Als Assistenzärztin Nicole F.* ihr Praktikum im Spital absolvierte, galt es zu tun, was der Chefarzt sagte – nie hätte sie sich getraut, den obersten Chef zu hinterfragen. Die heutige Generation jedoch lässt sich nicht mehr alles gefallen: Überstunden zu leisten, das komme für viele nicht mehr in Frage. «Erst kürzlich sagte ein Student mitten in einer Operation zum Chefarzt, dass sein Dienst um 16 Uhr ende – und er nun Feierabend mache», sagt die Assistenzärztin eines Zürcher Spitals ungläubig.

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Ein anderer Praktikant zeigte sich verärgert, als er eine schwierige Wunde nicht nähen durfte: «Er hat die Handschuhe ausgezogen und ist einfach gegangen.» Die Eindrücke von Nicole F. werden auf aus anderen Branchen bestätigt – so wollen die Jugendlichen laut ihren Chefs beispielsweise nicht mehr als «Praktikanten» bezeichnet werden. Andere stellen knallharte Forderungen, wenn es um die Anstellungsbedingungen geht.

Heike Bruch, Professorin für Leadership der Universität St. Gallen, sieht eine Ursache für dieses Auftreten im Wertewandel – denn für die Generation Y seien heute andere Faktoren im Job wichtiger geworden: «Für sie steht nicht die Arbeitssicherheit, der Lohn oder die Beförderung im Zentrum, sondern vielmehr, dass der Job sinnvoll ist, Spass macht und sie sich verwirklichen können.» Die heutige Jugend hinterfrage den Inhalt ihrer Arbeit und fordere Antworten zum Sinn auch stärker ein: «Deswegen kommt diese Generation viel frecher daher.»

Laut Diana Binder Wettstein, Präsidentin des Ausbilder-Verbands, ist es aufgrund der neuen Medien für die Jungen heute zudem einfacher geworden, Sachverhalte zu überprüfen und nicht mehr alles zu glauben, was der Vorgesetzte sagt.

Geld wird weniger wichtig

Doch woher kommt dieser Wertewandel? «Die meisten Jugendlichen sind mit materiellem Wohlstand und in Zeiten wirtschaftlicher Stabilität aufgewachsen», sagt Bruch. Daher sei der finanzielle Aspekt für sie heute weniger im Vordergrund: «Häufig haben sie als Kinder erlebt, dass ihre Eltern viel arbeiten und wenig zu Hause sind.» Der Wunsch nach einer sinnvollen Tätigkeit, die auch noch Spielraum für genügend Freizeit lasse, sei für die heutige Generation deshalb viel wichtiger. Dies bestätigen auch aktuelle Zahlen vom Bundesamt für Statistik. Demnach ist ein hohes Einkommen nur für 45 Prozent der Hochschulabsolventen ein entscheidendes Kriterium bei der Stellensuche.

Solch veränderte Jobansprüche wirken sich laut Bruch auch direkten auf die Arbeitsweise von Ausbildern aus: «Da sich die Generation Y viel weniger durch Hierarchien steuern lassen, sind heutige Chefs gezwungen, ihren Führungsstil anzupassen.» Statt vor allem mit höheren Löhnen oder einer Beförderung zu motivieren, müssen sie viel eher mit dem Sinn der Arbeit auftrumpfen. «Wenn Mitarbeiter einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten können, dann sind sie bereit, dafür richtig zu schuften, und engagieren sich gerne», so Bruch.

Binder Wettstein kann dieser Entwicklung nur Positives abgewinnen: «Der Umgang mit Jugendlichen mag anspruchsvoller geworden sein.» Umso wichtiger sei der wertschätzende Umgang nicht nur auf professioneller Ebene, «sondern auch die Pflege der persönlichen Beziehung zu den Lernenden».

(Quelle: 20minuten.ch)