Unternehmen greifen auf unterschiedliche Ressourcen zurück, darunter finanzielle (Finanzkapital), materielle (Sachkapital), immaterielle (wie Lizenzen oder Markenrechte) und Humankapital. Keine der drei erstgenannten Ressourcen kann für sich alleine Werte schaffen, das Sachkapital verursacht sogar Kosten durch seine bloße Existenz. Lediglich die Mitarbeiter können mit anderen Ressourcen etwas bewegen. Sie schaffen Werte oder vernichten sie. Dennoch wird das Humankapital in der Praxis oft primär als Kostenfaktor gesehen. Die Standardreaktion auf wirtschaftliche Schwierigkeiten oder Firmenfusionen ist der Abbau von Personal. Das heißt, die Unternehmen trennen sich von ihren wichtigsten Erfolgsquellen.

people sitting down near table with assorted laptop computers
Foto von Marvin Meyer

Der Grund für diesen offensichtlichen Widerspruch ist ein Dilemma, in dem das Management steckt. Auf der einen Seite steht die Zahlenfixierung der klassischen Betriebswirtschaftslehre und Managementausbildung („What you can´t measure, you can´t manage“) mit dem Grundbild des kühl kalkulierenden Homo Oeconomicus und dem darauf aufbauenden Selbstverständnis der meisten Manager als ebenfalls kühl rechnende, rein objektive, emotionslose und an harten Fakten orientierte Persönlichkeit.

Auf der anderen Seite wissen wir, dass der eigentliche Wert der Mitarbeiter in den so genannten weichen Faktoren liegt, wie zum Beispiel Wissen, Erfahrung, Kreativität, Engagement, emotionale Bindung und Begeisterungsfähigkeit. Das Ausmaß dieser Faktoren und die Fähigkeit, diese für das Unternehmen zu mobilisieren, entscheidet im Wettbewerb darüber, wer die Nase vorne hat.

Inzwischen lehren uns auch die Neurowissenschaften, dass die Emotionen nicht nur unser Fühlen, sondern gerade auch unser rationales Denken entscheidend beeinflussen und steuern (Damasio 1999). Deswegen sollten wir uns vom Homo Oeconomicus in Richtung Homo Psychologicus bewegen. Unser Dilemma besteht nun darin, dass die Emotionen und die anderen weichen Faktoren sich in Zahlen oder gar monetären Größen, dem Handwerkszeug der Manager, kaum sinnvoll darstellen und messen lassen.

Versuche, das Humankapital zu messen und zu bewerten

Dennoch gibt es eine Fülle von Vorschlägen, das Humankapital zu messen (Scholz et al. 2004). Sie lassen sich im Wesentlichen in drei Gruppen zusammenfassen:

  • die Ermittlung eines absoluten monetären Wertes des Humankapitals
  • Indikatorenmodelle, die Kennzahlen einzelnen Faktoren des Humankapitals zuordnen und ihren Einfluss auf das Ergebnis darstellen
  • Ranking- oder Scoringmodelle, die Korrelationen zwischen Indikatoren, Kennziffern oder verdichteten Größen (Scores) vergleichbarer Unternehmen oder Unternehmenseinheiten analysieren

Eine Bewertung dieser Verfahren (Schütte 2005) kommt zu dem Ergebnis, dass bisher kein sinnvolles und aussagekräftiges Modell entwickelt wurde, das Humankapital oder wesentliche Faktoren davon in absoluten Größen zu messen. Sinnvoll und aussagekräftig heißt, dass die Verfahren nicht nur akademischen Wert haben, sondern dem Management konkrete Entscheidungsimpulse und Handlungsempfehlungen aufzeigen. Dazu müssen sie messbar und verständlich sowie mit vertretbarem Aufwand anwendbar sein. Eine weitere Voraussetzung ist, dass sie methodisch einwandfrei sind, also valide (sie messen das, was gemessen werden soll), zuverlässig (auch eine erneute Messung käme zu demselben Ergebnis) und objektiv (auch ein Dritter käme zu demselben Ergebnis). Eine Bewertung anhand dieser Kriterien ergibt folgendes Bild:

1. Die Ermittlung eines absoluten Wertes (in Euro)

Marktwertmethode:Sie ermittelt den Wert des Humankapitals als Differenz zwischen dem Markt- und dem Buchwert des Unternehmens. Das ist nicht valide, da diese Differenz die Summe aller immateriellen Vermögenswerte angibt und nicht nur den Wert des Humankapitals. Wesentliche Größen wie die Marke oder auch externe Einflussfaktoren sind darin mit enthalten. Sie müssten separat ermittelt und herausgerechnet werden.

Input-Output-Verfahren:Sie berechnen den Wert des Humankapitals über das Unternehmensergebnis.

Input-Verfahren nehmen die Summe der Investitionen in das Humankapital als Wert, sei es zu „historischen“ oder zu „Wiederbeschaffungskosten“.

Die historischen Kosten beziffern, was das Unternehmen insgesamt in die Mitarbeiter investiert hat, also zum Beispiel Gehälter, Weiterbildungskosten oder Prämien. Sie berücksichtigen allerdings nicht den Wert und das Wertschöpfungspotenzial dieser Investitionen. Die Wiederbeschaffungskosten entsprechen den „Marktpreisen“ der Mitarbeiter, also jener Summe, die ein anderes Unternehmen für sie zahlen würde. Dieser Preis lässt sich allerdings nur schwer beziffern. Anhaltspunkte bieten zum Beispiel Kollektivverträge. Doch die tatsächliche Bezahlung der Beschäftigten weicht häufig erheblich von diesen Werten ab.

Output-Modelleversuchen den Ergebnisbeitrag der Mitarbeiter über die Barwertmethode (Discounted Cash Flow) zu ermitteln, die für die Unternehmensbewertung entwickelt wurde. Sie schätzen den Ergebnisbeitrag einzelner Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen für die folgenden fünf Jahre und berechnen davon ausgehend ihren Gegenwartswert für das Unternehmen. Dieses Verfahren ist für größere Organisationen schon aufgrund des Aufwands nicht praktikabel und führt wegen der Unsicherheit der erforderlichen Planannahmen zu keinen methodisch verlässlichen Ergebnissen.

Saarbrücker Formel(Scholz et al. 2004): Das Verfahren strebt an, den absoluten Wert des Humankapitals über die unten stehende Formel zu ermitteln.

HC-Wertbasis

(Marktwert

der Belegschaft)

HC-Wertverlust

(Wert, der im Zeitverlauf

verloren geht)

+ HC-Wertkompensation

(Wert, der durch Investition

kompensiert wird)

x HC-Wertveränderung

(Veränderung durch

Motivation/Demotivation)

Die elegante und an betriebswirtschaftliche Investitionsrechnungen angelehnte Formel führt ebenfalls zu keinen aussagekräftigen Werten. Zwei Bestandteile – der Wertverlust und die Wertveränderung – basieren auf rein subjektiven Annahmen, da es keine objektiven, empirisch bestätigten Werte dafür gibt. Die Formel setzt zudem voraus, dass Investitionen automatisch zu einer Werterhöhung führen. Dabei bleibt die Möglichkeit einer Fehlinvestition unberücksichtigt. Das trifft in besonderem Maße für Investitionen in die Aus- und Weiterbildung oder Personalentwicklung zu. Denn eines der größten und nach wie vor nicht befriedigend gelösten personalwirtschaftlichen Probleme ist, wie Unternehmen sicherstellen können, dass Investitionen in Weiterbildung und Personalentwicklung auch am Arbeitsplatz ankommen und zu sichtbaren, den Wert des Unternehmens erhöhenden Veränderungen führen. Der Wertverlust schließlich bezieht sich nur auf das Wissen der Mitarbeiter (Stichwort Halbwertzeiten), blendet aber das Thema Erfahrung völlig aus. Dabei ist Letztere für viele Unternehmen oder Unternehmensbereiche viel wichtiger als formales Wissen.

Erfahrung jedoch wächst mit der Zeit und nimmt nicht ab. Insofern ist auch diese Formel für die Praxis nicht tauglich.

2. Indikatorenmodelle

Indikatorenmodelle verzichten darauf, einen Gesamtwert des Humankapitals zu ermitteln. Sie konzentrieren sich stattdessen auf einzelne Faktoren dieses Kapitals, die für das Unternehmensergebnis besonders einflussreich sind, wie zum Beispiel Qualifikation, Commitment oder Führung. Diesen „Werttreibern“ ordnen die Modelle Indikatoren zu, um ihre Ausprägung beschreiben zu können. Die Bewertung in monetären Größen, die einige Modelle wie der Scandia Navigator (Scholz 2004) versuchen, scheitert allerdings an den viel zu komplexen Wirkungsketten der Faktoren. So führen meist mehrere Faktoren dazu, dass Unternehmen gute Geschäftsergebnisse erzielen – angefangen vom Commitment der Mitarbeiter bis hin zur Qualifikation der Führungskräfte. Für die Berechnung dieser Faktoren fehlt sehr häufig die empirische Basis. Dennoch ist der Versuch, sie monetär zu bewerten, ein wichtiger und wesentlicher Schritt, um diese Wirkungsketten zu erforschen und in ihren Bandbreiten zu quantifizieren.

3. Ranking- und Scoringmodelle

Während sich die Indikatorenmodelle auf einzelne Kennzahlen konzentrieren, zum Beispiel auf die Fluktuationsrate als Indikator für die Motivation, fassen die Rankingmodelle verschiedene Indikatoren zu einem Score zusammen. Sie vergleichen Unternehmen oder Abteilungen anhand dieser Merkmale und versuchen, Korrelationen zwischen dem Humankapital und dem Geschäftserfolg zu ermitteln. Auf diesem Wege versuchen sie, die wichtigsten Werttreiber zu identifizieren. Wenn diese dann in gezielten, empirischen Studien überprüft und bestätigt werden, besteht die Chance, die komplexen Wirkungszusammenhänge zu erhärten und ihren Einfluss auf das Unternehmensergebnis zu bewerten.

Ein Lösungsweg

Eine Analyse im Sinne der Scoringmodelle funktioniert in drei Schritten:

  • Auswahl verschiedener Geschäftseinheiten (bevorzugt innerhalb eines Unternehmens, da hier die Rahmenbedingungen vergleichbar sind)
  • Ermittlung von Indikatoren und Kennzahlen für jene Faktoren des Humankapitals, die in den Einheiten untersucht werden sollen (zum Beispiel Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen)
  • Vergleich dieser Größen mit den konkreten Geschäftsergebnissen dieser Einheiten und Ermittlung der Korrelationen

Die (wenigen) bisherigen Erfahrungen zeigen, dass zwischen Humankapital und Geschäftsergebnissen hohe Korrelationen bestehen. Die Einheiten, die besonders gute Werte bei den Humankapitalfaktoren haben, weisen auch besonders gute Geschäftsergebnisse auf und umgekehrt.

Beispiel Bertelsmann AG

Der Medienkonzern Bertelsmann führt regelmäßig eine weltweite Mitarbeiterbefragung durch und vergleicht die Ergebnisse mit anderen Faktoren wie zum Beispiel Renditen oder anderen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Die Ergebnisse vom Juni 2007 zeigen, dass:

  • ein partnerschaftlicher Führungsstil einen signifikanten Einfluss auf die Krankheitsquote hat,
  • ein konkreter Zusammenhang zwischen der Umsatzrendite und der Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen besteht und
  • eindeutige Korrelationen zwischen dem Führungsverhalten der Vorgesetzten und dem Verhalten ihrer Mitarbeiter existieren.

Beispiel HYPO-Bank (heutige HypoVereinsbank)

Die HYPO-Bank bewertete Führungsverhalten und -qualität ihrer Manager der zweiten Ebene mithilfe des folgenden Verfahrens (Friederichs und Althauser 2001): Die Bank ermittelte insgesamt 13 Kennzahlen, darunter die Teilzeitquote, der Frauenanteil und die Beurteilungsquote, die nach dem Führungsverständnis der Bank ein Indiz für gutes Führungsverhalten sein können. Anschließend erhob sie die entsprechenden Zahlen für jeden Bereich und ermittelte, wie die verschiedenen Unternehmensbereiche, bezogen auf jede Kennzahl, abschnitten. Das Ergebnis drückte die Bank in Prozenträngen aus. Der Durchschnittswert aller Prozentränge eines Bereiches ergab einen Gesamtrang – den die HYPO-Bank „Employee Value“ nannte. Der Vergleich dieses Gesamtranges mit wichtigen Ergebnisgrößen dieser Geschäftsbereiche zeigte für einen Zeitraum von drei Jahren signifikante Korrelationen (Tabelle oben). Über vergleichbare Zusammenhänge und Korrelationen berichten auch Befragungsunternehmen wie Gallup und TNS Infratest, was diese Ergebnisse zusätzlich untermauert.

Humankapital steuern

Für die ergebnisorientierte Steuerung des Humankapitals ergeben sich daraus die folgenden Konsequenzen: Wir sollten uns von einer einseitigen Fixierung auf jene Faktoren lösen, die sich in Zahlen ausdrücken lassen, wie zum Beispiel Personalkosten oder Fluktuation, und endlich den besonderen Charakter der „weichen“ Faktoren des Humankapitals anerkennen. Faktoren wie Commitment oder Motivation lassen sich nicht in Zahlen messen, aber durch konkrete Ziele quantifizieren. Dafür müssen wir geeignete Bewertungsund Steuerungsinstrumente entwickeln.

Die klassischen Werkzeuge dafür sind professionelle Befragungen von Mitarbeitern, Kollegen, Vorgesetzten und eventuell auch Kunden. Neben den erwähnten vergleichenden Analysen von Kennzahlen gehören dazu persönliche Einschätzungen und Beurteilungen, das Beobachten und Evaluieren von Prozessen, das Auswerten interner Veranstaltungen und die Dokumentation und Visualisierung laufender Prozesse sowie Wissensbilanzen. Für alle konkreten Projekte und Aktivitäten sollten Unternehmen konkrete Ziele setzen und Berichtsgrößen entwickeln, die den Umsetzungserfolg dokumentieren. Diese Ziele können zum Beispiel die Fluktuation betreffen („Wir wollen keine Fluktuation in der 2. Führungsebene“) – aber auch die Frauenquote („Wir wollen x Prozent Frauen in der 2. Führungsebene“). Die Praxis zeigt, dass „weiche“ Faktoren hart werden, sobald sie mit konkreten Zielen verbunden sind. Das gilt zum Beispiel für Erfahrung („Wir wollen in jedem Händlerteam x Prozent Händler, die mindestens einen Börsen-Crash am Arbeitsplatz erlebt haben“).

Wichtig ist, dass Unternehmen „weiche“ Ressourcen genauso behandeln und in den Managementprozess integrieren wie „harte“ Ressourcen, nämlich indem sie:

  • Faktoren definieren, die Werttreiber für das Unternehmen sind (zum Beispiel die Qualität der Führung oder die Motivation der Mitarbeiter),
  • Ziele bezogen auf die Werttreiber setzen,
  • Aktionspläne aufstellen und
  • überprüfen, ob die Ziele erreicht wurden.

Beispiel:Für viele Unternehmen ist die Qualität der Führung ein zentraler Werttreiber. Wie gut die Führungsarbeit in der Organisation tatsächlich ist, lässt sich wie folgt analysieren:

Ziele

  • Wir wollen in unserem Unternehmen exzellent führen.
  • Wir haben ein gemeinsames, verbindliches Führungskonzept.
  • Wir stellen sicher, dass dieses Führungskonzept auch gelebt wird.
  • Die Qualität der Führung wird Bestandteil der Zielvereinbarungen und -beurteilungen und hat außerdem Einfluss auf die Kompensation und Entwicklung der Führungskräfte.

Aktionsplan

  • Führungskonzept mit verbindlichen Führungsgrundsätzen erarbeiten
  • Führungsinstrumente definieren (zum Beispiel Mitarbeitergespräche, Förderrunden oder Dialogveranstaltungen)
  • Separate Fachlaufbahn einführen, um Experten ohne Führungsqualitäten alternative Karrieremöglichkeiten zu bieten
  • Mitarbeiterbefragungen organisieren, die zeigen, wie die Führungsqualität im Unternehmen aktuell ist
  • Geeignete Controllinginstrumente entwickeln

Controlling

  • Mitarbeiter regelmäßig zum Erfolg der Aktivitäten befragen (Werden die Führungsgrundsätze eingehalten? Wie gut ist die Führungsarbeit?)
  • Ranking und Auswertung der Kennzahlen zur Führungsqualität
  • Erheben, wie viele Mitarbeitergespräche und Kommunikationsveranstaltungen stattgefunden haben

Das Controlling liefert die Basis für eine vergleichende Analyse, die zeigt, welche Faktoren die Führungsqualität besonders beeinflussen. Je größer die empirische Basis, desto konkreter lassen sich Ursachen für gute oder schlechte Führung diagnostizieren. Für die Unternehmen lohnt es sich, diesen Weg zu gehen und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen allgemein zugänglich zu machen. Denn je größer die Anzahl solcher Untersuchungen ist und je mehr wir über die Zusammenhänge zwischen Humankapital und Unternehmensergebnis erfahren, desto eher können wir die so genannten weichen Faktoren gezielt zum Nutzen der Organisation beeinflussen.

Literaturtipps

Wissenbilanz – Made in Germany.

Leitfaden, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit 2005.

Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins.

Von Antonio R. Damasio, List 2000.

Das EFQM-Modell für Excellence.

Deutsche Gesellschaft für Qualität e.V. 2006.

The European HR Index Effectiveness Report. HR Index Benchmarks 2002/03.

EPFirst/Saratoga 2003.

Personalentwicklung in der Globalisierung. Strategien der Insider.

Von Peter Friederichs und Ulrich Althauser,

Luchterhand Verlag 2001.

Human Capital Management. Wege aus der Unverbindlichkeit.

Von Christian Scholz, Volker Stein und Roman Bechtel,

Luchterhand Verlag 2004.

Humankapital messen und bewerten: Sisyphusarbeit oder Gebot der Stunde?

Von Martin Schütte (2005), in: Personalführung 4/2005, S. 18 ff.

Handbuch Personalbewertung. Messgrößen, Anwendungsfelder, Fallstudien.

Von Uwe D. Wucknitz, Schäffer-Poeschel 2002.

Quelle: personal manager 6/2007