu erhalten – ein gemeinsames Erleben und eine gemeinsame Richtschnur – dafür ist die Unternehmenskultur wahnsinnig wichtig. Gerade wenn man wie wir an verschiedenen Standorten hybrid zusammenarbeitet. Es ist wichtig zu wissen, woran wir uns orientieren und was uns zusammenhält.

Was macht eine attraktive Unternehmenskultur aus?

Jörg Munkes: Grundsätzlich haben Sie zufriedenere Mitarbeiter:innen, wenn sie eine konsistente Unternehmenskultur haben, die mit den Werten der Beschäftigten zusammenpasst. Es gibt Menschen, die klare Strukturen und Hierarchien wollen und brauchen, andere fühlen sich in Umgebungen wohler, in denen Teams Autonomie in ihren Entscheidungen haben. Was attraktiv ist, hängt also vom Individuum ab. Wichtig ist, dass die Werte der einzelnen mit der Organisation zusammenpassen.

Woran erkenne ich überhaupt die Kultur meines Unternehmens?

Jörg Munkes: Die Facetten der Kultur – also welche Werte im Vordergrund stehen – lassen sich tatsächlich sehr gut messen. Dafür gibt es Instrumente. Ansonsten macht es Sinn, sich mit der eigenen Kultur reflektiv auseinanderzusetzen. Wenn es Spannungsfelder bei kulturellen Themen gibt, dann merkt man das an der Stimmung und an den Diskussionen, die Teams führen.

Natürlich kommunizieren Mitarbeiter:innen dabei ihre Unzufriedenheit mit der Kultur nicht direkt. Niemand sagt „Wir sind zu wenig mitarbeiterorientiert“. Stattdessen geht es um konkretere Folgen der Kultur wie zum Beispiel „Warum haben wir keine höhenverstellbaren Schreibtische?“ oder „Warum ist der und der befördert worden?“ oder „Warum bekomme ich nicht mehr Gehalt?“. Hinter all diesen Fragestellungen verbergen sich bestimmte Werte – und im besten Fall ein kultureller Masterplan.

Welche Facetten hat die Kultur eines Unternehmens? In welchen Bereichen zeigt sie sich?

Jörg Munkes: Jedes Unternehmen gibt direkt oder indirekt ein Werteversprechen an die Mitarbeitenden – die Employer Value Proposition. Dieses Werteversprechen hat verschieden Facetten – zum Beispiel die Weiterbildungsmöglichkeiten, die Kolleg:innen, die Führung oder auch der Imagegewinn, den ich möglicherweise habe, wenn ich zum Beispiel sage, „Ich arbeite beim Daimler“. Diese Dimensionen müssen sich auch auf der Ebene der gelebten Werte zeigen, damit Menschen die Unternehmenskultur als konsistent wahrnehmen. Wenn mein Arbeitgeberversprechen „Mitarbeiterorientierung“ heißt, dann würde ich erwarten, dass ich das auf den Ebenen Menschen/Mitarbeitende und Führungskräfte auch bemerke.

Geschäftsleitungen und Mitarebeitende haben oft sehr unterschiedliche Meinungen darüber, wie gut ein Unternehmen Führung oder Mitarbeiterorientierung lebt. Wie sind Ihre Erfahrungen dazu?

Jörg Munkes: Wir haben bei uns gesehen, dass die Mitarbeiterorientierung nicht so hoch ist, wie wir dachten, dass sie es sei. Bei der Analyse haben wir dann gesehen, dass intern die Regeln oft nicht klar waren, nach denen Beförderungen funktionieren oder Gehälter zustande kommen. Wir sind ein Mittelständler, bei dem vieles im Diskurs oder in der Aushandlung geschieht. Teamleiterstellen schreiben wir nicht aus, sondern besetzen sie intern. Wir schauen, wer passen könnte und sprechen die Personen an. Aber das ist für die Mitarbeitenden natürlich intransparent. Ein Konzern schreibt Stellen aus, man kann sich bewerben und das hat ein höheres Maß an Transparenz. Das heißt, wir müssen einen Weg finden, Regeln transparent zu machen, aber so, dass sie zu uns passen und auch weiterhin Flexibilität zulassen.

Patricia Blau: Letztlich geht es aber auch darum, sich zu entscheiden: Welche Spannungsfelder muss ich unter Umständen aushalten und an welchen müssen wir arbeiten? Teilweise gibt es Konflikte zwischen Werten – beispielsweise zwischen Transparenz und Flexibilität. Daher ergibt sich ein Widerspruch, den wir unter Umständen aushalten müssen.

Jörg Munkes: Konflikte sind ja auch nicht zwangsläufig negativ. Ein weiterer klassischer Konflikt bei uns ist der zwischen Mitarbeiter- und Kundenorientierung. Wenn wir Kunden begeistern wollen, brauchen wir die Einsatzbereitschaft der Beschäftigten. Aber wo liegt die Grenze? Wir können sie nicht strikt festlegen und etwa sagen, dass alle immer um 19 Uhr aufhören sollen zu arbeiten. Aber: Wenn wir wissen, dass es hier ein mögliches Konfliktfeld gibt, können wir es adressieren. Es lässt sich vielleicht nicht ganz lösen. Aber wir können versuchen, negative Folgen des Konflikts zu reduzieren.

Wer treibt eigentlich die Unternehmenskultur? Muss das top-down geschehen – und welche Rolle spielen die Mitarbeitenden dabei?

Jörg Munkes: Die Unternehmenskultur wird von den Mitarbeitenden gelebt und erlebt. Aber letztlich muss sie von oben getrieben werden. Ich brauche die Unterstützung von der Geschäftsführung. Denn sie entscheidet über die Regeln und damit letztlich auch über das Verhalten. Allerdings müssen die Mitarbeitenden mitgehen bei der Kultur. Wenn ich nur Menschen beschäftige, die flache Hierarchien wollen, kann ich schwer sieben Hierarchieebenen durchsetzen. Aber wir können eine Kultur weder gegen die Unternehmensführung noch gegen die Mitarbeitenden durchsetzen. Sie lässt sich auch nicht am Reißbrett entwerfen. Denn es geht ja auch darum, die unterschiedlichen Strömungen in der Belegschaft mitzunehmen. Am Ende brauche ich beide Seiten.

Patricia Blau: Mitarbeitende sind jedenfalls ein prägender Teil der Kultur. Daher ist Empfehlungsmarketing im Recruiting ja auch erfolgreich: Es gibt Studien, die zeigen, dass Loyalität und Arbeitgeberbindung bei neuen Beschäftigten umso höher sind, wenn sie empfohlen wurden von einem der Mitarbeitenden. Die Beschäftigten sind also ein Teil der Kultur und vertreten diese nach außen. Aber wenn es Spannungsfelder und Unzufriedenheiten gibt, dann ist es Aufgabe der Geschäftsführung, daran zu arbeiten, und dann hat die Unternehmensleitung eine klare Steuerungsfunktion beim Kulturthema.

Inwiefern gewinnt die Kulturarbeit an Bedeutung in einer Zeit, in der zunehmend hybrid gearbeitet wird?

Jörg Munkes: Das hat für mich zwei Aspekte. Zum einen wird ja immer kolportiert, dass wir eine starke Kultur brauchen, um den Zusammenhalt zu fördern. Das ist nicht falsch. Aber wir brauchen auch eine starke Kultur, damit alle eine Richtschnur haben und wissen, was die Regeln und Normen sind, die im Unternehmen gelten. Das führt natürlich auch dazu, dass der Zusammenhalt größer ist, wenn alle nach den gleichen Spielregeln spielen. Aber es geht bei der Unternehmenskultur nicht nur um reinen Zusammenhalt, sondern vor allem um Spielregeln und Verhaltensvorgaben. Diese können wir auf die Distanz schwieriger entwickeln und vermitteln. Wichtig ist daher, dass wir die richtigen Kanäle nutzen.

Welche Kanäle nutzen Sie? Können Sie Beispiele geben für Impulse, die Unternehmen setzen können, um die Kultur positiv zu verbessern?

Patricia Blau: Die Herausforderung ist ja, das große Ganze zu erhalten – gerade bei einer hybriden Arbeitsweise. Wir treffen uns regelmäßig zu virtuellen Kaffeerunden, bei denen die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip auf Break-out-Rooms verteilt werden, um sich auszutauschen. Außerdem kommuniziert die Geschäftsleitung heute intensiver – zum Beispiel über Newsletter, die nicht nur KPIs wie Umsatz oder Produktivität nennen, sondern auch beschreiben, was sich im Markt und im Unternehmen tut. Außerdem sucht das Management heute häufiger den direkten Austausch mit den Kolleg:innen – und zwar team- oder abteilungsübergreifend mit Leuten aus unterschiedlichen Bereichen, die zufällig ausgewählt werden.

Jörg Munkes: Das funktioniert im virtuellen Raum ja viel einfacher und besser. Wir haben sieben Standorte, davon vier in Deutschland. Früher habe ich ganz überwiegend mit denselben Kolleg:innen in Heidelberg gesprochen. Das hatte zum Teil auch mit der Architektur unseres Gebäudes zu tun. Wir haben zwei Treppenhäuser. Ich nehme immer das hintere. Kolleg:innen, die das vordere Treppenhaus nehmen, habe ich vor Corona teilweise wochenlang nicht gesehen. Mittlerweile sehe ich sie mindestens einmal in der Woche – und außerdem kommuniziere ich viel häufiger mit Kolleg:innen aus anderen Standorten. Daher ist die Annahme, dass man durch das hybride Arbeiten weniger Kontakt hat, teilweise ein Mythos. Man hat vielleicht nicht mehr so intensiven persönlichen Kontakt mit einigen wenigen Menschen, aber dafür intensiveren Kontakt mit mehr Leuten.

Wie wichtig sind persönliche Treffen aus Ihrer Sicht für die Kultur?

Jörg Munkes: Natürlich ist es auch wichtig, sich persönlich zu begegnen – zum Beispiel zum Mittagessen. Wir organisieren daher ein- oder zweimal im Jahr einen Tag, an dem alle zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu machen.

Patricia Blau: Früher ging es bei diesen Treffen auch stärker um fachliche oder organisationsbezogene Themen. Das haben wir bewusst stark zurückgefahren, weil wir Freiräume geben wollten, sich zwangloser auszutauschen.

Jörg Munkes: Wichtig ist aber aus meiner Sicht: Das hybride Arbeiten ist Teil der Kultur und kein Gegenspieler der Kultur. Man muss hybrides Arbeiten moderieren und gestalten. Aber es ist nicht mehr wegzudenken aus der Arbeitswelt. Wir müssen damit umgehen. Es macht das Leben vielleicht komplexer. Aber es ist Teil des Unternehmens. 

Interview: Bettina Geuenich