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Foto von Ant Rozetsky

Die Realität sieht leider noch anders aus: Wenn in Unternehmen Konflikte auftreten, beginnt rasch die Schuldsuche, das Rechtfertigen und die Forderung nach „gerechten“ Strafen. Auf einmal gibt es viele Ankläger und Beschuldigte, Täter und Opfer, aber auch der (Vor-)Verurteilte. Personalexpertinnen und -experten sowie Führungskräfte rutschen gewollt oder ungewollt immer wieder in die Rolle des Richters – andere Arbeit bleibt liegen. Manchmal sind sie persönlich direkt involviert. Die von vielen Konfliktbeteiligten geforderte Besinnung auf rein sachliche Themen hält der Realität meist nicht stand. Auch eine – über betriebliche Gesundheitsförderung initiierte – Entspannungskultur, die mehr Gelassenheit in den Arbeitsalltag bringen soll, hat in Krisensituationen ihre Tücken. Denn wenn eine negative Konfliktkultur das Klima vergiftet, braucht es engagierten Widerstand, der Entscheidungsträger dazu zwingt, sich mit widersprüchlichen Argumenten zu konfrontieren und auseinanderzusetzen. Das beginnt mit einer offenen Diskussion über eine notwendige Produktdifferenzierung bis hin zur Entscheidung, welche Ressourcen wofür eingesetzt werden. 

Wer die Konfliktkultur maßgeblich verändern will, muss an der strategischen und organisatorischen Ebene ansetzen. Während im individuellen Konfliktmanagement eine Steuerung über die Gefühle und Bedürfnisse einzelner Konfliktbeteiligter möglich ist, so funktioniert dies auf der Ebene der gesamten Organisation nicht mehr. Dennoch ist es wichtig herauszufinden, welche Ziele und Bedürfnisse in den einzelnen Abteilungen vorherrschen. Eine erste Orientierung bieten unternehmens- oder bereichsweite Befragungen zur vorherrschenden Konfliktkultur, zum Beispiel über die allgemeine Mitarbeiterbefragung.

Dabei ist es auch zentral zu erheben, ob im Unternehmen bereits Regeln existieren, die beschreiben, wie mit Konflikten umzugehen ist. Leider zeigen einschlägige Studien, dass Konfliktregelungen heute noch immer vorwiegend auf der Basis des Feuerwehrprinzips aus dem Boden gestampft werden. Erst wenn es brennt, wird gelöscht – Konflikte werden gelöst, damit sie möglichst verschwinden. Es fehlt in vielen Fällen eine koordinierte und abgestimmte Herangehensweise. Einen Konflikt bewusst zu initiieren, anzusprechen oder gar auszuweiten, gilt nach wie vor nahezu als Tabu. Diese Entwicklung ist äußerst zweischneidig zu bewerten und vernachlässigt die These, dass Konflikte nicht nur auf Kosten anderer ausgetragen werden, sondern auch Vorteile für alle Beteiligten bringen können – wenn Unternehmen sie für sinnvolle Reorganisierungen nutzen.

Eine wesentliche Voraussetzung für effizientes Konfliktmanagement sind adäquate Schulungen der Belegschaft. Das notwendige Wissen umfasst Hintergrundinformationen zu grundsätzlichen Denkweisen und Verhaltensmustern, aber auch eine Kenntnis von Modellen und vorhandenen Strukturen. Wer produktiv mit Konflikten umgehen will, benötigt jedoch nicht nur Faktenwissen, sondern muss sich auch auf soziale Prozesse einlassen können. Es geht also nicht nur darum, im Lehrsaal Inhalte zu sammeln, sondern sich selbst anhand eigener Erfahrungen besser kennen zu lernen, um in Folge daraus auch andere besser anleiten zu können.

Um sich in einer Schulung überhaupt auf einen sozialen Prozess einzulassen, bei dem widersprüchliche Meinungen aufeinander treffen, ist es notwendig, sich bestehenden Ängsten zu stellen. Dies ist leichter zu bewerkstelligen, wenn das Bewusstsein dafür geschärft wird, dass es nicht die Menschen allein sind, die Konflikte verursachen – und dass niemand bewusst kränkt, weil er oder sie „böse“ ist. Auch vermutete Feinde haben Logiken und Zwänge hinter ihren Verhaltensweisen. Deren Kenntnis kann dazu beitragen, dass unproduktive Strukturen – vielleicht sogar gemeinsam mit dem Gegenspieler – aufgebrochen und neue Wege möglich werden. In jeder Schulung zum Thema Konfliktmanagement ist darauf hinzuweisen, dass es keine ‚Patentrezepte‘ gibt, weil eben Rahmenbedingungen und Persönlichkeiten jede Situation einzigartig machen. Dennoch ist ein Streben danach angebracht, von anderen zu lernen, auf bereits gemachte Erfahrungen zurückzugreifen und Fehler nicht übermäßig oft zu wiederholen. Vorreiter in Sachen Transparenz ist der große Bereich der Medizin. Hier gibt es im Internet veröffentlichte Listen, sogenannte ‚choosing wisely‘, die Behandlungsempfehlungen anhand spezifischer Erkrankungsdiagnosen nennen.

Ob die Zukunft auch im betrieblichen Konfliktmanagement ähnliche Strukturen bringt, ist heute noch offen. Unumgänglich für Professionalität jedoch ist der interdisziplinäre Zugang – Konfliktmanagement darf sowohl in Praxis, Theorie und Schulung nicht nur das Hoheitsgebiet einer einzelnen Disziplin sein, sondern sollte verschiedene Wissensbereiche miteinander verbinden. Idealerweise ebnet es den Weg  damit der Motor Konflikt vorhandene Energie in zielgerichtete Handlungen umwandeln kann. 

Webtipps

Elvira Hauska moderiert die Gruppe Konfliktmanagement auf HRM.at.

Die Website von Elvira Hauska bietet weiterführende Informationen zum Thema.  


Lesen Sie dazu auch “Professionelles Konfliktmanagement im Personalwesen, Teil 1: Mit Streitigkeiten umgehen”.

 

Bildung als Wegweiser für die Zukunft

Die Leiterin der Forschungsstelle für Wirtschaftsmediation an der Technischen Hochschule Köln, Ricarda Rolf, weist anhand der Ergebnisse des ersten deutschen Streitkulturindex darauf hin, dass sich Führungskräfte in der Regel überfordert fühlen, wenn sie mit Konflikten konfrontiert sind. Daher ortet sie in diesem Bereich deutlichen Schulungsbedarf. Ein Blick auf bewährte Vorgehensweisen zeigt, dass es hilfreich ist, Curricula interaktiv zu entwickeln. In dem Fall können maßgeschneiderte Programme interne Gegebenheiten und Anforderungen berücksichtigen sowie diese mit externen Erfahrungswerten ergänzen.

Typische Themen sind dabei das Führen schwieriger Gespräche oder Verhandlungen, Umgang mit Widerständen oder Verhandlungsführung. Die Schulungen sollten zudem über vorhandene Strukturen wie beispielsweise Konfliktanlaufstellen informieren und genau beschreiben, in welchen Fällen diese unterstützen, wie sie erreichbar sind und in welchem Umfang sie tätig werden. Ein Seminar bietet zudem eine gute Gelegenheit, Kontakte zu den Leitern der Anlaufstellen zu knüpfen und Vertrauen aufzubauen. Möglicherweise formulieren Unternehmen sogar Empfehlungen dafür, in welchem Fall welche Konfliktregelungsvariante angewandt werden soll. Diese sollten sie in einer Schulung im Überblick darstellen.

Das Kernziel von Schulungen zu professionellem Konfliktmanagement ist es, den Teilnehmern zu vermitteln, wie sie Konflikte für sinnvolle Veränderungen nutzen können. Vor allem für Profis im Personalwesen ist es notwendig, sich über die Bedeutung dieser Transformationen klar zu werden. Eine abgestimmte Vorgehensweise im Umgang mit Konflikten braucht in erster Linie Klarheit darüber, welche Ziele das Unternehmen diesbezüglich verfolgt. Von einer reinen Minimierung von Konfliktkosten ist als Zielsetzung vor allem deshalb abzuraten, weil dann Nutzenaspekte der Konflikte unberücksichtigt bleiben, für die es bislang kaum standardisierte Erhebungsmodelle gibt. Wie bereits im ersten Teil des Beitrags zum Professionellen Konfliktmanagement beschrieben, könnten Unternehmen stattdessen das Ziel verfolgen, die Zeit in sinnvollen Arbeitsbeziehungen zu maximieren.

Dennoch ist anzuraten, über diese strategische Ausrichtungen auch im Schulungskontext Einigkeit zu erzielen, allein deshalb, um nach einem Schulungszyklus evaluieren zu können, ob Erwünschtes erreicht wurde. Die Schulungen können dazu dienen, aussagekräftige Indikatoren zu definieren, an denen sich ablesen lässt, wie gut das Konfliktmanagement im Unternehmen funktioniert. Diese könnten Betriebe im Rahmen eines „Kooperationscontrollings“ nutzen.

Ein Standardbaustein für Trainings ist die Vermittlung von Basiswissen, meist beginnend mit persönlichen Konfliktstrategien. Dabei sind zwei grundlegende Richtungen möglich. Eine bedürfnisorientierte Regelung von Konflikten zielt auf Vorteile für möglichst alle, die zwangsorientierte Regelung geht sieht über Einzelinteressen hinweg und gibt konkrete Vorgaben. Ihr Ziel ist primär die Umsetzung einer Anordnung. In der Regel kommen Mischformen zum Einsatz, dennoch ist ein allgemeiner Überblick über Möglichkeiten und Grenzen dieser Extreme hilfreich.

Strategie als Kulturplaner

Der erste Teil unseres Beitrags zum professionellen Konfliktmanagement beschäftigte sich mit zwei Komponenten, die im Umgang mit Konflikten zentral sind – mit den Menschen und den Strukturen, in denen sie sich bewegen. Die Aufgabe der Strategie ist es, beide Aspekte miteinander in Beziehung zu bringen, um damit indirekt die Kultur einer gesamten Organisation zu gestalten. Im zweiten Teil gehen wir nun näher darauf ein, wie Unternehmen eine strategisch untermauerte Konfliktkultur entwickeln und fördern können.

Sowohl die Anzahl von Konflikten am Arbeitsplatz als auch deren Bearbeitungszeit hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Gründe dafür sind die Wirtschaftskrise und die damit verbundene angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt, aber auch grundsätzlich gesteigertes Aggressionspotenzial, welches sich vor allem auf dem Dienstleistungssektor auswirkt. .  Entsprechend den Zahlen der österreichischen Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt stiegen gewaltverursachte Arbeitsunfälle in den Jahren 2010 bei 2015 um 35 Prozent – in den meisten Fällen sind es Kunden, die entsprechende Gewalthandlungen setzen.

Da Gerichtsurteile oft keine zufrieden stellende Lösung bieten, sind alternative Verfahren der Konfliktlösung wie Mediation stärker nachgefragt. Unternehmen beginnen, standardisierte Verfahren zum Konfliktmanagement zu etablieren. Zu deren Reichweite und Wirkung gibt es unterschiedliche Meinungen – und einige wenige wissenschaftliche Arbeiten. So hat die deutsche Viadrina Universität mehrere Studien zum Konfliktmanagement in der Wirtschaft publiziert. In einer Zusammenfassung aus dem 2016 meinen die Autoren, dass die von vielen Experten erwartete rasch ansteigende Anwendung außergerichtlicher Verfahren  ausblieb. Dennoch beobachten sie eine kontinuierliche Evolution, in dem Sinne, dass sich eine Vielfalt an Optionen entwickelte. Ihre Empfehlung ist es, im Konfliktfall ergebnisoffen unterschiedliche Varianten wie zum Beispiel Mediation, Schiedsverfahren, Schlichtung, Dispute Boards oder andere zu prüfen, um sich eine Entscheidungsgrundlage für die effizienteste Form zu verschaffen.