Veranstaltungstipp Das Glück bei der Arbeit DASA-Symposium, Dortmund Themenblock 3: Positive Psychologie mit Impulsreferat von Prof. Willibald Ruch, Dienstag, 8. November 2011, 9.00 bis 13.00 Uhr Weitere Informationen: |
Was ist Positive Psychologie?
Positive Psychologie ist der Sammelbegriff für Theorien und Forschung darüber, was das Leben lebenswert macht. Das „gute Leben“ war lange eine Domäne der Philosophie. Heute widmen sich Forscher mit den Mitteln der wissenschaftlichen Psychologie dem Thema. Die Positive Psychologie basiert dabei auf dem Glauben, dass Menschen ein erfülltes Leben führen bzw. ihrem Leben Sinn geben wollen. Demnach sind sie daran interessiert, ihre guten Seiten zu kultivieren und die Erfahrungen in verschiedenen Lebensbereichen (z.B. Liebe, Arbeit, Freizeit) zu verbessern.
Diese Annahmen basieren auf der Humanistischen Psychologie, welche als „dritte Kraft“ (neben Psychoanalyse und Behaviorismus) die Psychologie des 20. Jahrhunderts bereicherte. Sie nahm unter anderem an, dass der Mensch von Grund auf gut sei und Krankheit eine Folge von Umweltbedingungen. Insbesondere Persönlichkeiten wie Carl Rogers, Abraham Maslow, Erich Fromm und Charlotte Bühler inspirierten die Psychologen in diese Richtung. Dennoch fasste die Humanistische Psychologie in der akademischen Psychologie nicht besonders stark Fuß – vermutlich wegen der geringeren Forschungsorientierung.
Der Begriff „Positive Psychologie“ wurde zum ersten Mal von Maslow 1954 in einem Buch benutzt, in dem er einige Forschungsthemen vorstellte, die er in der damaligen Forschung vermisste. Martin E. P. Seligman, damals Präsident der American Psychological Association (APA), griff die Bezeichnung „Positive Psychologie“ 1998 wieder auf und machte die Etablierung dieser Sichtweise in der akademischen Psychologie zu seiner Mission. Inzwischen hat sich die Positive Psychologie in Forschung und Praxis zu etablieren begonnen. Es gibt ein Journal of Positive Psychology, Lehrbücher, Kongresse und einen weltumspannende Gesellschaft, die „International Positive Psychology Association (IPPA; www.ippanetwork.org).
Die Forschung in der Positiven Psychologie erstreckt sich auf drei große Themengebiete: positives Erleben, positive Eigenschaften und positive Institutionen. Für Seligman können sich die positiven Emotionen auf die Vergangenheit (z.B. Zufriedenheit), Gegenwart (z.B. happiness), oder Zukunft (z.B. Hoffnung) beziehen. Die positiven Eigenschaften betreffen Stärken und Tugenden (wie z.B. Liebesfähigkeit, Mut, Kreativität, Mäßigung, Selbstkontrolle). Das Studium positiver Institutionen befasst sich mit Stärken, die bessere Gemeinschaften ausmachen – wie Gerechtigkeit, Verantwortung, Arbeitsethik, Teamwork oder Toleranz.
Dabei sind Unternehmen ein Beispiel für positive Institutionen. Das Ziel der Positiven Psychologie ist es in diesem Zusammenhang, mit wissenschaftlichen Methoden die Zufriedenheit der Mitarbeiter und eine hohe Produktivität zu fördern.
Welche Trends gibt es in der Positiven Psychologie?
In den vergangenen Jahren sind die Forscher den gesellschaftlichen und individuellen, materiellen und immateriellen Determinanten des Glücks auf der Spur. Insbesondere die Forschung von Ed Diener half zu verstehen, welche Faktoren glücklich machen und welche nicht. Ebenso zeigte der Vergleich verschiedener Kulturen, dass materielle Dinge wie etwa das Einkommen nur in Mangelsituationen mit happiness korrelieren, aber nicht mehr, wenn eine bestimmte materielle Schwelle überschritten ist.
Eine andere Forschungsrichtung versucht mit empirischen Methoden die verschiedenen in der Philosophie entwickelten Vorstellungen zu glücklich machenden Lebensstilen zu überprüfen. Während die Philosophie nur zwei solcher Strategien kennt (Hedonismus sowie Sinnsuche und Leben in Einklang mit den Tugenden), unterscheidet Seligman (2002) zwischen drei Lebensstilen, die zu einem guten Leben führen können:
1. das pleasant life (den Genüssen des Lebens frönen = Hedonismus), 2. das meaningful life (Suche nach Sinn, durch Ausübung der Tugenden und Stärken erreichbar; seine Stärken anderen zur Verfügung stellen) sowie 3. das engaged life (das eigene Potential verwirklichen; seine Stärken kennen und im Privat- und Arbeitsleben einsetzen, um so das Auftreten von Flow-Erlebnissen zu fördern).
Das engaged life führte Seligman neben Hedonismus und Sinnsuche als dritten Weg zum Glück hinzu, um die Arbeiten von Csikszentmihalyi zu würdigen, der das Flow-Konzept begründet hat. Eine Steigerung der Zufriedenheit wird seinem Konzept zufolge durch Aktivitäten erreicht, die wir gerne tun und die uns Flow bringen (wenn wir völlig in einer Aufgabe aufgehen und die Welt um uns herum vergessen). Im meaningful life werden die Signaturstärken genutzt, um sich im Dienst einer Sache einzusetzen (z.B. für eine Institution, die man schätzt).
Empirische Untersuchungen von Peterson und seinen Mitarbeitern mit dem von ihnen entwickelten OTH-(Orientations to Happiness) Fragebogen zeigen, dass sich Spaß und Arbeit keineswegs ausschließen. Vielmehr bestehen leicht positive Zusammenhänge zwischen den Skalen des OTH. Alle drei Lebensstile sind mit höherer Lebenszufriedenheit verbunden, doch die Auswirkungen des life of engagement auf das gute Leben sind größer als jene von pleasure und meaning. Außerdem besteht eine interessante Wechselwirkung: Bei Personen, die in allen drei Lebensstilen unter den obersten 10 Prozent liegen (the „full life“), ist die Lebenszufriedenheit überproportional höher. Hingegen ist bei Personen, die in allen drei Lebensstilen unter den untersten 10 Prozent liegen (the „empty life“), die Lebenszufriedenheit zusätzlich niedriger. Diese Beziehungen gelten auch im Ländervergleich.
Wie lässt sich das Glück der Beschäftigten positiv beeinflussen?
Berater, die ein erfülltes Leben ihrer Klienten fördern möchten, müssen ihnen demnach Wege aufzeigen, wie sie alle drei Stile kultivieren können. Dabei spielt das pleasent life die geringste Rolle. Das Erlernen von Genuss ist zwar wichtig, bewirkt aber kaum länger anhaltende Veränderungen im Niveau des Glücklichseins. Einerseits liegt das an den genetischen Grundlagen des „happiness set point“ (jede Person hat ein für sie typisches Niveau an Neigungen zu positiven Emotionen), andererseits an der „hedonistischen Tretmühle“ (Menschen gewöhnen sich schnell an einen glücklich machenden Zustand und brauchen mehr davon).
In den vergangenen Jahren wurden Interventionen der Positiven Psychologie entwickelt und evaluiert. So zeigt sich beispielsweise, dass das Einüben von mehr Höflichkeit zu einer positiveren Resonanz auf die eigene Person und auch zu mehr Zufriedenheit führt. Seligman, Steen, Park und Peterson haben 2005 eine Studie vorgestellt, in der sie die Effektivität von verschiedenen Herangehensweisen (Interventionen) ausgetestet haben. Dabei zeigte sich, das vor allem drei Interventionen effektiv und teilweise auch nach sechs Monaten noch nachweisbar waren: ein Dankbarkeitsbrief oder -besuch, das Führen eines Tagebuches in dem jemand festhält, was ihm während des Tages Gutes widerfahren ist, und das Kennen der eigenen Signaturstärken und deren gezielter Einsatz im Privat- und Berufsleben. Diese Ergebnisse wurden am Zürcher Institut für Psychologie bestätigt.
Jeder Einzelne kann solche Wege für sich angehen – etwa indem er Institutionen, Ideen oder Bewegungen identifiziert, mit deren Zielen er sich eins fühlen kann. Aber auch Unternehmen können ihre Beschäftigten unterstützen, indem sie die Aufgabenbereiche so gestalten, dass mehr Selbstverwirklichung für den Mitarbeiter möglich ist.
Welche Rolle spielen Charakterstärken und Tugenden?
Ein weiterer interessanter Ansatz, der für Unternehmen insbesondere in punkto Personalauswahl und Personalentwicklung von Bedeutung ist, besteht im Konzept des Charakters, das durch die Positive Psychologie eine Renaissance erfährt. Peterson und Seligman unterscheiden bei der Definition des (guten) Charakters drei hierarchisch geordnete Ebenen, nämlich Tugenden (d.h., von Moralphilosophen und religiösen Denkern geschätzte Kerneigenschaften), Charakterstärken (d.h., Mechanismen und Prozesse, die die Tugenden definieren bzw. Wege, die Tugenden zu leben) und „situative Themen“ (d.h., spezifische Gewohnheiten, die dazu führen, dass Personen in speziellen Situationen die Stärken anwenden).
Sechs Tugenden kehren immer wieder, nämlich Weisheit und Wissen (kognitive Stärken, die den Erwerb und den Gebrauch von Wissen beinhalten), Mut (emotionale Stärken, die mittels der Ausübung von Willensleistung internale und externale Barrieren zur Erreichung eines Zieles überwinden), Humanität (interpersonale Stärken, die liebevolle menschliche Interaktionen ermöglichen), Gerechtigkeit (Stärken, die das Gemeinwesen fördern), Mäßigung (Stärken, die Exzessen entgegenwirken), und Transzendenz (Stärken, die uns einer höheren Macht näher bringen und Sinn stiften). Diesen Tugenden wurden jeweils Stärken zugeordnet (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Charakterstärken und Tugenden des deutschsprachigen und amerikanischen VIA-IS
VIA-Charakterstärken und Tugenden*
Tugend der Weisheit und des Wissens
Kreativität (Originalität, Einfallsreichtum) Neugier (Interesse, Neuheiten suchend, Offenheit für Erfahrungen) Urteilsvermögen (geistige Aufgeschlossenheit, kritisches Denken) Liebe zum Lernen Weitsicht (Weisheit) Tugend der Tapferkeit Tapferkeit (Mut) Ausdauer (Beharrlichkeit, Fleiss) Ehrlichkeit (Integrität, Authentizität) Tatendrang (Vitalität, Enthusiasmus, Elan, Energie) Tugend der Menschlichkeit Fähigkeit zu lieben und geliebt zu werden Freundlichkeit (Grosszügigkeit, Pflege, Fürsorglichkeit, Mitgefühl, selbstlose Liebe, Nettigkeit) Soziale Intelligenz (emotionale Intelligenz, Menschenkenntnis) Tugend der Gerechtigkeit Teamwork (Zugehörigkeit, soziale Verantwortlichkeit, Loyalität) Fairness Führungsvermögen Tugend der Mäßigung Vergebungsbereitschaft und Gnade Bescheidenheit und Demut Vorsicht (Besonnenheit, Umsicht) Selbstregulation (Selbstkontrolle) Tugend der Transzendenz Sinn für das Schöne und Exzellenz Dankbarkeit Hoffnung (Optimismus, Zukunftsgerichtetheit, Zukunftsorientierung Humor Verspieltheit) Religiosität und Spiritualität (Gläubigkeit, Sinn) |
Wisdom and Knowledge
Creativity (originality, ingenuity) Curiosity (interest, novelty-seeking, openness to experience) Open-mindedness (judgment, critical thinking) Love of learning Perspective (wisdom) Courage Bravery (valor) Perseverance (persistence, industriousness) Honesty (integrity, authenticity) Zest (vitality, enthusiasm, vigor, energy) Humanity Capacity to love and be loved Kindness (generosity, nurturance, care, compassion, altruistic love, “niceness”) social intelligence (emotional intelligence, personal intelligence) Justice Teamwork (citizenship, social responsibility, loyalty) Fairness Leadership Temperance Forgiveness and mercy Modesty and humility Prudence Self-regulation (self-control) Transcendence Appreciation of beauty and excellence Gratitude Hope (optimism, future-mindedness, future orientation) Humor (playfulness) Religiousness and spirituality (faith, purpose) |
Anmerkung. *Peterson & Seligman haben die Bezeichnung der Stärken über die Jahre geändert. Deswegen sind die Synonyme bzw. Cluster von Bezeichnungen zu jeder Skala angegeben.
Wie lassen sich die Charakterstärken erfassen?
Das Values in Action Inventory of Strengths (VIA-IS) von Peterson und Seligman ist ein Instrument, um die 24 Stärken bei Erwachsenen zu ermitteln. Es enthält 240 Fragen in einem fünfstufigen Antwortformat. Die englische Fassung haben mehr als 2.000.000 Probanden online ausgefüllt (http://www.viastrengths.org/). Die deutsche Adaptation dieses Instrumentes wurde am Lehrstuhl für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik der Universität Zürich vorgenommen und wird fortlaufend weiterentwickelt.
Nachdem rund 2000 Probanden aus der Schweiz, Österreich und Deutschland eine Papier-Bleistift-Version ausgefüllt hatten, wurde die deutschsprachige Fassung des VIA-IS online gestellt (http://www.charakterstaerken.org/). Interessierte können sich damit selber online testen. Sie erhalten eine sofortige Rückmeldung zu ihren Stärken, die der relativen Ausprägung in Bezug auf Alter und Geschlecht entspricht. Dieses Angebot haben inzwischen 80.000 Probanden in Anspruch genommen.
Bei positiven Merkmalen wie Charakterstärken ist die Gefahr gegeben, dass die Befragungsteilnehmer im Sinne sozialer Erwünschtheit antworten. Tatsächlich sind die Antworten innerhalb einer entsprechenden Skala hauptsächlich positiv, aber sie haben dennoch eine große Bandbreite. Interessanterweise beurteilen sich die Testpersonen nicht positiver, als dies gute Bekannten von ihnen tun. In einer Studie mit 160 Erwachsenen, die den VIA-IS ausfüllten und zu denen auch eine Fremdeinschätzung im VIA-IS durch einen guten Bekannten eingeholt wurde, weist die Selbstbeurteilung lediglich bei zwei Skalen (Sinn für das Schöne und Dankbarkeit) höhere Werte auf als die Fremdeinschätzung. In sechs Bereichen schätzen die Bekannten die Stärken höher ein.
Geschlechtsunterschiede sind minimal und nur wegen der großen Fallzahlen signifikant. Frauen erreichen höhere Werte in Bindungsfähigkeit, Sinn für das Schöne, Dankbarkeit und Freundlichkeit hingegen schreiben sich Männer mehr Urteilsvermögen und Kreativität zu. Stärken tendieren mit dem Alter zuzunehmen – insbesondere für Liebe zum Lernen, Bescheidenheit, Selbstregulation, Vorsicht, Religiosität, Vergebungsbereitschaft und Neugier. Lediglich Stärken bezüglich Weisheit und Wissen (Neugier, Urteilsvermögen und Liebe zum Lernen) sind mit dem Bildungsgrad korreliert.
Die Befragungen zeigen, dass systematische und plausible Unterschiede von gewissen Stärken zwischen den Berufen bestehen. Dabei treten auch Ähnlichkeiten innerhalb von Berufsfamilien auf. Wichtiger als Durchschnittswerte für einzelne Berufe werden aber Studien zur Vorhersage von Zufriedenheit mit und Eignung für den jeweiligen Beruf sein. Die Arbeitszufriedenheit lässt sich prinzipiell durch die Stärken vorhersagen, wobei den Merkmalen Tatendrang und Ausdauer eine besondere Rolle zukommt.
Weitere Untersuchungen meiner Doktorandin Claudia Harzer kommen zu dem Schluss, dass die Arbeitszufriedenheit mehr durch die Möglichkeit bestimmt wird, Stärken am Arbeitsplatz ausleben zu können, als durch die Stärken selbst. Dabei scheinen zentrale Stärken, die so genannten „Signaturstärken“ wichtiger zu sein als andere Stärken. Die Daten belegen, dass Beschäftigte im Durchschnitt vier solcher Stärken bei der Arbeit einsetzen können sollten, damit die Vorhersage der Zufriedenheit bereits ein Maximum erreicht. Stärken sagen nicht nur das kontextuelle Arbeitsplatzverhalten (Loyalität oder Kooperationsbereitschaft) voraus, sondern klären auch, wie gut Mitarbeiter unabhängig von ihrer Intelligenz in einer Aufgabe werden können.
Ausblick
Langfristiges Ziel der Positiven Psychologie ist es, sich überflüssig zu machen. Sobald es normal sein wird, dass Psychologen nicht nur die negativen Phänomene betrachten, sondern auch die positiven Seiten des Menschseins, wird diese spezielle Sichtweise verschwinden. Heute herrscht in der Psychologie jedoch noch ein Denken vor, das von der Einstellung im Gesundheitswesen geprägt ist: Im Focus steht das, was schiefgehen kann.
In diesem Sinne ist die Positive Psychologie ein Symptom dafür, dass sich die Psychologie auf das Studium des kranken Menschen eingeengt hat. Wir brauchen nicht nur das „fix what`s wrong“, sondern auch das „build what`s strong.“ Es geht dabei darum, besser zu verstehen, wie Menschen sich optimal entwickeln können und wie sie Dinge bestmöglich erleben. Ein zentraler Anwendungsbereich ist das Personalmanagement. Der Einsatz von Stärken im Beruf und die Konsequenzen müssen dafür noch besser erforscht werden.